Süddeutsche Zeitung

Whale Watching:Schauspiel vor dem Strandkorb

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Vor Sylt tauchen gerade in diesem Sommer immer wieder Schweinswale auf. Für Urlauber stellen sie keine Gefahr dar. Aber wenn die jüngsten an den Strand gespült werden, bleibt nur das Prinzip Hoffnung.

Hai-Alarm am Strand von Sylt? Als die schwarze Rückenflosse kurz an der Wasseroberfläche auftaucht, flüchten einige der Badenden überstürzt an Land. Aber die meisten freuen sich, und auch vom Strand aus starren Urlauber verzückt aufs Wasser. Sie haben einen Schweinswal gesehen - nur wenige Meter vom Festland entfernt. Auf Sylt ist das nicht ungewöhnlich.

"Die Möglichkeit, vom Strand aus mit Walen zu schwimmen, ist weltweit fast einmalig", sagt der Biologe Lothar Koch, der auf der Insel für die Schutzstation Wattenmeer arbeitet.

Walmütter unter den Badegästen

Ein bisschen Glück gehört dazu, um vom Strandkorb aus einen der kleinen, delfinähnlichen Wale zu sehen. Meist ist beim Sylter "Whale-Watching" nur der Rücken mit der dreieckigen Flosse zu sehen, der beim Schwimmen in regelmäßigen Abständen an die Oberfläche kommt. Das war bei dem ruhigen Sommerwetter der vergangenen Wochen häufig der Fall.

"Bei ablandigem Wind und glatter Wasseroberfläche werden besonders viele Schweinswale gesichtet", erklärt Koch. Einer, der es wissen muss, ist der Rettungsschwimmer Manfred Winkler. Er hatte in diesem Sommer sieben Wochen Zeit, um die Nordsee vor Sylt zu beobachten. "Zuletzt habe ich täglich mindestens einen Schweinswal gesehen", erzählt er. Er sei sogar mit zwei Walen geschwommen. So nah kommen die meisten Urlauber natürlich nicht an die Tiere heran. Auch wenn gelegentlich Walmütter mit ihren Jungen mitten durch die Badegäste hindurchschwimmen.

Dass Schweinswale sich im Wattenmeer tummeln, ist relativ unbekannt - viele der Beobachter halten die bis zu 1,80 Meter langen Schweinswale deshalb zunächst für Delfine. "Es passiert auch immer wieder, dass jemand 'ein Hai, ein Hai' ruft", sagt Koch. Der Wissenschaftler versichert jedoch gleichzeitig: "Schweinswale sind absolut harmlos."

Im 19. Jahrhundert habe es in der Nordsee massenhaft Schweinswale gegeben, berichtet der Biologe unter Berufung auf Literaturstudien. Die hübschen Tiere mit der flachen Schnauze seien aber mittlerweile gefährdet. "Jedes Jahr landen 7.000 Schweinswale als Beifang in den Stellnetzen der Fischer", sagt Koch. Diese Zahl sei größer als die Reproduktionsrate der Tiere.

Sylter Kinderstube

Zählungen in den 90er Jahren ergaben trotzdem, dass in der Nordsee mehr Schweinswale leben als noch vor 20 Jahren angenommen. Forscher schätzen den Bestand auf mehr als 260.000 Tiere. Das Gebiet vor Sylt scheint eine Kinderstube der Wale zu sein, weshalb im Jahr 1999 die Zwölf-Seemeilen-Zone vor der Insel zum Schutzgebiet erklärt wurde.

Damals seien die Tierschützer mit dem Vorhaben auf viel Unverständnis gestoßen, erinnert sich Koch. "Einige dachten sogar, da sei nur ein einziger Schweinswal vor Sylt, der immer wieder die Küste hoch und runter schwimme." Synchronzählungen hätten diesen Verdacht aber entkräftet.

Warum die Wale vor Sylt, aber selten vor Amrum auftauchen und von den anderen Inseln aus gar nicht zu sehen sind, ist noch unklar. Als Grund wird unter anderem der starke Schiffsverkehr in der Deutschen Bucht vermutet.

Makrelen im Überfluss

Aber auch die Tatsache, dass der Meeresgrund vor Sylt relativ steil abfällt, könnte die Wale anlocken - neben dem reich reichen Fischbestand des Wattenmeers, wo für junge Walmütter und ihren Nachwuchs Sand-Aale, kleine Schollen, Heringe und Makrelen im Überfluss zu finden sind.

Manchmal können Urlauber die Walkälber, die bei der Geburt nur 45 Zentimeter lang sind, auch direkt aus der Nähe begutachten. Ein Grund zur Freude ist das aber nicht: Bei starkem Nordwestwind kommt es nämlich vor, dass die unerfahrenen Jungwale von der Brandung an den Strand geschleudert werden.

Das passiere etwa drei bis vier Mal pro Sommer, erklärt Koch. Meistens können die Tierschützer nichts anderes tun, als das Jungtier, wenn es noch lebt, mit einem Boot 150 Meter zurück ins Wasser fahren. Dann bleibt nur die Hoffnung, dass die Mutter in der Nähe geblieben ist und wieder für ihren Nachwuchs sorgen kann.

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