Süddeutsche Zeitung

Basketball-WM:Die Chance auf Olympia lebt

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Von Jonas Beckenkamp

Wie es um das Innenleben einer Mannschaft bestellt ist, lässt sich oft an kleinen Dingen erkennen. Hilft man sich auf, wenn einer zu Boden geht? Bügelt einer die Fehler des anderen aus? Ein Klaps als Aufmunterung? Bei den deutschen Basketballern gab es im dritten Vorrundenspiel der WM in China gegen Jordanien vieles davon zu sehen. Die Frage ist: Warum erst jetzt, wo das kolossale Scheitern schon besiegelt ist? Das 96:62 (48:36) gegen die bestenfalls zweitklassigen Jordanier bot zumindest ein wenig Wiedergutmachung nach dem kollektiven Zusammenschrumpfen der deutschen Riesen gegen die Dominikanische Republik.

"Heute war es eine ganz andere Situation, der Ball hat sich bewegt und wir haben besser getroffen", sagte Topscorer Maxi Kleber (18 Punkte) bei MagentaSport, "wir hatten extrem viel Wut im Bauch, aber zurückblicken bringt nichts mehr." Jordanien und die Dominikanische Republik, das waren Gegner, die man sicher schlagen wollte auf dem Weg ins Viertelfinale. Eine Generation, die es weit bringen kann, NBA-Erfahrung wie nie zuvor - es ist eine enorme Fallhöhe, die der deutsche Basketball gerade bewältigen muss. Vom Mitfavoriten zur größten Enttäuschung dieser WM. Gegen Jordanien, immerhin das, verhinderten Dennis Schröder&Co. den Aufprall auf dem absoluten Tiefpunkt dank eines Auftritts, bei dem plötzlich vieles klappte, was zuvor verborgen blieb.

Ein paar Antworten lieferte die Mannschaft auch an all jene, die ihr interne Zerrissenheit, attestiert hatten. Vieles hatte sich nach dem Spiel gegen die Dominikaner ja auf Anführer Schröder kapriziert, dessen Alleingänge den Spielfluss gehemmt hatten. Der Aufbauspieler selbst sprach mangelnden Teamspirit unverblümt an, während einige Kollegen sich nicht genug eingebunden fühlten. Wer wollte, konnte also Zeichen einer Zerklüftung erkennen, doch womöglich ist die Aufarbeitung des Desasters schlicht ein laufender Prozess. Und der ist nun zukunftsweisend.

Am Mittwoch soll es eine teaminterne Krisensitzung gegeben haben. Deren Ergebnis: Demonstrativer Zusammenhalt schon in den ersten Minuten gegen Jordanien. Plötzlich jubelte die Bank kräftig mit, als Kleber (Dallas Mavericks) den wohl spektakulärsten Dunking des Turniers durch die Reuse stopfte. Auf einmal flog der Ball über viele Stationen durch deutsche Hände, ehe auch Paul Zipser (12 Zähler) und Danilo Barthel (13) ihre Händchen wieder fanden. Und Schröder verteilte tüchtig wie ein Oberkellner seine Zuspiele (insgesamt elf Assists).

Keiner schimpfte, keiner meckerte, jeder durfte mal. Basketball, das Spiel aus Balance und Rhythmus, kann einfach sein, wenn man es zusammen angeht - zu dieser banalen Erkenntnis kam die DBB-Auswahl leider ein Stück zu spät. Fraglich ist zudem, ob Schröder seine Art zu spielen dauerhaft anpasst. Er sagte trotzig: "Ich spiel' mein Spiel - oder ich spiel' gar nicht. Ich will aggressiv sein und meine Mitspieler einsetzen." Das tat er diesmal - doch für ein nachhaltig funktionierendes Konzept braucht es mehr Bewegung, mehr Angriffsoptionen und weniger Schröder-gegen-alle.

Gegen Jordanien warf der NBA-Mann aus Oklahoma nur sechs Mal auf den Korb, die Ausgeglichenheit der Offensive brachte Fluss ins Spiel. Ob er diesen Spagat hinbekommt, daran hängt vieles beim DBB. Es ist ja noch nicht vorbei. Ob der Modus dieser aufgeblähten WM mit 32 Teams für die Deutschen Fluch oder späte Freude ist, darüber entscheiden die nächsten Tage. Zumindest liefert er Gelegenheit, einiges gerade zu rücken, denn es geht weiterhin um Olympia 2020. Um eine Chance zu haben, sich für die Spiele in Tokio zu qualifizieren, müssen die Deutschen ihre beiden verbleibenden Spiele gegen Kanada und Senegal gewinnen.

Zwischen Platz 17 und 22 sollte man landen, denn nur so geht es zu einem der vorolympischen Quali-Turniere im Juni nächsten Jahres. Der Weg zu den Spielen dürfte um die halbe Welt führen, aber eine kleine Chance besteht. "Das ist die Mission jetzt", erklärte Bundestrainer Hendrik Rödl. Er ist bei aller Enttäuschung in China stets um Sachlichkeit bemüht. Rödl spricht und analysiert, an ihm soll es nicht liegen, wenn man die Signale aus dem Team richtig deutet. Immerhin tritt Rödl öffentlich als Erklärer auf - im Gegensatz zu DBB-Präsident Ingo Weiss. Er fehlte am Mittwoch bei einem Meet&Greet mit deutschen Basketballfans in Shenzhen.

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SZ vom 6.9.19
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