Süddeutsche Zeitung

1. FC Nürnberg:Schon wieder an der Schwelle

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Der 1. FC Nürnberg spielt 0:0 gegen Hansa Rostock und vertagt die Entscheidung im Abstiegskampf auf den letzten Spieltag - wie 2020 droht die Relegation. Vor allem in der ersten Spielhälfte wird deutlich, welch große Bedeutung die Nerven haben.

Von Sebastian Leisgang

Im Grunde, auf dieses Gedankenspiel kann man ja spätestens jetzt durchaus kommen, im Grunde kann es nur noch so laufen: Der 1. FC Nürnberg verliert am letzten Spieltag in Paderborn und stürzt im Kampf gegen den Abstieg auf den Relegationsplatz, weil Arminia Bielefeld sein Auswärtsspiel in Magdeburg gewinnt. Dann trifft der Club in der Saisonverlängerung auf Dynamo Dresden - und da schießt Christoph Daferner im Rückspiel gegen seinen früheren Verein in der sechsten Minute der Nachspielzeit das entscheidende Tor, das Nürnberg dann doch noch in der zweiten Bundesliga hält.

Ja, es könnte auf ein Herzschlagfinale wie vor drei Jahren hinauslaufen, als sich der Club beim Relegationsduell mit dem FC Ingolstadt erst in der allerletzten Sekunde rettete. Danach sollten wieder gute Zeiten anbrechen, Dieter Hecking kehrte in jenem Sommer als Sportvorstand an den Valznerweiher zurück, in Person von Robert Klauß kam ein neuer Trainer, und der Kader wurde umgebaut. Es sollte alles besser werden, doch nun steht Nürnberg schon wieder an der Schwelle zur Drittklassigkeit.

Am Sonntag trennte sich der FCN mit einem torlosen Unentschieden von Hansa Rostock und ließ damit die Chance verstreichen, den Klassenverbleib vorzeitig sicherzustellen. Vor dem letzten Spieltag hat der Club zwar nach wie vor zwei Punkte Vorsprung auf Bielefeld, jetzt wird allerdings erst in den letzten 90 Minuten der regulären Saison die Frage verhandelt, ob Nürnberg erneut in der Relegation spielen muss - oder ob die Rettung doch ohne Zusatzprogramm gelingt.

"Du musst deine Nerven im Griff haben, weil auf allen Plätzen was passieren wird", sagte Trainer Dieter Hecking mit Blick auf die Aufgabe in Paderborn und sprach damit das an, was seinen Spielern gegen Rostock in der ersten Hälfte nicht gelungen war. Die Mannschaft hatte bis zur Pause ja nicht verbergen können, wie sehr ihr die missliche Lage mittlerweile zu schaffen macht. "In der ersten Halbzeit waren wir sehr nervös und haben nicht in unsere Abläufe reingefunden", sagte Hecking und war damit auf einer Linie mit seinem Mittelfeldspieler Lino Tempelmann, der fand: "In der ersten Halbzeit hatte man das Gefühl, es hat uns vielleicht gehemmt, dass wir wussten, um was es geht."

Beim Gang zur Nordkurve fliegt der Mannschaft ein Gemisch aus Zuspruch und Verbitterung entgegen

In der zweiten Hälfte besserte sich das Nürnberger Spiel zwar - weil aber die Mittel fehlten, um Rostock in Verlegenheit zu bringen und Fabian Nürnberger eine Minute vor dem Ende auch die beste Torchance vergab, war es am Ende ein Gemisch aus Zuspruch und Verbitterung, das der Mannschaft beim Gang zur Nordkurve entgegenflog. Die Reaktion der Fans bildete zum einen ab, wie viel die Spieler ihnen in dieser Saison schon zugemutet haben - zum anderen aber auch, wie tief ihre Verbundenheit mit dem Verein selbst dann ist, wenn er ihnen über eine ganze Saison hinweg deutlich mehr Kummer als Freude bereitet.

Auch gegen Rostock vertat Nürnberg eine große Chance, obwohl es doch kurz vor der Pause, so Hecking, ""eine Initialzündung" gegeben hatte, nach der sein Team dem Spiel eine Wende hätte verleihen können. Nach einem Freistoß hatte der Ball hinter Carl Klaus im Netz gelegen, Rostocks Damian Roßbach stand allerdings im Abseits, bevor er den Nürnberger Torhüter überwand. Das war dem Schiedsrichtergespann zunächst entgangen, doch der Videoassistent schaltete sich ein und bewahrte Nürnberg vor dem 0:1. Die Szene war ein Warnschuss und hatte eigentlich die Kraft, um dem Club Auftrieb zu geben - jetzt wird sie einem aber nur deshalb im Kopf bleiben, weil sie nicht einer gewissen Ironie entbehrte. Nur ein paar Sekunden nach dem zurückgenommenen Treffer entrollten die Nürnberger Fans ja ein Spruchband, auf dem zu lesen war: "Videobeweis abschaffen".

"Der Realität ins Auge sehen, sonst wird der FCN untergehen", reimen die Fans

Schon in der Anfangsphase war der Anhang eine Forderung losgeworden. "Der Realität ins Auge sehen, sonst wird der FCN untergehen": Diese Worte richteten die Fans an die Verantwortlichen. Es war ein Aufruf, auch dann nicht zur Tagesordnung überzugehen und die missratene Saison einfach eine missratene Saison sein zu lassen, wenn es am kommenden Sonntag in Paderborn zumindest gelingen sollte, die Relegation abzuwenden.

Tatsächlich bedarf es in diesem Sommer einer Grundsatz-Analyse, bei der deutlich mehr aufzuarbeiten ist als nur die Frage, warum es dieser durchaus hochveranlagten Mannschaft in dieser Saison nie gelungen ist, ihr gesamtes Leistungsvermögen auf dem Rasen abzubilden. In den vergangenen Monaten ist derart vieles schiefgegangen, dass sich einiges ändern muss, um tatsächlich jene guten Zeiten einzuläuten, die der Club schon im Sommer 2020 einläuten wollte. Zu mehr als einem Zwischenhoch mit dem achten Platz in der Vorsaison hat es nicht gereicht - und jetzt droht schon wieder die Abstiegsrelegation. 90 Minuten bleiben noch, um sie zu verhindern. Erst dann könnte Daferners Dresden-Szenario seinen Lauf nehmen.

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