Süddeutsche Zeitung

1860 München in der 3. Liga:Die beste Halbzeit seit sehr, sehr langer Zeit

Lesezeit: 3 min

1860 München führt weiter ungeschlagen die Drittliga-Tabelle an. Beim 4:1 gegen Duisburg fallen alle Tore in der ersten Hälfte - und die Fans besingen erstmals Zugang Albion Vrenezi.

Von Gerhard Fischer

Michael Köllner hielt fünf Finger der linken Hand und vier Finger der rechten Hand nach oben. Es war das Zeichen, dass die Nummer 9 des TSV 1860, Albion Vrenezi, ausgewechselt werden sollte. Vrenezi, der vor der Gegengeraden (vulgo: Stehhalle) stand, setzte sich in Bewegung, er steuerte mit seinem unverwechselbaren, die Füße kaum hebenden Gang auf Köllner zu, und als der Spieler näher kam, erhoben sich die Zuschauer auf der Haupttribüne, sie applaudierten, johlten und riefen "Vrenezi, Vrenezi". Dieser hob die Hände und klatschte auch. Dann umarmte er den Trainer.

Man schrieb die 76. Minute, das Spiel war zu diesem Zeitpunkt längst entschieden. 1860 München (vulgo: der Tabellenführer) führte gegen den MSV Duisburg 4:1, und zwei wunderschöne Treffer hatte Vrenezi beigesteuert. Alle Tore fielen übrigens in der ersten Halbzeit, die aus Löwen-Sicht sicherlich die beste seit sehr, sehr langer Zeit gewesen ist.

Apropos sehr, sehr lange Zeit: Erstmals seit November 2021 stand Daniel Wein in der Startelf der Löwen. Wein, ein spielstarker Sechser, war verletzt gewesen, er hatte schwerwiegende, bisweilen undefinierbare Probleme mit dem linken Fuß gehabt. Nun ersetzte er Quirin Moll, der zuletzt bei Viktoria Köln in alte, überwunden geglaubte Verhaltensmuster zurück gefallen war: Moll wirkte nicht sicher. Außerdem löste Fynn Lakenmacher beim Mittelstürmer-Jobsharing den Kollegen Meris Skenderovic ab - und Vrenezi spielte für Martin Kobylanski.

Die Menschen auf der Haupttribüne, die Vrenezi später frenetisch feiern sollten, hatten sich gerade gesetzt, als der Löwen-Neuner in der ersten Minute entschlossen durch die Duisburger Hälfte marschierte. Schließlich passte er zu Joseph Boyamba, der mit Vrenezi an diesem Tag ein Traumpaar auf der linken Angriffsseite bildete, welches das Löwen-Spiel gehörig mit Tempo auflud - der eine, der Neuner, mit seinen, so Köllner, "kurzen, schnellen Bewegungen", der andere mit seiner kolossalen Sprintstärke. Boyamba flankte umgehend zur Mitte, wo Vrenezi die Vorlage volley ins rechte Eck bugsierte. Lukas Raeder, früher beim FC Bayern II im Tor und an diesem Tag Vertreter des erkrankten Vincent Müller, hatte keine Chance.

Alles gelingt nicht: Torwart Hiller erzielt ein Eigentor

Keine Witze mit Namen, das ist eine Grundregel. Fußballfans halten sich natürlich nicht daran, und so sagte einer, die Duisburger würden nun unter die Räder kommen. Er hatte Recht. In der 12. Minute flankte Stefan Lex, und Lakenmacher köpfelte den Ball ins linke Eck. In der 32. Minute zirkelte Vrenezi die Kugel ziemlich keck in den Winkel. Er sagte hernach, er habe nach seinem ersten Tor eben eine "breitere Brust gehabt" und sich das getraut. Und in der 36. Minute kickte Yannick Deichmann einen Einwurf, den Mann, Maus und alle MSV-Verteidiger verfehlt hatten, aus fünf Metern ins Tor. 4:0. Köllner lief vor Freude aufs Feld, die Löwen-Fans sangen "Oh, wie ist das schön", und am Himmel stand an diesem wechselhaften Septembertag die Sonne und strahlte.

Die Duisburger, die zuvor zweimal vergeblich (und zu Unrecht) einen Elfer gefordert hatten, bekamen in der 42. Minute (mit Recht) einen Strafstoß, denn Wein, der auch das Rustikale in seinem Repertoire führt, hatte Marvin Ajani gerempelt. Moritz Stoppelkamp, ein Ex-Löwe, legte sich den Ball zurecht. "Den hoit da Hilla", rief ein Fan, und Marco Hiller hielt den Ball tatsächlich, er lenkte ihn zur Ecke. Gelang den Löwen heute wirklich alles? Nein! Hiller boxte die folgende Ecke von Stoppelkamp ins eigene Tor - diese Aktion war vermutlich einem Mangel an Konzentration aufgrund vorangegangener Euphorie geschuldet.

Nach der Pause hatte 1860 noch - Moment, ein Blick auf den Spickzettel - null Chancen. Der blaue Faden war gerissen, und am Himmel zogen dunkle Wolken auf. "Unsere zweite Halbzeit war nicht Tabellenführer-like", sagte Kapitän Lex nach dem Spiel. "Eine Spitzenmannschaft wären wir, wenn wir das Ganze souverän runter gespielt hätten." Das war fast schon zu selbstkritisch, aber es passt zu den hungrigen, nie zufriedenen Löwen der Saison 2022/23. Der MSV Duisburg vergab nun einige Möglichkeiten, etwa als Aziz Bouhaddouz frei stehend über das Tor schoss (60.), doch er ergab sich mit zunehmender Spieldauer. Am Ende besangen die Fans sich selbst mit dem blauen Evergreen "Einmal Löwe, immer Löwe", und ein lächelnder Köllner lobte erst die Mannschaft ("sechs Siege in sieben Spielen sind sensationell"), dann die Treffer ("das waren Tore fürs Bilderbuch") und schließlich Vrenezi, der vor der Saison von Türkgücü zu den Löwen gewechselt war: "Die beiden Tore werden ihm gut tun - er ist jetzt bei uns angekommen."

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