Süddeutsche Zeitung

Tennisprofi Alexander Zverev:"Gott, bin ich froh, dass ich wieder in München bin"

Lesezeit: 3 min

Von Gerald Kleffmann, München

Nein, nein, er dürfe jetzt nicht auf den Center Court, sagte der Sicherheitsmann oberhalb der Treppe und ließ sich auch nicht erweichen, als ihm Juan Ignacio Londero im Handy etwas zeigte. Vermutlich war es sein Spielerprofil. Oder die Auslosung. Am Mittwochnachmittag, das konnte der 25 Jahre alte Argentinier mit Fug und Recht behaupten, würde er ja gegen die Nummers eins des Turniers exakt hier unten antreten. Wenigstens am Tag zuvor wollte er sich den Tennisplatz im Stadion des MTTC Iphitos ansehen. Unten lief gerade ein Match. Aber der Mann im Security-Dress blieb eisern. Londero schaute fassungslos, und in diesem Moment wirkte es so, als ginge es dem Aufpasser auch um die Entsendung einer wichtigen Botschaft: Jetzt müssen alle etwas tun, um diesem Zverev zu helfen. Irgendwie muss der doch aus dem sportlichen Tief kommen.

In den vergangenen Wochen hatte Zverev die Erfahrung machen müssen, dass manchmal im Leben eins zum anderen kommt, plötzlich sind die Gedanken woanders, schon handeln die Schlagzeilen nicht mehr von Siegen und sonstigen Erfolgsmeldungen, sondern von Zweifeln und unerfreulichen Nachrichten. Von 19 Partien hatte er sieben verloren, das ist viel für einen zehnmaligen Turniersieger, eine Nummer drei der Welt, einen Sieger der ATP-Finals.

Leicht demoralisiert hatte Zverev vor diesen BMW Open, die er in den vergangenen zwei Jahren gewonnen hatte, verraten, dass ihm nicht nur die zuletzt erlittenen Niederlagen zusetzten. Sein Vater Alexander, der auch sein Coach seit den Kindheitstagen ist, musste kürzlich ins Krankenhaus und fehlte erstmals; mit der Freundin ist zudem auch Schluss. Tja.

Vater Alexander überraschte seinen Sohn in München

In München hofft Zverev nun auf eine Art Neustart inmitten der Saison, zumindest der Auftakt gelang ihm: Das 7:5, 6:1 in der zweiten Runde nach einem Freilos gegen Londero (ATP-Nr. 80) war nicht immer glanzvoll (ein paar Passierbälle schon) - und doch ein befreiendes Erlebnis. "Gott, bin ich froh, dass ich wieder in München bin", gestand er schmunzelnd beim Court-Interview, "jedes Mal, wenn ich hier wieder auf dem Platz stehe, ist so ein Selbstbewusstsein da."

Londero übrigens war nicht zu unterschätzen. Zäh spielt er, zäh ist er. Bis zum Februar hatte er noch nie ein Match auf der ATP Tour gewonnen. Dann holte er den Titel in seiner Heimatstadt Cordoba. "Für eine erste Runde war das Wahnsinn heute", sagte Zverev zum Publikum; das Stadion war mit 3500 Zuschauern randvoll gewesen, wie bei einer Finalkulisse; Boris Becker, Head of Men's Tennis des Deutschen Tennis-Bundes, Davis-Cup-Teamchef Michael Kohlmann, auch viele DTB-Nachwuchsspieler schauten zu. In den Logen der Sponsoren oberhalb des Platzes herrschte Gedränge. Es war, als fieberten alle mit, wie Zverev wohl diese für ihn neue Situation meistern würde.

Dass er in jedem Fall in einer Phase steckt, in der er spielerisch einiges justieren muss, betonte er selbst nach dem Match. "In den letzten Wochen, wenn es eng geworden ist, wurde ich defensiv", analysierte Zverev, gegen Londero sei er diesmal aber "aggressiv geblieben". Tatsächlich hatte er etwas wacklig agiert zu Beginn, gleich sein erstes Aufschlagspiel ohne Punktgewinn verloren, dann 4:1 geführt, kassierte das Re-Break, 4:4, 5:5. Zverev verheimlichte nicht seine Probleme, "trotzdem habe ich Wege gefunden", resümierte er. Wäre er Fußballer, könnte man behaupten, er versucht nun über den Kampf zum Spiel zu kommen. Die "positive Energie", die ihm das Publikum vermittelte, habe ihm dabei geholfen, versicherte er. Und auch, dass sein Vater wieder genesen ist und am Vorabend den "letzten Zug" genommen hatte, um seinen Sohn zu unterstützen. Er saß in der Box. Einzig an der Liebesfront gibt es nichts Neues.

Für das Münchner Turnier, das traditionell wie alle deutschen Turniere stets von Triumphen heimischer Spieler lebt, war Zverevs kleiner erster Erfolg nicht unbedeutend. In der ersten Runde waren vier DTB-Profis ausgeschieden (Jan-Lennard Struff, Maximilian Marterer, Mischa Zverev, Yannick Maden). Der dreimalige Turniersieger Philipp Kohlschreiber immerhin kam weiter und trifft nach dem 6:2, 7:5 gegen den Italiener Andreas Seppi an diesem Donnerstag auf den Russen Karen Chatschanow, Nummer zwei der Setzliste. Und Rudolf Molleker, 18, nutzte seine Wildcard, bezwang den Rumänen Marius Copil (7:6, 4:6, 6:4) und darf sich nun mit dem erfahrenen Spanier Roberto Bautista Agut messen. Zverevs Viertelfinalgegner am Freitag ist der Chilene Cristian Garin.

Vorausblickend hatte Zverev nur einen Wunsch: dass das Wetter sich zusammenreißt. "Wenn wir es uns wünschen, passiert es", hatte er lachend auf dem Center Court bezüglich der schlechten Prognose gemeint. Alle müssen jetzt eben ihren Beitrag leisten, damit Deutschlands bester Profi wirklich ein Turnaround-Turnier schafft.

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SZ vom 02.05.2019
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