Süddeutsche Zeitung

1860 München:"Er hat was anderes im Kopf - das ist Fußball"

Lesezeit: 3 min

Von Markus Schäflein

Es war die 40. Minute, als sich Marnon Busch auf der rechten Seite entschloss, einen Rückpass auf Sebastian Boenisch zu spielen, und als sich Boenisch entschloss, den Ball nicht wegzudreschen, sondern passieren zu lassen, um etwas Besseres damit anzufangen, und als Dimitrij Nazarov die Situation nutzte, dazwischenging und von Boenisch gefoult wurde.

Elfmeter, Nazarov verwandelte selbst, 1:0, Rot für Boenisch - der Anfang von jenem Ende, an dem der TSV 1860 München beim direkten Konkurrenten in Aue 0:3 verlor und ganz tief zurück in den Kampf um den Klassenverbleib rutschte. Ausgerechnet Boenisch war wieder im Mittelpunkt, der ja schon beim 1:1 gegen den VfB Stuttgart den Ausgleich in der Nachspielzeit verursacht hatte. "Ich werde angespielt, spiele zurück, gehe davon aus, dass er ihn direkt klärt", beschrieb Busch die Szene hinterher bei Sky, "er hat was anderes im Kopf - das ist Fußball."

Bis zu jener 40. Minute, in denen Busch und Boenisch Unterschiedliches im Kopf hatten, hatte 1860 drei gute Chancen gehabt, Aue gar keine. Zuerst traf Levent Aycicek, der den gesperrten Amilton vertrat, mit einem Schuss aus halblinker Position das Außennetz (7.). Dann eroberte Stefan Aigner den Ball gegen Steve Breitkreuz und setzte Christian Gytkjaer in Szene; der Stürmer, dem Trainer Vitor Pereira diesmal den Vorzug vor Ivica Olic gegeben hatte, setzte aus 22 Metern zu einem Lupfer an, Aues Torhüter Martin Männel eilte zurück und lenkte den Ball mit Mühe noch über die Querlatte (12.). Und dann setzte Florian Neuhaus, der im Mittelfeld anstelle von Michael Liendl begann, erneut Gytkjaer in Szene; der Däne legte den Ball aus spitzem Winkel mit dem Außenrist ganz knapp am entfernten Pfosten vorbei (22.).

"Wir waren gut im Spiel bis zum Gegentor", meinte Pereira nicht zu Unrecht. "Die rote Karte und der Elfmeter waren entscheidend. Ich hätte gerne gesehen, dass beide Teams elf gegen elf spielen. Das wäre ein tolles Spiel geworden." Aues neuer Erfolgstrainer Domenico Tedesco lässt schließlich ein ähnliches System spielen wie Pereira, ein 3-4-3, das sich bei gegnerischem Ballbesitz zu einem 5-4-1 wandelt. Doch mit einem Duell auf Augenhöhe war es nach dem 0:1 vorbei, Sechzig wurde - mit Jan Mauersberger als neuem Verteidiger, der für Stefan Aigner kam - plötzlich regelrecht vorgeführt. "Wir mussten dann mit Risiko nach vorne spielen", erklärte sich dies Pereira, "dadurch entstanden Räume für Aue."

Und bis der FC Erzgebirge diese Räume nutzte, dauerte es nach dem Seitenwechsel

gerade mal vier Minuten. Ein langer Flachpass von Christian Tiffert, den Nazarov passieren ließ, erreichte schließlich Cebio Soukou, der sich gegen Abdoulaye Ba durchsetzte und zum 2:0 traf. Zwei Chancen, zwei Tore - Aue zeigte sich effektiv, während Sechzig auch mit Olic für Aycicek (54.) und bei seiner vierten Chance nicht traf. Eine scharfe Ecke von Neuhaus klärte Aues Verteidiger Fabian Kalig. Entschieden war die Partie in der 73. Minute: Ba attackierte Nazarov im Strafraum, traf mit dem Fuß nur dessen Bein statt den Ball, Nazarov verwandelte den zweiten Foulelfmeter. "Ich bin trotzdem zufrieden mit der Mannschaft", erklärte Pereira, es sei eben "ein undankbares Spiel für uns" gewesen.

Und es war ein unbarmherziger Spieltag. St. Pauli, Bielefeld, Kaiserslautern - und eben Aue: Bis auf den abgeschlagenen Letzten Karlsruhe haben alle Mannschaften, die sich hinter dem neuen Vierzehnten TSV 1860 in der Zweitligatabelle befanden oder noch befinden, an diesem Spieltag gewonnen. Damit beträgt der Vorsprung der Löwen auf einen direkten Abstiegsplatz nur drei Punkte, auf den Relegationsrang sind es zwei. Optimisten würden anmerken, dass es auch nur vier Punkte bis zu Rang sieben sind - aber dieser Umstand beweist eher, wie kurios und unberechenbar der Abstiegskampf in dieser zweiten Liga geworden ist.

"Die Tabellensituation ist nicht einfach", meinte Pereira dementsprechend, "es ist alles sehr eng. Das wird ein Kampf bis zum Schluss werden." Dabei hatte der Trainer gehofft, dass er mit dem neuen Geschäftsführer Ian Ayre frühzeitig die neue Saison planen könnte, in der der Aufstieg in die erste Liga gelingen soll. Stattdessen muss sich Pereira nun vorerst darauf konzentrieren, den Abstieg in die dritte Liga zu verhindern.

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SZ vom 10.04.2017 / SZ
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