Süddeutsche Zeitung

Hotelkritik-Serie "Frisch bezogen":Schlafen wie der Kini

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Genau zwischen den Königsschlössern Hohenschwangau und Neuschwanstein hat ein Hotelresort eröffnet. Dorthin zu kommen, ist allerdings nicht ganz einfach.

Von Jochen Temsch

Entschuldigung, wo geht's denn hier zum Hotel? Vorne ein Doppeldeckerbus, der abrupt bremst, hinten einer, der wild hupt. Stillstand. Die Touristen ergreifen sofort ihre Chance, endlich vom Souvenirshop über die Straße zur Wirtschaft zu gelangen. Amerikaner in Shorts und mit karabinergesicherten Wasserflaschen am Gürtel, Inderinnen im Sari mit Kinderwagen, Koreaner unter Sonnenschirmen - Dutzende Ausflügler winden sich ums Auto herum, mittenrein platzen Mountainbiker, die brüllen, weil alle anderen nicht gleich aus der Bahn wegspritzen, wenn sie angerast kommen. Und von links dann noch ein voll besetztes Pferdegespann, der Kutscher auf dem Bock lächelt milde, offenbar in Gleichmut erprobt wie seine Kaltblüter. Hohenschwangau an einem sonnigen Feiertagswochenende - der ganz normale Wahnsinn rund um Deutschlands berühmteste Sehenswürdigkeit.

Ach, da! Eine kurze Rampe hoch, und schon ist man in einer anderen Sphäre: dem "Ameron Neuschwanstein Alpsee Resort & Spa". Der Haken an diesem neuen Hotel: Es liegt direkt am Alpsee zwischen den Königsschlössern. Der Vorteil: Es liegt direkt zwischen den Königsschlössern.

Das bedeutet, dass man sich als Gast zwar erst einmal durch die Besuchermassen kämpfen muss, dann aber in den Genuss eines Hauses kommt, das nicht günstiger für ein romantisches Sightseeing-Wochenende liegen könnte - nicht nur, weil von hier aus alle Postkartenmotive des Königswinkels bequem zu Fuß erreichbar sind, sondern, weil man sie aus so gut wie allen Fenstern ständig im Blick hat: die Schlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau, den Alpsee, die dominante Felspyramide des Säuling.

An einem Ort, der jährlich von 1,4 Millionen Menschen frühmorgens überrannt und abends wieder verlassen wird, wo viele Geschäfte und Wirtschaften auf den schnellen Taler einer nie mehr wiederkehrenden Laufkundschaft schauen, auf Tagesgäste, denen als Verpflegung auch mal eine Weißwurst in der Breznstange reicht ("Bavarian Hotdog", 5,90 Euro), an so einem zum Hotspot übertourten Ort also ist das Ameron eine Oase der Ruhe, eine niveauvolle Möglichkeit, ein paar Tage zu verweilen und durchzuatmen.

Die auf die Restaurierung denkmalgeschützter Schlösser und Herrenhäuser und ihre Neubespielung als Hotels spezialisierte Althoff-Gruppe hat das Resort im März nach einer zweijährigen Bauphase eröffnet. 137 Gästezimmer und Suiten, ein Konferenzbereich mit drei Tagungs- und zwei Veranstaltungsräumen, drei Restaurants und eine Bar sowie ein 850 Quadratmeter großer Spa wurden in ein Ensemble von historischen Gebäuden integriert und mit modernen Neubauten verbunden.

Eigentümer der Liegenschaften ist der Wittelsbacher Ausgleichsfonds. Dessen Jägerhaus sowie die beiden ehemaligen Hotels Alpenrose und Lisl sind der ins 18. Jahrhundert und die damalige Hofhaltung zurückreichende Nukleus des Ameron Neuschwanstein. Die verbindenden Neubauten passen sich trotz der Größe des 27 Millionen Euro teuren Gesamtprojekts flach und unauffällig den historischen Sichtachsen an. Vom Alpsee aus erkennt man kaum, dass sich hier so viel verändert hat. Für die Orientierung im Inneren ist der Lageplan der verschiedenen Trakte hilfreich, der in die Zimmerkartenhüllen eingefaltet ist. Trotzdem begegnen einem auf den teils unterirdischen Gängen schon mal neu angekommene Gäste, die auf der Suche nach ihrem Zimmer umherirren.

Gut zu Fuß sollte man hier jedenfalls schon halbwegs sein. Je nach Trakt ist die Gestaltung der Räume unterschiedlich, gediegen klassisch bis modern minimalistisch. Insgesamt überwiegen helle Farben, Erd-, Stein- und Holztöne. Ein Ambiente, in dem sich alle möglichen Zielgruppen wohlfühlen sollen, "Allgäu-Liebhaber", wie General Manager Jan Zitzmann sagt, Urlauber wie tagende Geschäftsleute, Hochzeitsgesellschaften wie Familien. Sympathischerweise und für ein Haus am oberen Rand der Kategorie vier Sterne nicht zwangsläufig üblich, wurde auch an Kinder gedacht. Es gibt einen Spielraum und im Pool eine "Splashtime", in der es auch mal lauter werden darf.

Gegessen wird im Restaurant Lisl mit Blick auf die Königsschlösser. Auf der Karte stehen Gerichte der modernen bayerischen Alpenküche, die der Chef Alexander Raddatz mit nachhaltig erzeugten Lebensmitteln aus der Region kreiert. Spezialitäten des Allgäus finden sich auch an der Bar wieder, die Brände lokaler Destillen oder Almkräuter in der hausgemachten Limonade. Wer beim Genuss eines Apfel-Eichenlaub-Saftes das Gefühl hat, sich zu weit von den anderen Touristen zu entfernen, sollte auf eine Brotzeit ins Bräustüberl gehen. Dieser Teil des Resorts liegt dem Besucherstrom am nächsten, direkt am Weg zum See. Hotdogs gibt es aber keine.

Doppelzimmer noch zu Eröffnungsspezialpreisen, in der Hauptsaison ab 190 Euro, sonst ab 155 Euro, jeweils inkl. Frühstücksbuffet, ameronhotels.com

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Quelle:
SZ vom 27.06.2019
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