Süddeutsche Zeitung

Ärzte-Rücktritt beim FC Bayern:Diagnose: Eskalation

Lesezeit: 4 min

Von Thomas Hummel

Wer wissen wollte, wie es um das Verhältnis von Pep Guardiola zum Ärzteteam des FC Bayern München steht, der musste ihn nur auf die verletzten Spieler ansprechen. Seit Monaten folgte darauf immer die gleiche Gestik und Mimik: Stirn in Falten, Hände abwehrend oder verschränkt, Mundwinkel nach unten. "Da müssen Sie die Ärzte fragen, ich weiß es nicht."

Dies führte jedes Mal unweigerlich zum Gedanken: Ja, redet ihr denn nicht miteinander? Eine Antwort auf diese Frage war niemals einzuholen, weil sich weder Guardiola noch der Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt noch der FC Bayern detailliert dazu äußern wollten.

Jetzt muss man feststellen: Geredet haben sie wohl schon, doch verstanden haben sie sich nicht. Am Donnerstag entschloss sich die medizinische Leitung des Klubs, das andauernde Scharmützel mit dem Trainer mittels eines Böllerschusses zu beenden: Müller-Wohlfahrt, sein Sohn Kilian sowie Peter Ueblacker und Lutz Hänsel treten mit sofortiger Wirkung zurück.

Bei Sportlern ist Müller-Wohlfahrt extrem beliebt

Allerdings nicht ohne schwere Vorwürfe in Richtung der sportlichen Leitung auszusenden. "Nach dem Champions-League-Spiel des FC Bayern München gegen den FC Porto wurde aus uns unerklärlichen Gründen die medizinische Abteilung für die Niederlage hauptverantwortlich gemacht", heißt es in einer Erklärung. Man sehe dadurch das für eine erfolgreiche medizinische Arbeit notwendige Vertrauensverhältnis nachhaltig beschädigt. Nähere Angaben machten die Ärzte nicht. Dass Müller-Wohlfahrt an die Öffentlichkeit ging, ohne zuvor den FC Bayern zu benachrichtigen, gibt einen Hinweis, wie zerrüttet das Verhältnis sein muss.

Mittlerweile hat sich auch der Verein zum überraschenden Abgang seines Leibarztes geäußert - allerdings ohne seinerseits eine Erklärung für die Geschehnisse anzubieten. "Müller-Wohlfahrt, aber auch sein Team, haben in den zurückliegenden Jahren erstklassige Arbeit für den Klub und seine Spieler geleistet. Hierfür gilt unser ausdrücklicher Dank", heißt es in einer offiziellen Erklärung. Und dann geht es auch schon um die Nachfolge von Müller-Wohlfahrt.

In jedem anderen Fußballverein wäre die Demission des Klubarztes höchstens eine Fußnote. Bei Müller-Wohlfahrt ist das anders. Als der heute 72-Jährige 1977 bei den Bayern anfing, spielten noch Gerd Müller, Sepp Maier und Uli Hoeneß. Seine wehenden Haare, wenn er über das Spielfeld zu einem lädierten Spieler läuft, gehören zum Inventar des Klubs wie das Maskottchen. Längst ist er auch Arzt der deutschen Nationalmannschaft und wurde in Brasilien Weltmeister. Er ist eine Ikone der Sportmedizin, Usain Bolt, Kobe Bryant oder Felix Neureuther sind seine Patienten. Auch die Größen aus dem Showbusiness oder der Politik lassen sich bei ihm behandeln. Seine Methoden sind in der Branche umstritten, doch bei den Sportlern ist er extrem beliebt. Von denen wird er nur "Der Mull" genannt.

Auch unter Klinsmann schmiss der Mull hin

Der Doktor ist so berühmt und groß geworden, dass er auch seine eigene Arbeitsweise installiert hat. Das hatte schon Jürgen Klinsmann als Trainer nicht gepasst. Unter Klinsmann schmiss Müller-Wohlfahrt 2008 zum bislang einzigen Mal hin, damals offiziell wegen Überlastung. Nach dessen Rauswurf war der Mull allerdings sogleich zurück.

Klinsmann und Guardiola haben gemein, dass es ihnen missfiel, den Doktor nicht ständig auf dem Trainingsplatz zu haben. Wenn sich beim FC Bayern jemand wehtut, dann kümmern sich zuerst die Physiotherapeuten um den Spieler. Ist es was Schlimmeres, muss er in die Praxis des Arztes in die Münchner Innenstadt gebracht werden. Guardiola war das aus Barcelona anders gewohnt. Der Streitpunkt wurde im Winter insofern gelöst, als Kilian Müller-Wohlfahrt, Sohn und ebenfalls Arzt, von da an ständig bei der Mannschaft blieb. Was allerdings wie ein Alibi wirkte, denn die Profis fuhren trotzdem weiterhin zum Vater in die Stadt.

Doch zwischen Guardiola und Müller-Wohlfahrt taten sich größere Gräben auf. Es ist der Disput zweier sehr selbstbewusster und stolzer Männer, die es nicht gewohnt sind, dass ihnen jemand in ihre Arbeit reinredet. Ein Machtkampf um die richtige Art und Weise, wie angeschlagene Spieler betreut werden sollen und welche Anstrengungen unternommen werden müssen, damit diese so schnell wie möglich auf den Platz zurückkehren. Guardiola will zudem angeschlagene Spieler so spät wie möglich abschreiben, am besten erst kurz vor dem Anpfiff. Müller-Wohlfahrt findet hingegen, dass ihnen die Reisestrapazen erlassen werden sollten.

Der erste offensichtliche Streit hatte sich um Thiago Alcántara entsponnen. Als sich der im März 2014 das Innenband im Knie riss, schickte Guardiola den Spanier nicht zum Bayern-Doc, sondern zu einem Arzt nach Spanien. Angeblich soll dieser Thiago mit Cortison behandelt haben, damit er im Saisonfinale und bei der WM mitspielen kann. Jedenfalls riss sich Thiago in den folgenden Monaten noch zweimal das Innenband und kehrte erst mehr als ein Jahr später auf den Rasen zurück.

Zuletzt taten sich weitere Streitfälle auf. Franck Ribéry laboriert seit einigen Wochen an einer mysteriösen Verletzung im Sprunggelenk. Bastian Schweinsteiger fiel immer wieder mit Knieproblemen aus. Jetzt ist ein Video aufgetaucht, in dem Guardiola nach der Muskelverletzung von Medhi Benatia in Leverkusen dem Ärzteteam höhnisch applaudiert haben soll.

Kleinlaut nach dem Porto-Spiel

Guardiola muss ausgerechnet jetzt im April, wenn die großen Titel vergeben werden, auf viele Spieler verzichten. Robben, Ribéry, Alaba, Schweinsteiger, Benatia, Martínez - alle nicht mit in Porto. Am Ende musste Jérôme Boateng im Mittelfeld aushelfen, nach dem 1:3 ist die Gefahr eines frühen Ausscheidens im Viertelfinale groß. Offenbar hat der empfindliche, aber auch machtbewusste Erfolgsmensch nun im Zorn die Mediziner angegriffen.

In der Öffentlichkeit wirkte Guardiola nach dem Porto-Spiel resigniert und kleinlaut. Er sprach von einer "schwierigen Angelegenheit, auch mit Thiago ist es kompliziert". Die Sportbild berichtet, dass Müller-Wohlfahrt seinerseits sehr aufgewühlt gewirkt habe und sich weder zu Thiago noch zu Ribéry habe äußern wollen.

Mitten hinein in die entscheidende Saisonphase erlebt der FC Bayern nun erstmals unter Guardiola eine Unruhe, die an frühere, wilde Zeiten erinnert. Und vor allem: Er steht nun ohne festes Ärzteteam da, vorrübergehend wird sich Unfallchirurg und Sportmediziner Volker Braun um die Profis kümmern. Angeblich sollen auch noch die Physiotherapeuten einen Rücktritt erwägen. Am Samstag spielt der Klub in Hoffenheim, am Dienstag folgt das Rückspiel gegen Porto.

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