Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Von Anfang und Ende

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Erst jetzt, da die Saison auf ihren letzten Metern ist, hat der Club zu sich gefunden. Über einen aufgeregten Verein, einen gesetzten Sportvorstand und eine Frage, die aus der Gegenwart in die Zukunft weist.

Von Sebastian Leisgang, Nürnberg

Gut neun Monate ist das jetzt her. Heute wirkt Dieter Hecking ziemlich abgeklärt, wenn er diese, wie er sagt, "zwei, drei Bauchentscheidungen" erklärt, die er im Sommer des vergangenen Jahres getroffen hat. Aus Hecking spricht dann die Gelassenheit eines Mannes, der seit knapp vier Jahrzehnten als Spieler und Funktionär im Fußball ist. Mittlerweile weiß er ja, dass es gut gegangen ist - dass die Antworten, die er als Sportvorstand gegeben hat, die richtigen Antworten waren.

Eine Woche, sagt Hecking, mehr Zeit sei ihm vor der Saison nicht geblieben, um einen Trainerstab zusammenzustellen. Er selbst war ja auch erst Ende Juli nach Nürnberg gekommen, da habe er sich in der Kürze der Zeit gar nicht sicher sein können, ob es menschlich und fachlich passe mit Robert Klauß. Jetzt aber, sagt Hecking, auf den letzten Metern dieser Saison, da zeige sich ja, dass er mit seiner Entscheidung nicht daneben gelegen habe.

Die Mannschaft hat überzeugt und irritiert, drei Spiele vor Saisonende scheint sie sich gefunden zu haben

Es ist ein ziemlich wechselhaftes Jahr, auf das Nürnberg vor den letzten drei Spielen zurückblickt. Die Mannschaft hat überzeugt und irritiert, sie hat gewonnen und verloren, sie hat Hoffnungen geweckt und Erwartungen enttäuscht. Jetzt aber, da die Saison beinahe vorbei ist, scheint der Club zu sich zu finden. Seit zwei Monaten hat Nürnberg nicht mehr verloren, das Spiel der Mannschaft ist stimmig, und Klauß trifft den Ton. Fügt sich jetzt also alles?

Ein Anruf bei Dieter Hecking. Wie ist es zu erklären, dass der Club seit sieben Spielen ungeschlagen ist? Warum ist die Mannschaft auf einmal derart beständig? Und, das ist letztlich ja die zentrale Frage, weil es eine grundsätzliche ist: Lassen sich die Eindrücke der vergangenen Wochen in einen größeren Rahmen setzen? Weisen die kleinen Erfolge der Gegenwart vielleicht in eine Zukunft, die etwas größer ist?

Hecking, 56, holt aus. Am Vormittag habe er vor der Mannschaft gestanden und den Verlauf der Saison kurz umrissen. Den Spielern habe er etwas mitgegeben, was er nun gerne wiederhole: "Man muss die Saison dritteln", sagt Hecking. Die ersten Wochen seien zäh gewesen, weil die Vorsaison nachgewirkt und die Mannschaft "den Rucksack aus der Relegation mitgeschleppt" habe. Dann habe sie im November und Dezember 13 Punkte aus sieben Spielen geholt, "ohne", wie es Hecking sagt, "die spielerische Leichtigkeit zu haben". Nach einem Tief im Januar sei es im Februar bergauf gegangen - und seit dem Derby Ende März gegen Fürth spiele die Mannschaft, so Hecking, "hervorragenden Fußball".

Alles gut also? Ein normaler Saisonverlauf?

Ja, sagt Hecking. Das Gespräch ist nun an einem Punkt angelangt, an dem man spürt, dass es da etwas gibt, was in ihm arbeitet. Vor der Saison hatten sie in Nürnberg ja davon gesprochen, dass es nach der Last-Minute-Rettung in der Relegation gegen Ingolstadt das Ziel sei, dieses Mal ohne Sorgen durch die Saison zu kommen. Ein Jahr ohne Nöte, mehr sollte es gar nicht sein - dennoch, findet Hecking, habe den Verein in den vergangenen Monaten "latent" das Gefühl umgeben, die Mannschaft stehe am Abgrund. Als gäbe es eben doch Anlass, sich Sorgen zu machen. Und? Gab es?

Der "breitziehende linke Zehner": Das hat Trainer Robert Klauß Spott eingebracht

Hecking verneint. Das Ende dieser Saison könne ein Anfang sein, denn Klauß habe die Lage stets im Griff gehabt. Trotz der Kritik, trotz des Spotts, der Mitte Februar über ihn hereinbrach, als er nach einem Spiel gegen St. Pauli wie ein Wissenschaftler über einen "asymmetrischen Linksverteidiger" und einen "breitziehenden linken Zehner" referierte. "Robert macht in dieser Saison Erfahrungen, die man nicht auf der Schulbank macht", sagt Hecking, "trotzdem hatte er die Kabine immer fest in der Hand."

Alles gut also. Fußball kann nun mal zäh sein, gerade in der zweiten Liga, in der es oft körperlicher zugeht als ganz oben. Es ist nicht immer schön, was dem Fernsehzuschauer in dieser so sonderbaren Corona-Saison geboten wird, Abstiegskampf in Aue, Ballgeschiebe in Braunschweig. Manchmal aber dauert es bloß eine Weile, bis man den Schlüssel gefunden hat. Nürnberg ist der Beleg - auch wenn die Leute da derart ungeduldig sind, dass sie am liebsten gleich die Tür eintreten wollen.

Was will der Club jetzt? Wohin will er? Und wie will er das?

Es sind wichtige Fragen, die Hecking in den nächsten Wochen beantworten muss, um Nürnberg, wie er sagt, "aus den Niederungen der zweiten Liga in Richtung Einstelligkeit" zu führen. Dabei will er "gewisse Kaderplätze dem Nachwuchs offenhalten" und in naher Zukunft Talenten am Valznerweiher eine Perspektive bieten. Zunächst aber muss Hecking diese eine Sache aus der Welt schaffen: Vor zwei Wochen hat der Club Maximilian Knauer für die nächste Saison als Trainer seiner U17-Mannschaft eingestellt, am Sonntag aber wieder Abstand davon genommen. Der Hintergrund: Als Nachwuchstrainer beim FC Bayern war Knauer Teil einer Chatgruppe, in der rassistische Äußerungen kursierten, über die sich Knauer amüsierte. Der Club wollte ihm dennoch, so Hecking, "eine Chance gewähren", beugte sich nun aber dem zunehmenden Druck und gestand "einen Fehler in der Betrachtung". Was bleibt, sind Unverständnis und Unruhe.

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