Süddeutsche Zeitung

Kleine Skigebiete: Karerpass in Südtirol:Im sonnigen Rosengarten

Lesezeit: 4 min

Im Skigebiet auf dem Karerpass in Südtirol kämpfen die Liftbetreiber um den Anschluss an den großen Nachbarn Dolomiti Superski. Warum eigentlich?

Von Helmut Luther

An den 29. Oktober des vergangenen Jahres erinnert sich Maria Gufler mit Schrecken. "Weil ich dachte, der Sturm trage gleich das Hausdach ab, eilte ich zu Felix hinauf, unserem dreijährigen Sohn, der im Obergeschoss schlief." In weiten Teilen des Südtiroler Eggentals gab es in den folgenden vier Tagen keinen Strom. Auch das Skigebiet Karersee/Carezza, wo Gufler für das Marketing zuständig ist, wurde vom Orkan Vaia getroffen, er zerstörte hier 500 Hektar Wald. Trinkt man heute vor der Skihütte Hennenstall am Karerpass, von dem die Lifte bis unter die Felsen des Rosengartenmassivs führen, einen Kaffee, sind die entwurzelten Baumstämme gut zu erkennen. Sie türmen sich auf den Hängen kreuz und quer übereinander, wie nach einem unterbrochenen Mikadospiel. Menschen wurden bei dem Sturm nicht verletzt.

Der Karerpass an der Grenze zwischen Südtirol und dem Trentino war schon immer eine beliebte Tourismusgegend. Der im Sommer türkis leuchtende Karersee zieht massenhaft Besucher an. Von den glorreichen Zeiten erzählt das aus Porphyr erbaute und heute in private Ferienwohnungen umgewandelte Grand Hotel Karersee. Ein Großteil der vorwiegend italienischen Gäste kommt außer zu Weihnachten vor allem im Sommer hierher, wenn auch die Besitzer der in die Passlandschaft gewürfelten Ferienhäuser für einige Wochen hier oben, auf 1745 Meter, sind.

Zu Maria Guflers Aufgaben gehört es, für mehr Betrieb im Winter zu sorgen. Bei der Hennenstall-Hütte, wo Mailänder Signoras mit Sonnenbrillen in mit Schaffellen ausgekleideten Sesseln ihren Kaffee trinken, greift Gufler nach dem Smartphone. Sie stellt sich damit vor die Piste und beginnt zu filmen. Etwa 45 000 Fans habe sie auf der Facebookseite des Skigebiets, erklärt Gufler. "Man muss die Leute ständig mit neuen Bildern füttern."

Gäste im Winter auf den Karerpass zu locken, ist nicht ganz so einfach. Zwischen dem Grödner- und dem Fassatal gelegen und ohne direkte Verbindung zur gigantischen Skischaukel Dolomiti Superski, ist das Skigebiet mit seinen 40 Pistenkilometern eher ein Winzling. An den Liften muss man hier selten anstehen. Auf den teils recht steilen Pisten kann man in großen Schwüngen abfahren. Und dann ist da noch der Konkurrent Obereggen ganz in der Nähe, von wo man bis ins Val di Fiemme kommt.

"In Obereggen hat man anders als hier nicht dreißig Jahre verschlafen", sagt Florian Eisath. Der Mann Anfang Dreißig, mit Maria Gufler verheiratet, bestritt im März des vergangenen Jahres sein letztes Weltcuprennen im Riesenslalom. Heute ist er Direktor des Skigebiets. "Als Athlet glaubst du, die Welt drehe sich ums Skifahren, und sie gehe unter, wenn deine Bretter nicht laufen", sagt Eisath. Es klingt, als hätte er manchmal lieber seine alten, vergleichsweise lächerlichen Sorgen. Nachdem sein Vater Georg seine Anteile an der von ihm mitgegründeten Firma für Beschneiungsanlagen verkauft hatte, erwarb er 2008 einen Großteil der veralteten Aufstiegsanlagen im Skigebiet Karersee. Nach und nach investierte er mehr als 40 Millionen Euro in die Modernisierung.

Florian Eisath sitzt vor dem familieneigenen Hotel Moseralm und schimpft über "die Politik". In Bozen, wo die Entscheidungen fielen, herrschten "Neid und reine Willkür". Dort säßen Leute, "die grundsätzlich alles ablehnen". Dabei, sagt Eisath, stünde die lokale Bevölkerung geschlossen hinter dem Vorhaben, das Skigebiet Carezza zu erweitern. Er möchte eine direkte Liftanbindung nach Moena im Fassatal und damit an das Dolomiti-Superski-Karussell sowie einen neuen Lift ins Nachbardorf Tiers. Nachdem beide Pläne gekippt wurden, folgte kürzlich ein weiterer Schlag: Auch das Projekt eines Dolomiten-Informationszentrums mit Restaurant bei der Kölner Hütte unter den imposanten Felsen des Rosengartenmassivs wurde von den Prüfern zurückgewiesen. Auf seinem Handy zeigt Eisath eine Fotomontage: Man sieht einen fünfstöckigen Glasturm, der neben der ebenfalls geplanten neuen Seilbahnstation unter der Hütte aus dem Berg wächst.

"Das Skigebiet ist der wirtschaftliche Motor unseres Tales, hier leben alle davon", sagt Eisath. Ob ein 18 Meter hohes Besucherzentrum mitten im Naturpark Schlern-Rosengarten wirklich sinnvoll ist, bezweifeln die Behörden und auch der Alpenverein. Florian Eisath erklärt, dass er neue Pläne dazu und zur Erweiterung des Skigebiets vorlegen werde. Modernisiert ist es ja schon, mit dem väterlichen Know-how, dessen ehemalige Firma Technoalpin nach eigenen Angaben heute Weltmarktführer für Schneekanonen ist: Innerhalb von fünf Tagen können sämtliche 40 Pistenkilometer beschneit werden. Das ist hier an der Südseite der Alpen oft dringend nötig. In diesem Winter fiel bis Ende Januar so gut wie kein Schnee.

Das Essen auf den Hütten ist eine gelungene Fusion aus Tiroler und italienischer Küche: So gibt es etwa auf der Tscheiner Hütte Schlutzkrapfen aus Johannesbrotmehl oder Lagrein-Risotto. Wirt Christian Tasser, der die Lebensmittel nach Möglichkeit von nahen Bauern bezieht, findet es nicht schlimm, dass die Skifahrer ihre Bretter abschnallen müssen, um nach einigen Minuten Fußmarsch seine Hütte zu erreichen. "Wir haben eh nur Platz für 30 Gäste. Massenabfütterung geht bei uns hier nicht."

Durch seine sonnenexponierte Lage am Rosengarten fasziniert das kleine Skigebiet auch ohne Zusammenschluss mit dem Massenbetrieb Dolomiti Superski. Die schönste Aussicht hat man von Laurin's Lounge bei der Kölner Hütte auf 2337 Metern, dem höchsten Punkt. Es ist noch nicht so lange her, da führte hier ein zugiger Korblift herauf, in den man hineinspringen musste, was für viele Touristen eine Mutprobe war. Genauso wie die Abfahrt von der Kölner Hütte über die steilste Piste des Gebiets. Wer von Laurin's Lounge am späten Nachmittag zum Pass hinunterfährt, kann zwei Dinge beobachten: vorne, wie sich manch einer auf dem Hosenboden die schwarze Abfahrt hinunterquält. Wer im Abendlicht den Blick aber nach hinten wendet, weiß, weshalb die Rotwand ihren Namen hat.

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Quelle:
SZ vom 28.02.2019
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