Süddeutsche Zeitung

NFL-Footballer Antonio Brown:Ein Skandal zu viel

Lesezeit: 4 min

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Und dann tut Drew Rosenhaus tatsächlich so, als sei das alles nur ein Kapitel der Seifenoper. "Es ist schade, dass es mit den Patriots nicht geklappt hat", schreibt der Manager des Footballprofis Antonio Brown bei Twitter, als hätten zwei Erwachsene nach der ersten Verabredung festgestellt, dass es nicht klappen wird mit einer längeren Romanze: "Antonio ist gesund, er freut sich auf seine nächste Chance in der NFL." Er habe bereits Kontakt zu Vereinen aufgenommen, die an den Diensten des Passempfängers interessiert seien.

Die Antwort an Rosenhaus kann nur sein: Das ist keine Seifenoper mehr. Es geht nicht mehr darum, ob sich Brown wie eine Diva benimmt und legendäre Störenfriede des Sports wie Dennis Rodman (Basketball), Barry Bonds (Baseball) und Mario Basler (Fußball) wirken lässt wie Chorknaben. Es steht nicht mehr zur Debatte, ob er mit einem Heißluftballon zum Training erscheint; ob er sich einen Streit mit der US-Profiliga NFL über seinen Helm liefert; ob er sich die nackten Füße in einer Kältekammer verletzt. Auch dass er sich mit Kollegen zankt oder nicht respektiert fühlt, scheint inzwischen nebensächlich zu sein.

Aus der Seifenoper ist erst ein Drama und nun ein Krimi geworden. Es geht um unbezahlte Rechnungen, Rassismus, sexuelle Nötigung, häusliche Gewalt und, das ist der schlimmste Vorwurf: Vergewaltigung. Die Physiotherapeutin Britney Taylor wirft ihm vor, sie im Jahr 2017 gegen ihren Willen geküsst zu haben, am 20. Mai 2018 soll er sie vergewaltigt haben. Sie hat Zivilklage eingereicht, Browns Anwalt Darren Heitner bestreitet die Vorwürfe, er spricht von einer "einvernehmlichen Beziehung".

Antonio Brown, 31, ist in den vergangenen Jahren der beste Passempfänger der Liga gewesen und immer auch eine schillernde Figur. Im Profisport wird das Verhalten der Besten abseits des Spielfelds meist toleriert, solange sie auf dem Platz ordentliche Leistungen zeigen. Die Pittsburgh Steelers akzeptierten die Attitüde bis zum letzten Spieltag der vorigen Saison, dann erschien Brown nach einem Streit mit Quarterback Ben Roethlisberger nicht zur bedeutsamen letzten Partie der regulären Spielzeit.

Die Steelers schickten ihn im März im Tausch gegen zwei Nachwuchsspieler zu den Oakland Raiders, dort begann zunächst eine weitere Folge der Antonio-Brown-Show mit den erwähnten Extravaganzen, die in der Dokuserie "Hard Knocks" im Pay-TV-Kanal HBO zu bestaunen waren. Dann lieferte sich Brown beim Training einen Disput mit Raiders-Manager Mike Maycock, er soll ihn dabei rassistisch beleidigt und ihm Prügel angedroht haben. Die Raiders entließen Brown noch vor dem ersten Saisonspiel - wohl auch deshalb, weil sie ihm dann keinen Cent des 50-Millionen-Dollar-Vertrages für insgesamt drei Spielzeiten zahlen mussten.

Die New England Patriots, bekannt dafür, unbequeme Akteure bändigen zu können, sicherten sich die Dienste von Brown. Beim ersten Spiel gegen die unterirdischen Miami Dolphins fing er vier Zuspiele von Quarterback Tom Brady und trug einen Ball in die gegnerische Endzone. Es sah so aus, als könne Brown die Probleme, die vor der Partie aufgetaucht waren, mal wieder mit erstaunlichen Vorführungen auf dem Spielfeld beseitigen. Und die Patriots sind auch bekannt dafür, mit den Problemen ihrer Spieler so umzugehen, dass die Öffentlichkeit kaum was erfährt und die Akteure weiterhin auf dem Feld stehen dürfen.

Nur: Ein Artikel der gewöhnlich gut unterrichteten Zeitschrift Sports Illustrated zeichnet das Bild eines Sportlers, der aufgrund von Reichtum und Ruhm glaubt, sich beinahe alles erlauben zu dürfen. Er habe Geschäftspartner um Geld betrogen, rassistische und sexistische Äußerungen ("cracker" für hellhäutige Menschen oder "bitches" für Frauen) seien für ihn selbstverständlich. Wie auch Wutanfälle mit aus dem Fenster geworfenen Möbeln.

Auffällig ist der rote Faden, der sich durch all die Geschichten zieht: Brown, der sich aus ärmlichen Verhältnissen zum Multimillionär hochgearbeitet hat, sieht sich selbst stets als Opfer und vermutet fast überall eine Verschwörung gegen sich. Schuld am sportlichen Misserfolg seien törichte Mitspieler und ahnungslose Trainer, Rechnungen seien wegen diebischer Geschäftspartner nicht bezahlt worden. Frauen würden ihn ausnutzen wollen und müssten deshalb bloßgestellt werden.

Eine dieser Frauen ist eine Künstlerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sie habe eine Wandmalerei von Brown in dessen Haus anfertigen sollen, dabei sei sie vom nur mit einem Minihandtuch bekleideten Brown bedrängt worden. "Ich bin leider sehr häufig von Männern angemacht worden, also bin ich ruhig geblieben und habe weiter gearbeitet", wird die Künstlerin von Sports Illustrated zitiert: "Danach war es aber ganz schnell vorbei."

Sie habe ihre Arbeit nicht beenden dürfen und sei auch nicht von Brown bezahlt worden. Nach dem Erscheinen des Artikels soll Brown der Künstlerin Textnachrichten geschickt haben, in denen er sie beschimpft und bedroht habe - letztlich der Grund für die Entlassung bei den Patriots. Von den ursprünglich im Vertrag vermerkten zehn Millionen Dollar dürften der Verein wohl lediglich 158 333 Dollar bezahlen müssen. Brown ist nun ein sogenannter Free Agent, er darf bei jedem NFL-Klub einen Vertrag unterschreiben - was zum Twitter-Eintrag von Browns Manager Rosenhaus führt.

Doch es gibt da noch mehrere Vorwürfe, die NFL hat angekündigt, eine eigene Untersuchung des Falls einzuleiten. Die beiden wichtigsten Sätze im Statement: Sollte er einen Vertrag bei einem Verein unterzeichnen, könnte es passieren, dass er nicht eingesetzt werden dürfe. Und sollte herauskommen, dass er gegen die Richtlinien der Liga oder das Gesetz verstoßen habe, könnte er suspendiert werden. Jeder Klub muss sich überlegen, ob er Brown wirklich verpflichten will. Aus dem Umfeld der Liga heißt es, dass die NFL nicht damit rechne, dass Brown vor dem Ende der Untersuchung den vierten Verein innerhalb von sechs Monaten findet; es sind ja ohnehin nur noch 29 Franchises übrig.

Es ist Brown bislang gelungen, sich bei allen Kapiteln dieser Seifenoper als Opfer darzustellen. Das versucht er nun wieder, in einer Serie von Einträgen bei Twitter beschwert er sich am Sonntagmorgen über ungerechte Behandlung und sagt, dass er unter diesen Umständen nicht mehr in der NFL spielen wolle. Er ist aufgrund seines Erfolgs auf dem Spielfeld gewohnt, dass die Leute diesem Narrativ folgen. In einer Seifenoper mag das funktionieren, in einem Drama womöglich auch noch - nicht aber in einem Krimi, bei dem Brown derzeit im Verdacht steht, der Täter zu sein.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2019
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