Süddeutsche Zeitung

Übernachten wie in Bethlehem:Ohrensessel ersetzt Ochsen

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Wer käme auf die Idee, die Weihnachtsnacht wie dereinst in Bethlehem in einem Stall zu verbringen? Genau, Stadtmenschen.

Marc Felix Serrao

Stadtmenschen sind auch arm dran. Viele von ihnen kennen die echte, ungefilterte Natur nur noch aus dem Fernsehen. Sie sind allergisch gegen fast alles, was ein Fell hat, sie können einen Adler kaum von einer Amsel unterscheiden, und wenn man ihnen ihr Navi klauen würde, wären sie verloren. Dieses Defizit, diese durch die Durchdigitalisierung des Alltags immer weiter fortschreitende Entfremdung vom einfachen Leben wird auch an Heiligabend sichtbar - wenn es um den Kern des Ganzen geht: das Wunder von Betlehem.

Das ist für viele Stadtmenschen schon deshalb ein Wunder, weil es in einem Stall stattfindet. Was das eigentlich ist, genauer: was es heißt, in einer zugigen Hütte auf Stroh zu schlafen, das können sie nicht mal im Ansatz nachvollziehen. Es sei denn, sie sind Mitglied bei Wimdu, einer Online-Plattform, die private Unterkünfte vermittelt.

"This Christmas, experience Bethlehem in Brighton" heißt es da in einer aktuellen Annonce - erlebe Bethlehem in Brighton. Das Angebot aus Südengland ist wörtlich gemeint. "2300 Meilen vom Original entfernt" bietet eine Lady namens Fiona Gästen an, für zwölf Pfund (14,10 Euro) pro Nacht in ihrem Stall zu übernachten. Auf den Bildern sieht man ein Kabuff mit fleckigen Steinwänden; der Boden ist mit Stroh bedeckt.

Es gehe darum, die "Magie von Weihnachten" wiederzuentdecken, heißt es im Text. Wohl auch, weil zwölf Pfund für eine Nacht im Stroh - Magie hin oder her - ein stolzer Preis sind, hat Fiona ihrem Stall ein "Upgrade" verpasst. Es gibt einen Sessel, einen Teekessel und sogar einen lebenden "resident" Esel. Gegen Aufpreis kommen Hirtenkostüme, Handtücher und drahtloser Internetempfang dazu.

Unter den "Hausregeln" stehen nur zwei Wörter. Sie sind eigentlich überflüssig, weil Stall und Stroh und so, aber es ist schließlich ein Angebot für Stadtmenschen: "no smoking."

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Quelle:
SZ vom 14.12.2011
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