Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (280):Falscher Alarm

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Die Artenvielfalt ist ein hohes Gut - umso mehr als sie vom stetigen Schwund bedroht ist. Was also ist mit der "schwindenden Artenvielfalt" zu machen? Ganz sicher muss man nicht vor ihr warnen, wie es jüngst in der SZ geschah.

Von Hermann Unterstöger

SCHREIBE, WIE ER SCHREIBT: Die Stilimitation ist eines der gängigsten Verfahren, um andere Schreiber parodistisch zu entlarven. Der Bildtext "Auch unsere Autorin umtreibt eine tiefe Sehnsucht . . ." war wie geschaffen, solche Parodien hervorzubringen, und so sparten denn die Leser auch nicht mit Formulierungen wie "da aufstellt's mir gleich die Haare" oder "ich mitkomme da nicht mehr". Es handelt sich hier um den Komplex der mit Vorsilben behafteten Verben, von denen die einen trennbar, die anderen untrennbar sind. Beispielhaft wird gern das Verb ankommen genannt: Der Zug kommt in zwei Minuten an. Man kann nicht sagen Der Zug ankommt in zwei Minuten, das ist nur in Telegrammen erlaubt: Ankomme Freitag früh. Auch bei untergraben ergeben sich je nach Betonung schöne Unterschiede: Wer den Dünger untergräbt, wird in aller Regel mehr geschätzt als einer, der die Moral unter gräbt.

DIE ARTENVIELFALT ist ein schützenswertes Gut, umso mehr, als sie vom stetigen Schwund bedroht ist. Was also ist mit der "schwindenden Artenvielfalt" zu machen? Man muss ein Auge auf sie haben, sich um sie sorgen, ihr bessere Bedingungen verschaffen und so fort. Nicht aber muss man, wie es bei uns hieß, vor ihr warnen. So gefährlich, meint Leser H., ist die Artenvielfalt auch wieder nicht, und schon gar nicht, wenn sie schwindet.

WIE DAS SPRACHLABOR den folgenden Satz beurteile, will Leser R. wissen und zitiert: "Wird die Infektion nicht behandelt und nimmt einen schweren Verlauf . . ." Sagen wir es mal so: Wird ein Hauptsatz von mehreren gleichgeordneten Nebensätzen eingeleitet und dann fehlt aber bei einem dieser Nebensätze das Subjekt, dann haben wir es mit einer verkorksten Konstruktion zu tun und nennt man sie Satzbruch oder Anakoluth. Wie schön so etwas freilich auch sein kann, lernt man bei Christian Morgenstern: "Korf erfindet eine Mittagszeitung, / welche, wenn man sie gelesen hat, / ist man satt."

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Quelle:
SZ vom 13.12.2014
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