Süddeutsche Zeitung

Angelique Kerber:Ihr Team zeigt Kerber den Weg

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Die Mutter fragt, wann der Zinnober vorbei sei, die Physiotherapeutin sorgt sich ums Essen. Ihren Erfolg bei den US Open verdankt Kerber auch der Mannschaft im Hintergrund.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es ist natürlich eine fürchterliche Floskel, wenn jemand sagt, er sei seinen eigenen Weg gegangen - so etwas darf ohne Ironie nur Frank Sinatra behaupten. Angelique Kerber nutzte diese Aussage als Abwehrmechanismus auf die tägliche Frage nach Steffi Graf. Ja, sagt Kerber dann immer, sie habe Graf getroffen, sie würde zu ihr aufsehen und sich auch wunderbar mit ihr verstehen - sie müsse jedoch ihren eigenen Weg gehen. Kerber könnte auch sagen: Guckt Euch doch mal um in diesem Spielergarten, wer neben mir sitzt!

Wer tatsächlich mal nachsieht, wer da sitzt oder steht, der entdeckt einen Trainer, der sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern beim Termin vor der Unisphere-Statue mit Fotografen um einen günstigen Platz rangelt, damit er mit seinem Handy ein schönes Bild aufnehmen kann. Torben Beltz kennt Kerber seit mehr als 13 Jahren, die beiden sagen übereinander, dass sie sich - noch so eine Floskel - blind vertrauen würden. Daneben sitzt oft Kerbers Mutter Beata, der all der Rummel ein bisschen peinlich ist und die auch mal vorsichtig fragt, wann der Zinnober denn endlich vorbei sei. Es gibt die Physiotherapeutin Cathrin Junker, deren einzige Sorge ist, dass in New York offensichtlich Prohibition für Sportlernahrung herrscht. Dieses Team schafft es, dass in seiner Mitte eine tiefenentspannte Tennisspielerin ihren eigenen Weg gehen kann. Bis ganz nach oben.

Sieht man sich auf diese Erkenntnis hin im Umfeld der anderen deutschen Spielerinnen um, so findet man dort keinen Teamgeist, der ähnlich förderlich wäre. Andrea Petkovic zum Beispiel saß nach ihrer Zweitrunden-Niederlage im Interviewraum, nuckelte an einem Vitamin-Drink, sagte: "Ich zweifle nicht an mir. Ich vertraue mir zu tausend Prozent" und sprach von einem Besuch bei einem Traumatologen.

Man konnte in New York auch Sabine Lisicki beobachten, die sich in New York vor allem auf der Flucht vor ihrem ehemaligen Trainer Christopher Kas befand. Der betreut mittlerweile Mona Barthel (die sowohl im Einzel als auch Doppel in der ersten Runde scheiterte) und brachte als Helfer ausgerechnet Lisickis ehemalige Liebschaft Oliver Pocher mit. Ideale Bedingungen für Lisicki (und auch für Barthel) sind das gewiss nicht, Lisicki nannte ihre Saison nicht nur "zum Vergessen", "zum Lernen" oder "beschissen", sondern verwendete gleich alle drei Begriffe dafür. Barthel sagte vorsichtshalber mal gar nichts zu dieser seltsamen Konstellation.

Natürlich hat ihr Scheitern jeweils vielfältige Ursachen, gibt es mannigfaltige Gründe für schlechte Ergebnisse, die auch differenziert analysiert werden müssen. Auch muss Kerbers Weg nicht zwangsläufig für andere als Abkürzung zum Erfolg funktionieren. Was zu Kerber passt, mag völlig falsch für Petkovic oder Lisicki sein. Eines lässt sich mit Kerber allerdings feststellen: Wer im Sport erfolgreich sein will, muss seinen eigenen Weg finden - und nicht jahrelang herumirren auf der Suche danach und dabei immer wieder in die gleiche Sackgasse rennen. Eine ganz persönliche Umleitung fand Laura Siegemund, die sich von nun an Grand-Slam-Siegerin nennen darf: Sie nahm im Mixed teil.

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