Süddeutsche Zeitung

Skigebiete in den Alpen:150 Euro für eine Stunde Skifahren

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Lift zu mieten: Mit kreativen Ideen kommen die kleinsten Skigebiete am besten durch die Krise - sofern sie am richtigen Ort liegen.

Von Dominik Prantl

Die Preisliste an dem kleinen Lifthaus wirkt, als wäre die Zeit stehen geblieben, und zwar vor Jahrzehnten. Die Tageskarte für Erwachsene: 15 Euro. Die einzelne Liftfahrt für Kinder bis 15 Jahre: ein Euro. Kinder in Begleitung bis sechs Jahre: frei. Der kleine Parkplatz am Skigebiet Neuleutasch ist an diesem sonnigen Sonntag auch gut gefüllt, und Skilift-Betreiber Robert Fischer sagt: "Bislang ist auf jeden Fall nicht weniger los als in den Vorjahren." 50 Leute kämen an guten Tagen, der Großteil davon sind Kinder.

Nun muss man wissen: Das Skigebiet Neuleutasch bei Seefeld in Österreich, wo die Lifte anders als in Deutschland trotz Corona laufen dürfen, ist eher klein. Genau genommen besteht es aus einem einzigen Hang mit einem Schlepplift von 360 Metern Länge, und es spielt im von Gigantismus geprägten Skitourismus Österreichs eher die Rolle eines Tante-Emma-Ladens zwischen lauter Discountern und Riesensupermärkten. Hierher kommen vor allem einheimische Stammkunden, "Leute, die schon als Kinder hier waren und sich jetzt wieder daran erinnern", wie Fischer sagt. In Tirol gibt es für derartige, oft subventionierte Anlagen den schönen Begriff Bürgermeisterlift. Wobei Fischer kein Bürgermeister ist, sondern ehemaliger Wirtschaftsprüfer. Er nennt seinen eher nicht profitoptimierten Wintersportbetrieb eine "Beschäftigungstherapie".

Erstaunlicherweise widersetzen sich in diesem Winter die Beschäftigungstherapie- und Bürgermeisterlifte dem bisher zu beobachtenden Trend, dass die Kleinsten und Schwächsten am stärksten unter der Corona-Krise leiden. Dagegen bringt es Größe ausgerechnet im milliardenschweren Skizirkus zurzeit nicht so wirklich. Während die fast immer auf internationale Gäste angewiesenen Skischaukeln in diesem Winter stark unter dem Tourismus-Einbruch leiden und bisher Umsatzeinbußen von 80 Prozent und mehr verzeichnen, sagt Fischer einen Satz, der in der stark gebeutelten Branche momentan Seltenheitswert besitzt: "Ich bin zufrieden."

Einer nicht repräsentativen SZ-Blitzumfrage zufolge ist Neuleutasch kein Einzelfall. 30 Kilometer weiter südlich, in Gries im Sellrain, werden am solitären Sonnenberglift heuer wahrscheinlich sogar mehr Saisonkarten zum Preis von 80 Euro abgesetzt als im vergangenen Jahr, vermutet eine Angestellte der Gemeinde. Sie führt die höhere Nachfrage auf den Umstand zurück, dass viele Einheimische auf Verbundpässe, die für den gesamten Winter in vielen größeren Skigebieten gelten, wegen der unsicheren Lage nun eher verzichten. Zudem sind die Schlepplifte von der FFP2-Maskenpflicht ausgenommen. Anders als in Gondeln und mit Haube ausgestatteten Sesselliften reicht ein normaler Mund-Nasenschutz; das Fehlen des Wind-und Wetterschutzes wird somit plötzlich zum Vorteil. Auch vermisst an den Bürgermeisterliften derzeit kein Mensch die dort generell eher dürftige Infrastruktur für den Einkehrschwung. Gastronomiebetriebe dürfen ohnehin nicht öffnen.

In der Schweiz, wo den Kantonen die Öffnung der Hotels wie auch der Skigebiete überlassen wird, ist die Situation zumindest punktuell ähnlich, trotz des Fehlens der deutschen Touristen. "Es kommen heuer eher mehr Leute als im Vorjahr", sagt Ivo Gubelmann, Betriebsleiter des Skilifts Junker in St. Antönien. Sicher sei jedenfalls: "Die größeren Gebiete haben eher höhere Einbußen als wir." Die Leute würden sich nämlich schon genau überlegen, ob sie sich mit hundert Leuten in eine Gondel stellen oder sich von einem Schlepplift wie dem seinen an der frischen Luft den Berg hochziehen lassen. Außerdem sei es eine Preisfrage. Wer im Dorf übernachtet, bekommt 50 Prozent Rabatt und zahlt nur noch 16 Franken für die Tageskarte - ein für Schweizer Verhältnisse geradezu lächerlicher Preis.

Sogar in Deutschland lässt sich ausgerechnet mit kleinen Skigebieten noch etwas Geld verdienen - sofern man im richtigen Bundesland wohnt. So werden in Baden-Württemberg seit einiger Zeit Schlepplifte stundenweise an einzelne Haushalte vermietet, der Preis variiert zwischen 40 und 150 Euro. Alleine auf der Webseite des Schwäbische Alb Tourismusverbandes sind 18 Anlagen unter dem Slogan "Rent a Lift" aufgeführt. Unter anderem ist dort der Skilift Oberstocken des Skiclub Weilstetten-Lochen zu finden. "Innerhalb kürzester Zeit waren wir zwei Wochen in Folge ausgebucht", erklärt Elfriede Widmann, die sich am Telefon als "Mädchen für alles im Verein" und Mutter des nur noch schwer zu erreichenden Vorsitzenden vorstellt. Bei dem stehe das Handy nicht mehr still, seitdem man den vereinseigenen Lift zur exklusiven Nutzung anbiete, so Elfriede Widmann, trotz der dafür fälligen 100 Euro pro Stunde. Beim Skifahren hört sich auch bei den Schwaben die Sparsamkeit auf.

Pech hat hingegen, wer seinen Lift in Bayern hat: Dort müssen die Anlagen stillstehen. Selbst wenn sie nur einen Steinwurf von der Grenze zu Baden-Württemberg entfernt sind, wie etwa am Gohrersberg im Allgäu. Dort hat Schleppliftbetreiber Rudi Holzberger inzwischen über seinen Anwalt Beschwerde beim Landratsamt Oberallgäu und beim bayerischen Gesundheitsministerium eingelegt. Immerhin ist es auch eine finanzielle Frage. "Durch das Vermieten könnte ich meine Umsatzeinbußen von 60 000 Euro um die Hälfte reduzieren", so Holzberger. Dass man ihm stattdessen sogar verbiete, den eigenen Lift persönlich zu nutzen, während Tourengeher grüppchenweise über seine Piste bergauf marschieren dürfen, nennt er den "Gipfel des Schwachsinns".

Nur gilt in Baden-Württemberg ein Lift wie der seine als Sportstätte, in Bayern gilt er als Seilbahn. Und deren Betrieb ist nach Paragraf 11 der elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung nicht erlaubt. Unabhängig davon, ob für Hunderte Haushalte - oder nur für einen.

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