Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Hin und weg:Achtung, Metallpiraten!

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Der Kampf um Ressourcen ist auf der Straße angekommen. Man muss um sein abgestelltes Auto fürchten.

Glosse von Joachim Becker

Gestrandete Schiffe zu plündern, gilt in vielen Küstengebieten als lebendige Tradition. In Zeiten steigender Rohstoffpreise kommt diese vergleichsweise einfache und effektive Recycling-Methode zu neuen Ehren. Moderne Schrottpiraten schlachten Schiffswracks auch unter Wasser aus. Was durch den Einsatz von Sprengstoff gravierende Folgen für die Natur haben kann. Und die Reststoffsammler schrecken selbst vor militärischen Wracks nicht zurück, die als Seegräber eingetragen sind.

So weit ist es im Straßenverkehr zum Glück noch nicht gekommen. Doch das Metall-Recycling gewinnt auch hier an Bedeutung. Unverhofft erfreuen sich alte Rostlauben gerade in ihrer letzten Lebensphase zunehmender Beliebtheit. Gemeint sind keine wertvollen Scheunenfunde oder gut gepflegte Oldie-but-Goldie-Raritäten. Ziel der Sammelaktivitäten sind vielmehr abgerittene Allerweltsmodelle wie Opel Astra oder VW Polo, denen man den x-ten Besitzerwechsel und die sechsstelligen Kilometerleistungen ansieht.

Selbst klimabewusste Menschen, die den übergroßen ökologischen Fußabdruck eines Neuwagens fürchten, schrecken vor solchen Autos im Nahtod-Stadium zurück. Wo Duftbäumchen den dauerfeuchten Altersmuff übertünchen, hält sich die Nostalgie normalerweise in Grenzen. Und die Autoradios, die in ihren Blütezeiten vielleicht Gelegenheitsdiebe angezogen hätten, sind heute fast wertlos. Viel interessanter als die Uralt-Elektronik sind inzwischen die inneren Werte.

Immer mehr Autos werden von Dieben mitten auf der Straße ausgeschlachtet

Vor allem 20 Jahre alte Benziner erleben eine Renaissance als sekundäre Rohstoffquelle. Metallpiraten brauchen nicht viel mehr als eine Minute, um ein altes Schätzchen auszunehmen. Mit einem Wagenheber lupfen sie die relativ leichten Autos kurz seitlich an und kriechen dann unter den Wagenboden. Bei Transportern und Wohnmobilen lassen sich die Auspufftöpfe auch ohne Hebehilfe herausschneiden.

Ziel sind die Dreiwege-Katalysatoren im Abgasstrang, die seit Anfang der Neunzigerjahre für Benziner vorgeschrieben sind. In den USA rechnen Versicherer mit 600 000 bis 700 000 derartigen Diebstählen pro Jahr, berichtet die Zeitschrift Auto Motor und Sport. Mehr als ein Drittel davon entfalle auf Kalifornien. Der westlichste US-Bundesstaat hatte wegen des Smogs in Los Angeles und San Francisco frühzeitig strenge Abgasvorschriften eingeführt. Die Rohstoffe für die entsprechenden Katalysatoren waren vor 20 Jahren noch billig.

Das hat sich auch durch Lieferengpässe geändert, inklusive Montagekosten rufen Werkstätten schon mal knapp 3000 Euro für den Einbau einer neuen Abgasanlage inklusive Kat auf. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Bauteile selbst, sondern um die hauchdünne Edelmetall-Beschichtung, die als Aktivmaterial für saubere Luft sorgt. Vor allem auf Rhodium haben es die Diebe abgesehen, das derzeit etwa achtmal so teuer wie Gold ist. Auch Palladium und Platin sind begehrter Edelschrott: Für die Kats bezahlen Altwarenhändler mehrere Hundert Euro.

Das Geld liegt also nicht auf der Straße, sondern es fährt darauf herum. Ob sich die Diebesbanden künftig Elektroautos vornehmen, um die noch viel wertvolleren Batterien zu klauen? Die Kreislaufwirtschaft, von der alle reden, ist jedenfalls ein altes Geschäftsmodell mit glänzender Zukunft.

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