Süddeutsche Zeitung

Hütten-Serie Hoch gelegen:Schöner Schwitzplatz

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Als der Lift zur Rauthhütte bei Leutasch abgebaut wurde, hatte der Wirt Angst um die Zukunft. Doch das war nicht das Schlimmste, was ihm passieren konnte. Inzwischen macht er mit Skitourengehern ein besseres Geschäft als früher.

Von Dominik Prantl

Irgendwann stellte Andreas Rauth fest, dass auf seine Hütte kaum mehr Nörgler kommen. Bei ihm hört sich das auf Tirolerisch freilich ein bisschen anders an, er sagt: "Wenn zwei Leute im Jahr heroben sind, die sumsen, dann hamma a schlechte Saison g'habt." Aber letztlich war es einfach so: Noch nie wurde auf seiner Hütte so wenig gejammert und gemault. Rauth fragte sich also, ob er und seine Frau Andrea als Hüttenwirte so viel besser geworden sind, aber daran lag es nicht. Er stellte bald fest: "Das hat sich gewandelt, seit es den Lift zu uns herauf nicht mehr gibt."

Denn bis ins Jahr 2004 führte von dem Leutascher Ortsteil Moos ein Sessellift zu seiner Hütte auf 1605 Meter hinauf und eine Piste hinab; der Hang war damit eines jener Miniaturskigebiete, wie es sie in den Alpen zu Hunderten gibt. Der Lift war nicht übel; er war sogar erst 2002 erneuert worden, aber als das gute Stück vererbt wurde, gab es Meinungsverschiedenheiten mit dem neuen Besitzer. Rauth sagt heute: "Für mich ist das abgehakt", wobei sich das rückblickend leicht sagen lässt. Damals war er weit vom Abhaken entfernt, schließlich lieferte der Lift Gäste wie am Fließband zu jenem Bau, den sein Großvater Andrä 1928 als Bergsteigerunterkunft errichtet hatte. Eine Zeitlang versuchte er mit allen Mitteln, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Er gab sogar ein Angebot für den Kauf des Liftes ab. Als die Aufstiegshilfe dennoch abgerissen wurde, hatte er Existenzängste. "Wir wussten ja nicht, wie das weitergeht", so Rauth.

Heute weiß er: Es war nicht das Schlimmste, was ihm und seiner Familie passieren konnte. Anfangs hat er den Lift durch eine Pistenraupe ersetzt, mit der Rauth pro Fahrt 20 Personen zu seiner Bergwirtschaft karrte. Das kostete Geld und Zeit, war aber besser als gar keine Lösung. Doch schon sehr früh bemerkte er in seiner Pistenraupe, dass immer mehr Skitourengeher am Rand der Piste bergan marschierten. Die meisten davon kamen nicht etwa, um den dahinter liegenden Berg, die gebieterisch anmutende Hohe Munde zu besteigen, sondern einfach der Hütte wegen. Bald schon zeigte sich: Das ist kein kurzlebiges Phänomen für einen Winter. Die Skitourengeher wurden immer mehr, Jahr für Jahr, Monat für Monat, fast Woche für Woche. "Und irgendwann war kein Platz mehr auf der Piste, um mit der Pistenraupe zu fahren."

Inzwischen schafft er es an manchen Tagen gerade noch, die Piste morgens schnell zu präparieren, bevor das große Rennen einsetzt. Unten am Parkplatz stehen an Wochenenden manchmal 250 Autos. Die meisten stammen laut Kennzeichen aus der näheren Umgebung, vor allem aus Innsbruck. Aber auch viele Deutsche sind zu sehen und hie und da sogar Niederländer. Neulich waren sogar zwei Russen zu Gast. Sie kamen allerdings mit dem Schlitten, denn von der Hütte führt auch eine ziemlich halsbrecherische Rodelbahn hinab. "Die zwei konnten es fast nicht glauben, dass die Leute für nur eine Abfahrt auf Skiern zu uns hoch laufen", sagt Andreas Rauth.

Man darf abwarten, wie lange es bei den beiden dauern wird, bis sie den Rodel gegen Tourenskier tauschen. "Viele Gäste sehen natürlich, was die Einheimischen machen. Und irgendwann wollen sie es auch ausprobieren." Die Sportgeschäfte der Region haben sich längst auf die Schnupperklientel eingestellt und verleihen Tourenausrüstungen. An einem guten Sonntag bewirten die Rauths bis zu 700 Gäste, neben seiner Frau Andrea und seiner erwachsenen Tochter hilft dann auch der Sohn oft mit. Andreas Rauth weiß, dass er mit seiner Osthanghütte nicht nur in den Morgen- und Mittagsstunden auf der Sonnenseite des Lebens steht. "Unten im Tal schließen ja immer mehr Wirtschaften." Zudem gelten Leutasch und Seefeld als Urlaubsregion mit relativ vielen betagten Gästen.

Zum Rauth aber kommen alle: graubärtige Einheimische, Innsbrucker Studentinnen, rodelnde Kinder und sportliche Hundehalter. Er kennt 90 Prozent der Gäste, ein Münchner komme sogar jede Woche. Der Berg zieht die Menschen an, egal welches Alter, egal welche Uhrzeit. Gerade nach Feierabend sitzen Gäste oft noch lange nach Einbruch der Dunkelheit, um dann mit der Stirnlampe abzufahren. Dabei weiß er auch, wem er das zumindest zu einem Teil zu verdanken hat: den Ärzten. "Von denen werden die Leute doch heute ständig an die frische Luft und zum Sport geschickt."

Dennoch ist der Massenansturm auf den ersten Blick erstaunlich bis absolut irre. Denn die Hütte ist nett, aber nicht speziell, das Essen gut, aber nicht außergewöhnlich, die Karte klassisch, nicht ausgefallen. Auch Übernachten wollen hier die wenigsten, "obwohl wir als Schutzhütte natürlich niemanden wegschicken", wie Rauth sagt. Aber die Hütte bietet eben all das, was der moderne Trendbergsportler braucht: einen moderaten und vor allem risikolosen Anstieg von etwas mehr als 400 Höhenmetern, der selbst Anfänger und Angsthasen nicht aus der Komfortzone lockt. Öffnungszeiten bis 22 Uhr, damit auch für eine Feierabendrunde noch Zeit bleibt. Und all jene, die bei Tageslicht ankommen, genießen eine fantastische Aussicht über das Seefelder Plateau. Für die wirklich Harten gäbe es mit der Hohen Munde (2662 Meter) sogar noch einen anspruchsvollen Gipfel, aber den machen selbst bei guten Schneeverhältnissen (und die braucht es) höchstens zehn Prozent der Hüttenbesucher. Die Masse will es sicher und möglichst einfach.

Wie gut es läuft, zeigt eigentlich schon die Liste der Neuerungen in den vergangenen Jahren: 2009 wurde in eine moderne Wasseraufbereitungsanlage investiert, 2011 in eine neue Brandschutzvorrichtung, 2013 in neue Matratzenlager. 2014 kam schließlich die Fotovoltaikanlage. Im Winter, sagt Rauth, mache er heute 25 Prozent mehr Umsatz als zu Zeiten mit Liftbetrieb vor der Haustüre. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Gäste besser über den Tag verteilen und sich nicht allein auf die Mittagszeit konzentrieren. Und fragt man Rauth heute, wie es sich lebt hier oben, grinst er nur, nickt in Richtung seines Bauchansatzes und meint: "Ja, wir leben nicht schlecht."

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SZ vom 26.01.2017
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