Süddeutsche Zeitung

Pro & Contra:In die Berge? Ans Meer!

Lesezeit: 3 min

Wohin in den Urlaub? Wer will in die Berge, wenn es doch den Strand gibt? Ein Plädoyer für Ferien, in denen man macht, was stets zu kurz kommt: nichts.

Von Monika Maier-Albang

Wir fahren ans Meer! Natürlich. Fast immer. Allerdings sagt man das mal so lapidar dahin, wenn einen die obligatorische Frage nach dem Sommerurlaub trifft. Dabei ist die Antwort eigentlich unzulänglich. Weil Meer ist ja nicht gleich Meer. Es gibt den Pazifik und den Atlantik, das Schwarze Meer, dessen Küste der des Mittelmeeres nicht unähnlich ist, welches sich aber, sagen wir mal, vom Grönlandmeer doch erheblich unterscheidet. Allein aufgrund der fehlenden Eisberge.

Es gibt Meer mit Kieselstrand, Meer mit Quallen-Ufer, Meer mit Seeigel-Einstieg. Und Meer mit Sandstrand. Wobei ein Unterscheidungsmerkmal besonders wichtig ist, weil es urlaubsprägend sein kann: Es gibt ein warmes Meer. Und es gibt das kalte Meer. Letzteres ist schön zum Ansehen. Im ersten kann man sich aufhalten.

Dieses Meer schmeichelt sich ins Herz. Es ist weit und weich, nicht schroff und abweisend wie die Türme aus Kalk oder Granit, die sich düster vor dir aufbäumen. Das Meer liegt für mich nicht vor der Haustür, ich muss mich ihm bewusst nähern. Dann aber kann man dort tun, was das ganze Jahr über zu kurz kommt: nichts. Und das möglichst konsequent.

Nichtstun heißt: nicht tauchen, nicht boarden, nicht das Meer besegeln. Es nicht verzwecken, es höchstens einbauen in einen Tag, der nicht schon beim Aufstehen verplant ist. Mit den Zehen im Sand spielen, Muscheltürme errichten, lesen oder auch nicht lesen. Musik hören oder sie abschalten und den Klang der Brandung in sich aufnehmen. Grübeln über den Ursprung der Dinge. Was in der Tiefe dort wohl schwimmt, krabbelt, kriecht? Die Sonne hinter den Horizont fallen sehen. Ins Wasser gehen, ja, das natürlich schon. Und sich dabei von unterschätzten Wellen umwerfen lassen.

Oder in die glasklare Bucht einer griechischen Insel hinaus, den Fischen zusehen, wie sie neugierig zu den Zehen schwimmen. Dann zurück ans Ufer, noch eine Weile in den Kieseln sitzen und sich umspülen lassen. Aber keinesfalls: Die Zeit am Meer mit Aktionismus füllen. Wer so eine Art von Urlaub will, ist in den Bergen besser aufgehoben. Da kann er sich bewegen, den ganzen Tag lang, kann raufgehen, runtergehen, sich mühen, sich schinden. Das Schöne am Meer aber ist doch, dass es dich nicht zwingt, es zu besiegen - solange du am Ufer bleibst.

Der Passiv-Meer-Nutzer braucht dieses ganze Ich-muss-mich-beweisen-Ding nicht. Er hält seinen Körper nicht im zweiwöchigen Standby-Modus. Er ruht. Und das bestenfalls in sich.

Ihr passionierten Bergurlauber könnt euch das ja schwer vorstellen: Dass die Einübung der Langsamkeit, das bewusste Sich-Verlangsamen etwas anderes ist als Müßiggang oder Faulenzen. Dass es nicht zu Langeweile führt. Langeweile ist qua Definition "erzwungenes Nichtstun". Am Strand zu liegen und bewusst nichts schaffen zu müssen, ist indes eine frei gewählte Auszeit. Ein Luxus, den man erst zu schätzen weiß, wenn man Strände gesehen hat, die feinsandiger und palmenbestandener nicht sein können, die aber den Anwohnern nur dazu dienen, sie satt zu machen. Hier landen die Fischer an, hier legen sie ihren Fang zum Trocknen aus.

An diesen Stränden geht bestenfalls die Dorfjugend ins Wasser. An Sri Lankas Ostküste gibt es solche Strände. Oder in Indonesien. Die Menschen hier haben 2004 das Meer in seiner Urgewalt erlebt. Die Alten, die nicht in die Boote müssen, halten nun Abstand. Vorher schon war für sie das Meer ein ambivalentes Wesen: Nahrung und Tod bringend zugleich. Und welcher Reisbauer hat schon die Zeit für einen Blick auf den Sonnenuntergang? Sich hinzusetzen und dem Auf und Ab der Wellen nachhören zu können: Welch ein Glück, wenn man am Strand Freizeit verbringen, zur Ruhe kommen darf!

Mit Kindern ist das schwierig, zugegeben, allerdings nur mit kleinen, die in Aktion gehalten werden wollen. Aber die Zwischenphase, die kreativ gefüllt werden muss geht vorüber. Ältere Kinder, die die Nächte durchgemacht haben, wissen die Ruhephase am Strand dann auch zu schätzen.

Wie schön ist es doch, dass die einzige Frage, die einen in diesem Urlaub quält, jene ist: Liege oder Sand? Bei der Liegeburgen-Option ist der Gast natürlich aufgeräumter. Er nimmt sein Buch und die Wasserflasche, schlurft an den Strand, lässt sich nieder und zahlt dafür, dass er nicht mal mehr den Schirm selbst öffnet. Alternativ gibt es den wilden Strand am warmen Meer.

Der Weg dorthin ist in der Regel mühsamer, manchmal mückig, meist heiß am Ende, wenn sich Dünen zwischen Weg und Wassersaum schieben. Den Schirm muss man tragen. Essen und Trinken auch. Am Abend ist alles voller Sand. Oder voller Muschelreste. Oder voller Kieselsteinchen. Dafür aber liegt man im besten Fall nicht auf Zigarettenkippen. Manchmal zwar zwischen ermatteten Krebsen und Tang, aber ohne Nachbarn, die zu laut in einer Sprache reden, die man versteht. Und Liegen kann man ja trotzdem mitnehmen.

In Südtirol wagen sie übrigens gerade die Symbiose: die Liege auf der Alm. Mit "Lounge-Wiese" nur für Übernachtungsgäste und mit Veneziano für fünf Euro. Dekadent, ja, das ist es. Aber der Blick: fast so gut wie am Strand. Auf den Entschleunigungs-Almen oberhalb von Meran lässt es sich dösen vorm Gipfelmeer.

Ach, ihr Bergfexe, ihr lernt ja doch.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2015
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