Süddeutsche Zeitung

Schwacher Rubel:Deutschland fehlen die russischen Touristen

Lesezeit: 3 min

Von Hanna Maier, München

Die Zimmermädchen haben nichts zu tun, es ist seltsam ruhig. Hotel Palace, Berlin, beste Lage: Zur Rechten der Zoo, der Kurfürstendamm zur Linken. Und kaum ein Gast kommt. Dabei ist der Jahresanfang eigentlich die Zeit, in der reiche Touristen die Hotelbetten belegen. Reiche russische Touristen.

"Wer in den letzten zwei Wochen da war, war zwar Russe. Aber das sind trotzdem 15 Prozent weniger als vor einem Jahr." Frank Braun, Manager in dem Fünf-Sterne-Hotel, klingt leise besorgt, wenn er erzählt, dass in der Zeit rund um das russische Weihnachtsfest - also am Anfang des Jahres 2015 - nur etwa 60 von 278 Betten belegt waren.

Und er ist mit seiner Sorge nicht allein. Der russische Tourismusverband vermeldete kürzlich 70 Prozent weniger Urlaubsbuchungen von Russland ins Ausland. Für deutsche Unternehmen gebe es aber keinen Grund zur Sorge. Die Deutsche Zentrale für Tourismus gibt sich gelassen: "Wir sind überzeugt, dass der russische Reisemarkt mittelfristig wieder an die sehr gute Entwicklung vergangener Jahre anknüpfen wird", sagt die Vorstandschefin Petra Hedorfer. Nachfragen wimmelt die Pressestelle ab: Alles wird gut.

Ohnehin können sich nur wenige Reiche die Städtetrips leisten

Dabei gibt es derzeit gar keine Anzeichen, dass sich die Tourismusflaute auflösen könnte. Ausgelöst durch die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland, verlor der Rubel gegenüber dem Euro 34 Prozent an Wert. Für russische Reisende bedeutet das schlicht: Der Urlaub in Europa kostet nun ein Drittel mehr. Viele legen ihr Geld da lieber auf die hohe Kante.

Klar, in der russischen Gesellschaft können sich ohnehin nur wenige Reiche Reisen in europäische Metropolen leisten. Doch auch die reagieren offenbar empfindlich auf die gestiegenen Kosten. Nach Deutschland reisen in diesen Tagen etwa 15 Prozent weniger Russen. Das sind die 15 Prozent, die im Hotel Palace fehlen. Die Luxusadresse Bayerischer Hof in München nennt ganz ähnliche Zahlen.

Und so leer wie manches Hotelbett ist derzeit auch der ein oder andere ein OP-Tisch. Der Schönheitschirurg Wolfgang Funk hat seine Klinik am Rande Münchens. In der zweiten Jahreshälfte 2014 kamen 10 bis 15 Prozent weniger russische Kundinnen und Kunden zu ihm. Doch anders als im Hotel Palace gibt man sich in der Schönheitsklinik unbesorgt.

Chinesen füllen das "Russen-Vakuum"

Laut Funk dringen in das entstandene "Russen-Vakuum" Kundinnen und Kunden aus China. Und praktischerweise haben die auch die gleichen Wünsche wie die Russen: Gesichtslifting, Fettvereisung, Brustaufbau. Typische Gründe für einen Klinikbesuch während des Europaurlaubs eben. Einen Unterschied kennt Funke aber genau: "Der Chinese präferiert eher eine natürliche Brustform. Der Russe hingegen findet: Je mehr, desto besser."

Auf der Berliner Friedrichstraße ist die Stimmung gedämpfter als bei Funke in der Klinik. Die Geschäfte der Luxusschneider und Juweliere sind kundenfrei. "Sehen Sie sich doch mal auf der Straße um. Normalerweise hört man hier überall russisch um diese Zeit", klagt ein Inhaber. Da müsse man schon froh sein, dass wenigstens das Weihnachtsgeschäft ordentlich gelaufen sei. Die Russen gelten als besonders spendierfreudig - gerade im Luxusbereich. Durchschnittlich geben sie an einem Tag im Berlinurlaub 356 Euro aus. Damit belegen sie Platz zwei auf der Skala der Touristenbudgets.

634 Euro am Tag geben chinesische Touristen in Berlin aus

Noch mehr gibt nur eine andere Besuchergruppe aus: die Chinesen. Im Durchschnitt lassen chinesische Touristen 634 Euro am Tag in Berlin. Sie sind auch das Volk, bei dem das Verreisen immer beliebter wird. Im Jahr 2013 wuchs laut der Deutschen Zentrale für Tourismus der Anteil ins Ausland reisender Chinesen um elf Prozent. Im letzten Jahr sogar um knapp 17 Prozent. Aus China hört man, bald würden 100 Millionen Chinesen ins Ausland reisen. Dagegen wirken die 15 Prozent weniger russischen Touristen in Europa mickrig. China hat sich im Laufe der letzten Jahre als größter asiatischer Markt entpuppt und Russland abgelöst.

Das Szenario ist politisch herbeigeführt, das ist klar. Doch für manche bedeutet die plötzlich einkehrende Ruhe auch mehr, als nur eine unerwartete Flaute. Es könnte der Beginn einer russischen Abwanderungswelle sein. "Wenn sich die Beziehungen zwischen Völkern abkühlen, ist das nicht gut für die Wirtschaft", sagt Christoph Münzer, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Industrieller Unternehmen. Er denkt zudem, dass die Sanktionen vor allem langfristige Konsequenzen haben könnten. Abwertung der Währung, Ölpreisverfall und ein geringes BIP dürften nach seiner Einschätzung gerade die reichen Russen dazu bewegen, früher oder später ganz gen Europa auszuwandern.

Wenn sie ihre Spendierfreude allerdings mitnehmen, dürfte das schon wieder ganz im Sinne der deutschen Luxusanbieter sein.

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SZ vom 14.01.2015
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