Süddeutsche Zeitung

Anfang tritt als Werder-Trainer zurück:Mit sofortiger Wirkung

Lesezeit: 4 min

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Markus Anfang wegen des Vorwurfs, ein Impfzertifikat gefälscht zu haben - nun lösen Werder und der Trainer den Vertrag auf. Sollte sich der Verdacht bestätigen, drohen weitere Konsequenzen.

Von Thomas Hürner, Bremen

Beim SV Werder Bremen ist es normal, dass die Verantwortlichen stets Geschlossenheit und innerbetriebliche Harmonie demonstrieren, auch in turbulenten Zeiten. Diese Haltung gilt als Markenkern des Klubs, doch die sogenannte "Werder-Familie" wurde in letzter Zeit durchaus auf die Probe gestellt. Beim Traditionsklub haben sie einige harte Monate hinter sich: Eine sportliche Talfahrt bis hinunter in die Zweitklassigkeit, besorgniserregende Bilanzen mit tiefroten Zahlen, in den Streik getretene Spieler, eine bisweilen spürbare Unzufriedenheit auf den Tribünen im Bremer Weserstadion.

Und jetzt das.

Am Samstagvormittag gab der SV Werder bekannt, dass Trainer Markus Anfang zurückgetreten ist, zusammen mit seinem Assistenten Florian Junge. Der Grund für die Entscheidung "sind staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen beide Trainer und die dadurch aufkommende Unruhe in und um den Verein herum", heißt es in der Mitteilung des Vereins. Die Verträge von Anfang und Junge werden auf eigenen Wunsch hin aufgelöst, was in diesem Fall von zentraler Bedeutung ist: Es entbindet den Klub von der Verpflichtung, weiter für die Gehälter des Trainerduos aufkommen zu müssen.

Die Anzeige stellte das Bremer Gesundheitsamt

Mit Krisen kennen sie sich inzwischen aus in Bremen, aber dieser Fall ist schon von besonderer Tragweite: Gegen Trainer Anfang, das wurde am Donnerstagabend bekannt, wurde eine Strafanzeige gestellt wegen der Nutzung eines gefälschten Zertifikats zum Nachweis einer Corona-Schutzimpfung. Und zwar nicht von einem anonymen Hinweisgeber, der dem 47-Jährigen oder dem Klub womöglich eins auswischen wollte: Hinter der Anzeige steckte das Bremer Gesundheitsamt.

Erste Unstimmigkeiten waren am Ende der vergangenen Woche aufgetaucht, als die Behörde einen Corona-Fall im Kader des SV Werder auf den Tisch bekam. Verteidiger Marco Friedl war positiv getestet worden, weshalb das Gesundheitsamt seiner routinemäßigen Arbeit nachging: Infektionsketten nachverfolgen sowie das Überprüfen des Impfstatus möglicher Kontaktpersonen, weil sich nicht-geimpfte Personen in einem solchen Fall in Quarantäne begeben müssen. In diesem Zusammenhang sind, so berichten es mehrere Medien übereinstimmend, große Zweifel an der Echtheit des von Anfang vorgelegten Impfzertifikats aufgetreten. Die Chargennummer des Impfstoffs ließ sich offenbar nicht zuordnen, einer der beiden Impftermine überschnitt sich mit einer dienstlichen Verpflichtung des Trainers. Hatte Anfang sich ein gefälschtes Dokument beschafft? Das Gesundheitsamt wurde stutzig und stellte Strafanzeige.

Noch am Freitag stellte sich Werder-Sportchef Frank Baumann hinter seinen Trainer

Anfang bestritt die Vorwürfe noch am Donnerstag vehement, und bis dato waren weder vom Trainer noch vom Klub Aussagen zu vernehmen, die auf ein klares Schuldeingeständnis schließen lassen. Im Gegenteil: Anfang, heißt es in dem Kommuniqué vom Samstag, habe sich "aufgrund der inzwischen extrem belastenden Lage für den Verein, die Mannschaft, meine Familie und auch mich selbst entschieden", den Job als Cheftrainer aufzugeben. Kein Wort von einem möglichen Fehler, was jedoch auch mit den laufenden Ermittlungen zusammenhängen könnte.

Frank Baumann, der Sportchef des SV Werder, hatte Anfang noch am Freitagnachmittag in einem Fernsehinterview verteidigt. Es gebe "keinen Anlass" an der Glaubhaftigkeit von Anfang zu zweifeln, hatte Baumann gesagt. Dann fügte er noch hinzu, dass alle Beteiligten bereit seien, "vollumfänglich" mit den Behörden zu kooperieren. Wer wollte, der konnte bei diesem Vokabular bereits einen Kriminalfall heraufziehen sehen. In einem am Samstag auf der Internetseite des Klubs veröffentlichten Interview-Video erklärte Baumann, dass "weitere Entwicklungen" und eine "andere Sachlage" dazu geführt hätte, dann doch den Bruch mit dem "wichtigsten Mitarbeiter" des SV Werder zu vollziehen.

Sollten sich die Anschuldigungen erhärten, dann droht Anfang großes Ungemach: Seine Karriere als Trainer dürfte zumindest vorläufig beendet sein, da er sowohl den eigenen Klub als auch die Öffentlichkeit belogen hätte. Der Bild erzählte Anfang noch vor knapp einer Woche: "Ich bin selbst geimpft, aber jeder darf seine Entscheidung treffen." Außerdem hätte er sich der Dokumentenfälschung schuldig gemacht, was mit einer Geldstrafe oder im schlimmsten Fall sogar mit einer Haftstrafe geahndet wird. Die Staatsanwaltschaft Bremen, so berichtet es das Portal Deichstube, hat noch am Freitagabend die Impfpässe von Anfang und Co-Trainer Junge beschlagnahmt.

Bei seinem Dienstantritt als Werder-Coach, so viel ist bekannt, war Anfang jedenfalls noch nicht geimpft. Daraus hatte der Trainer, für den weiterhin die Unschuldsvermutung gilt, allerdings auch kein Geheimnis gemacht. Im Sommer warteten noch viele Menschen auf ihre Impfung. Allerdings, und jetzt wird es pikant, habe Anfang laut Weser-Kurier dem Klub im Herbst einen Impfnachweis vorgelegt, weshalb er fortan nicht mehr an den obligatorischen Testreihen teilnehmen musste. War der Coach also ungeimpft und ungetestet im Kontakt mit den Spielern, nahezu täglich auf dem Trainingsplatz und in der Kabine, während bundesweit die Infektionszahlen in die Höhe schießen? Auch das steht jetzt natürlich im Raum.

Trainer Anfang sollte Werder in eine bessere Zukunft leiten

Rein sportlich ist der Schaden bereits immens für den SV Werder. Anfang war der absolute Wunschkandidat der Klubführung, er wurde gegen eine Ablösezahlung von angeblich 400 000 Euro aus Darmstadt an die Weser gelotst. Viel Geld für die klammen Bremer, die sich mit dem Coach auf ein gemeinsames Narrativ verständigt hatten: "Wiederaufbau statt Wiederaufstieg." Unablässig wiederholten alle Beteiligten diesen Satz, die aktuelle Saison wurde als der Übergang in eine bessere Zukunft gesehen - eine Zukunft mit Trainer Anfang, der in Bremen einen Stift in die Hand bekam, mit dem er nach den zuletzt unruhigen und enttäuschenden Monaten eine lange Linie zeichnen sollte.

Am Samstagabend empfing Werder den FC Schalke 04, zum Top-Spiel in der zweiten Liga. Von der Seitenlinie aus betreute der Co-Trainer Danjiel Zenkovic mit dem verbliebenen Trainerteam das Team. Das Ergebnis der Partie - ein 1:1, das die Bremer in letzter Minute durch einen Elfmeter von Niclas Füllkrug schafften - wurde danach heftig gefeiert. Trotzdem war es aber eher nicht das bestimmende Thema an diesem Abend im Bremer Weserstadion.

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