Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Himmel und Hölle in Los Angeles

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Seit es die Stadt gibt, liegt etwas Fantastisches über dem Ort. Ein Buch ergründet den Mythos.

Von Stefan Fischer

Das amerikanische Kino hat in Los Angeles seine Zentrale. Der Film prägt die Stadt: über die vielen Bewohner, die für diese Industrie arbeiten oder gerne arbeiten möchten, und über die filmischen Werke selbst, die in dieser Stadt spielen, von ihr erzählen und nicht selten als Abbild der urbanen Realität angesehen werden - "Jackie Brown" von Quentin Tarantino, "The Big Lebowski" von Ethan und Joel Coen und "Boogie Nights" von Paul Thomas Anderson zählen dazu. Einige tragen die Topografie oder den Namen der Stadt selbst im Titel: "Sunset Boulevard", "Mulholland Drive", "Beverly Hills Cop", "L.A. Crash", "L.A. Confidential" ...

Der Autor und Übersetzer Sebastian Raho bricht diese filmische Perspektive auf die Stadt nun auf in der von ihm herausgegebenen Anthologie "Los Angeles". Darin versammelt er literarische Texte, die diese Stadt beschreiben, an ihr verzweifeln, sich reiben oder ranschmeißen. Er muss dafür beileibe nicht mühsam in den Randbezirken der amerikanischen Literatur suchen. Los Angeles ist, seit es die Stadt gibt, auch Schauplatz und Topos der Literatur. Wobei die ersten hundert Jahre seiner Existenz - von 1781 bis in die 1880er - relativ unbedeutend waren. Lange Jahrzehnte war es ein kleiner Siedlerflecken unter erst spanischer und dann mexikanischer Herrschaft. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Kalifornien zu einem US-Bundesstaat wurde, stieg die Bevölkerung sprunghaft an.

Es gibt in dem Buch einen schönen Text von D. J. Waldie, in dem der Autor beschreibt, wie der seinerzeitige Gouverneur von Kalifornien, Felipe de Neve, mit der Gründung von Los Angeles 1781 bereits ein Straßenraster erdacht hatte für die künftige Stadt, das so nie angelegt worden ist, allerdings späteren Stadtplanern als Grundlage diente, jedoch um 45 Grad gedreht und somit streng am Kompass ausgerichtet. Wenn man so will, liegt schon im Moment der Gründung etwas Traumhaftes, Erdachtes, Fantastisches über der Stadt, war Los Angeles bereits in den Anfängen eine Projektion.

Die Attraktivität der Stadt, ihr Nimbus als Sehnsuchtsort, bestand anfangs vor allem darin, dass sie in einem fruchtbaren Land liegt, welches man nur mittels einer entbehrungsreichen Reise erreichen konnte. Sie liegt jenseits einer Wüste und eines Gebirges, erst der Bau der Eisenbahn sowie des Panamakanals haben sie für die Massen erreichbar gemacht. Charles F. Lummis schildert in seinem Text "Zu Fuß durch den Kontinent", den Raho in Auszügen zitiert, wie er marschierend die Stadt und den Pazifik erreicht.

Wenige Jahrzehnte später fahren Menschen in ihren eigenen Autos nach Los Angeles oder nehmen notfalls den Bus, wie der Ich-Erzähler in Jack Kerouacs "On the Road". Es ist ein fulminanter Text über die Schattenseiten von Los Angeles, über Pläne, die nicht aufgehen, und Hoffnungen, die dadurch dennoch nicht zunichte gemacht werden. Ein Text über die Liebe, über Verzweiflung und Einsamkeit, die einen auch in einer Stadt mit mehr als drei Millionen Einwohnern befallen kann.

Erschaffen als Himmel kann die Stadt zugleich Hölle sein

Unterbrochen nur von einem "Hollywood-Tagebuch", erstmals 1938 im New Yorker erschienen, in dem Daniel Fuchs seinen irrwitzigen Alltag als Autor in Diensten eines Filmstudios schildert, schließen an "On the Road" Bertolt Brechts "Hollywood-Elegien" an: auch das ein Text über Illusionen und Versprechungen sowie die Verrücktheiten einer Stadt, die ihr Geld mit der Fantasie verdient. Hollywood, so Brecht, sei göttliche Effizienz, weil ein Etablissement genüge: Erschaffen als Himmel, sei die Stadt zugleich die Hölle für die Unbemittelten und Erfolglosen.

In die Hölle führen auch viele Texte Thomas Pynchons. In dem Auszug, den Sebastian Raho aus Pynchons Roman "Natürliche Mängel" gewählt, geht es jedoch an den Strand, zum Surfen. Es ist ein satter, auch verwinkelter Text, mehrschichtig und -deutig, wie man das von diesem Autor kennt. Mit einer gewaltigen Portion "Hippiemetaphysik", wie Pynchon es nennt, also auch einer heiteren, lebenslustigen Dimension. Auch das ist Los Angeles in diesem Band.

Sebastian Raho (Hrsg.): Los Angeles. Wieser Verlag, Klagenfurt 2021. 222 Seiten, 14,95 Euro.

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