Süddeutsche Zeitung

Naturnaher Campingurlaub:Unter Wespen

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Campingplätze an der Ostsee werden finanziell gefördert, wenn die Betreiber in Biodiversität investieren. Die Urlauber werden dadurch neue Nachbarn bekommen.

Glosse von Stefan Fischer

Schaut man sich die Werbung für Campingurlaub oder -zubehör an und hört man überzeugten Campingurlaubern zu, wenn sie (wieder) einmal sehr grundsätzlich über die Vorzüge des Campens reden, dann vermittelt sich einem der Eindruck, die biblische Vertreibung aus dem Paradies habe doch nicht stattgefunden. Oder jedenfalls gelte sie nicht für alle.

Da stehen Zelte unter Pinien und Campingbusse direkt am Meer, und wenn überhaupt irgendwo ein zweites Zelt oder ein zweiter Campingbus zu sehen sind, dann verschwommen in der Ferne. Es sind Bilder von Weite und Freiheit und Unabhängigkeit. Und, das Wichtigste: Die viele Natur rundum ist freundlich. Sie ist zum einen so freundlich, intakt zu sein und sich obendrein zu einer pittoresken Landschaft zu formen. Zum anderen ist sie so freundlich, die Camper außer mit ihrer Schönheit nicht weiter zu behelligen. Etwa durch Regen oder aufdringliche Tiere.

Die Realität sieht freilich oft anders aus. Da sitzen die Camper allesamt im Grillqualm der jeweils anderen. Oder wenn sie in einer Hängematte liegen, dauert es nicht lange, und es schießt ihnen jemand einen Ball ins Gesicht. Der Blick aufs Meer ist verstellt von den Campingbussen in den vier Reihen vor einem. Und wohin man auch tritt, steckt ein Zelthering im Boden. Wenn der Untergrund nicht ohnehin versiegelt ist, denn die Wege zur Rezeption, zum kleinen Supermarkt und zu den Duschen sind natürlich alle asphaltiert, um sich bei Regen, den es auch in Kroatien oder auf Sardinien gibt, nicht in Schlammpfade zu verwandeln.

Mit der Naturnähe eines Campingurlaubs ist das insofern so eine Sache. Das hat man auch in Schleswig-Holstein erkannt und sieht Korrekturbedarf. Fortan erhalten Campingplatzbetreiber großzügige Förderungen, wenn sie in den Erhalt der biologischen Vielfalt investieren. Wenn sie ihre Stellplätze also wieder mehr zu dem machen, was sie in den Augen von Camping-Enthusiasten sein sollen: ein Fleckchen Natur, in dem man sich gerne aufhält.

Gefördert werden zum Beispiel Insektenhotels, Nistkästen für Vögel und Fledermäuse, die Errichtung von Kleingewässern und der Austausch der Außenbeleuchtungen gegen insekten- und fledermausverträglichere Lichter. Das ist gut gemeint, wird für viele Camper jedoch in einem Fiasko enden.

Lichter, die in der Dunkelheit nicht so viele Tiere anlocken, führen unter Umständen dazu, dass man nächtens noch häufiger über das Bobbycar der Stellplatznachbarn stolpert, wenn die Blase vom sechsten Dosenbier drückt und man auf dem Rückweg noch leichter das Zelt verwechselt und sich versehentlich auf eine fremde Isomatte drängelt.

Und all die Krabbel- und Summtiere, die an und in den vielen neuen Kleingewässern oder Insektenhotels brüten: In Schwarmgröße werden sie sich auf Kuchen, Limonaden, Steckerleis und Grillwürste stürzen. Gejagt von beutegierigen Vögeln und Fledermäusen, die ihre Därme auf Campinghocker, Luftmatratzen und die zum Trocknen aufgehängten Badehosen entleeren.

Das sind natürlich allesamt keine Argumente gegen diese umweltpolitische Maßnahme der schleswig-holsteinischen Regierung. Die Biodiversität hat stark gelitten in monokulturell geprägten ländlichen Raps- oder Weizeneinöden. Das zu ändern, ist dringend geboten. Für Camper könnte das bedeuten, dass sie bald mehr Natur bekommen, als manchen von ihnen lieb ist.

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