Süddeutsche Zeitung

Südtirol:Mehr Essen, weniger Party

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Das Törggelen in Südtirol ist im Herbst unter Touristen sehr beliebt. Trotz Pandemie wird es angeboten, allerdings etwas anders als gewohnt, wie Michael Hinteregger erklärt.

Interview von Hans Gasser

Oktober und November ist Törggelezeit. Der Brauch des Einkehrens in Buschenschänken ist unter Südtirol-Urlaubern sehr beliebt: Man sitzt in der Bauernstube, trinkt den neuen Wein, dazu gibt es gebratene Kastanien, Schlutzkrapfen und andere Spezialitäten. Oft wird auch kräftig gefeiert. Das ist in diesem Jahr anders, wie Michael Hinteregger erklärt, Tourismus-Geschäftsführer der klassischen Eisacktaler Törggeleorte Klausen, Villanders, Feldthurns und Barbian.

SZ: Profitiert man in Südtirol davon, im Gegensatz zum österreichischen Tirol noch kein Risikogebiet zu sein?

Michael Hinteregger: Wir sind natürlich froh, dass bis jetzt noch keine Reisewarnung ausgesprochen wurde, die Zahlen steigen zwar, sind aber unter den kritischen Werten. Dennoch ist die Verunsicherung bei den Gästen groß, viele unterscheiden nicht so zwischen Nord- und Südtirol. Die Buchungen kommen sehr kurzfristig. Hier im Eisacktal haben wir im Vergleich zu einem normalen Oktober 30 Prozent weniger Buchungen. Aber wir sind zufrieden, dass wir überhaupt arbeiten können.

Beim Törggelen sitzt man oft gedrängt in den kleinen Gaststuben der Bauernhöfe. Geht das in diesem Herbst?

Ja, das Törggelen findet statt, aber anders als in normalen Jahren. Das Kulinarische wird noch stärker im Fokus stehen als sonst, das Feiern in größeren Gruppen hingegen funktioniert heuer nicht. Sportvereine und Firmen können nicht kommen; generell geht es nicht mit größeren Gruppen, da es weniger Plätze gibt in den Gaststuben. Hier gelten wie überall in der Gastronomie die Abstandsregeln, gerade ist noch eine neue dazugekommen: dass nur sechs Personen an einem Tisch sitzen dürfen. Wir empfehlen in unserem Leitfaden für die Betriebe auch häufigeres Lüften.

Halten sich Gäste wie Betriebe daran?

Ja, definitiv. Denn die Gäste fordern das Einhalten der Regeln auch ein. Da sind die italienischen Gäste noch vorsichtiger als die deutschen Urlauber. Die Wirte müssen aber im eigenen Interesse auf die Einhaltung achten, denn es gibt Kontrollen und hohe Strafen.

Und wie ist die Nachfrage? In normalen Jahren war Wochen voraus ausgebucht.

Unter der Woche ist sie deutlich geringer, an den Wochenende aber relativ gut. Wir sehen, dass vor allem Familien kommen. Reservieren ist aber trotzdem zu empfehlen, schon wegen des geringeren Platzangebots.

Darf gesungen werden?

Nein, das geht heuer nicht, darauf haben wir die Betriebe auch aufmerksam gemacht. Man weiß ja, dass das Singen viele Aerosole freisetzt. Was geht, ist etwa Ziehharmonika zu spielen.

Wird das Törggelen heuer mehr draußen stattfinden?

Auf jeden Fall. Untertags bei schönem Wetter werden die Kastanien auf vielen Bauernhöfen draußen geröstet, und die Gäste können auch draußen sitzen. Ohnehin ist das Törggelen am schönsten, wenn man ein Stück wandert durch Kastanienhaine und Weinberge und dann erst einkehrt. Abends hingegen ist es zu kühl zum Draußensitzen.

In den vergangenen Jahren war das Törggelen mancherorts eher Massenveranstaltung mit großen Reisebussen. Geht es heuer in die Gegenrichtung?

Könnte sein. Wir setzten uns schon länger wieder für das ursprüngliche Törggelen ein. Es sollte eigentlich nur dort angeboten werden, wo der Wein wächst und/oder die Kastanien - und nicht auf Almen. Heute wird es ja überall angeboten, aber das ist nicht der Sinn. Die Qualität der Produkte vom eigenen Bauernhof und die gemütliche Einkehr sollen im Vordergrund stehen. In diesem Herbst wird es wohl zwangsläufig eher so.

Woher kommt das Törggelen überhaupt?

Das Wort kommt von der "Torggl", das ist die hölzerne Weinpresse. Früher haben sich die Bauern und Einheimischen nach der Weinernte getroffen, um ihren neuen Wein zu verkosten. Daraus hat sich das Angebot entwickelt. Die Bauern können damit etwas dazuverdienen. Und die Gäste können durch die schöne Herbstlandschaft wandern, hier im Eisacktal auf dem "Keschtnweg"zwischen Brixen und Bozen. An ihm liegen sehr viele Buschenschänken.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2020
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