Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV:"Wahrscheinlich etwas für den Psychologen"

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Der HSV verspielt beim 3:3 gegen Kiel wieder Punkte durch ein spätes Gegentor. Die Bemühungen um den Aufstieg geraten zum Drama.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Es hätte viele schöne Geschichten gegeben nach einem Sieg des Hamburger SV gegen Holstein Kiel: über den Wintertransfer des Leverkuseners Joel Pohjanpalo, der im Nordderby seine Tore sechs und sieben erzielte und schon als bester HSV-Kopfballspieler seit Horst Hrubesch gepriesen wird; oder über den Außenverteidiger Tim Leibold, der zum 2:1 bereits seine 18. Torvorlage gab. Auch Kapitän Aaron Hunt wäre eine Story wert gewesen, denn so laufstark wie am Montagabend, auch in der Defensive, hat man ihn selten gesehen. Mit dem 20. Saisoneinsatz hat sich der Vertrag des 33-jährigen Spielmachers zudem bis 2021 verlängert.

Julian Pollersbeck wäre auch erwähnenswert gewesen. Der einstige U21- Nationaltorwart, der schon als ausgemustert galt, verhinderte in der Nachspielzeit mit einer tollen Parade das Kieler 3:3. Aber dieser Ausgleich fiel doch noch (90.+4): Holstein-Angreifer Lee spitzelte den Ball am machtlosen Pollersbeck vorbei, weil HSV-Verteidiger Letschert zu zögerlich auf den wieseligen Koreaner reagierte.

So langsam wird das neuerliche Bemühen des HSV um den Wiederaufstieg in die erste Liga zum Drama. Allein in den vergangenen vier Spielen versemmelte man fünf Punkte durch Gegentore in der Nachspielzeit: erst beim 2:2 in Fürth, dann beim 2:3 nach 2:0-Führung in Stuttgart, wodurch der Hauptkonkurrent VfB auch noch zwei Punkte dazubekam. Und nun verpasste der HSV gegen Kiel die mögliche Rückkehr auf Platz zwei. Wie tief dieser nächste Schlag sitzt, sah man daran, dass sich keiner der frustrierten HSV-Profis zum Interview stellte. Verteidiger van Drongelen kämpfte gar mit den Tränen.

Viele rund um den Klub hätten eine fatalistische Haltung, sagt Ex-Vorstand Becker

Hat der HSV also im Aufstiegsendspurt ein mentales Problem? Der restlos bediente Trainer Dieter Hecking räumte ein, die Sache sei nun "wahrscheinlich etwas für den Psychologen". So sieht es auch Ralf Becker, der 2019 nach dem verpassten Wiederaufstieg entlassene Sportvorstand. Wegen der vielen Negativerlebnissen der Vorjahre beim HSV, glaubt Becker, "schwingt auch immer die Angst vor dem nächsten Tiefschlag mit". Das zu ändern, sei "nicht einfach, aber wichtig". Viele rund um den Klub hätten inzwischen die fatalistische Haltung: "Das wird wieder nichts."

Das Nordderby war ein Schauspiel, das viele Zuschauer verdient gehabt hätte. Schon in der 23. Minute verwandelte der HSV ein frühes Gegentor in ein 2:1. Hunt nutzte ein Elfmeter-Geschenk zum Ausgleich, ein weiterer Strafstoßpfiff für den HSV wurde nach der Pause vom Videoassistenten revidiert. Dazu kam ein annulliertes HSV-Tor von van Drongelen, weil Bakery Jatta im Abseits stand. Dann folgte das 2:2 (64.), auf das der HSV sofort mit dem 3:2 (67.) konterte, weil der frühere Kieler David Kinsombi eine Manni-Kaltz-Gedächtnisflanke auf Hrubesch alias Pohjanpalo schlug. Doch am bitteren Ende für Hamburg galt, was immer gilt: "Gegen den HSV", sagte Kiels 1:0-Torschütze Alexander Mühling, "da gibt man immer ein paar Prozent mehr."

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SZ vom 10.06.2020
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