Süddeutsche Zeitung

Flüge über Krisengebiete:"Gefahr wird nicht ernst genug genommen"

Lesezeit: 3 min

Georg Fongern von der Pilotenvereinigung Cockpit kritisiert, dass Passagiermaschinen über Krisenherde wie Iran fliegen müssen - manche Piloten würden sogar unter Druck gesetzt.

Interview von Monika Maier-Albang

Anfang Januar starben beim Abschuss eines Passagierflugzeugs in Teheran 176 Menschen. Die Lufthansa stoppte daraufhin Flüge in die iranische Hauptstadt und will sie bis mindestens Ende März auch nicht wieder aufnehmen. Der Vereinigung Cockpit geht das nicht weit genug. Sie fordert auch die Behörden auf, restriktiver mit der angespannten Situation in Iran und Irak umzugehen. Die Gefahr in der Region sei nicht gebannt, sagt der langjährige Pilot Georg Fongern, Mitglied in der Arbeitsgruppe Security der Vereinigung Cockpit.

SZ: Warum wurde der Luftraum über Teheran an einem Tag, an dem es militärische Spannungen gab, nicht gesperrt?

Georg Fongern: Das ist bislang nicht geklärt. Iran selbst hätte den Luftraum für Zivilflugzeuge sperren können, hatte aber daran vermutlich politisch kein Interesse. Lediglich die US-Flugsicherheitsbehörde FAA hatte unmittelbar nach den Angriffen der Iraner auf US-Militärstellungen ihren Airlines ein Flugverbot in dieses Gebiet erteilt. Die Europäische Luftfahrtbehörde kann nur Empfehlungen aussprechen, sie hat keine Jurisdiktion über die nationalen Fluggesellschaften.

Wer könnte in Deutschland ein solches Verbot aussprechen?

Das Luftfahrtbundesamt kann über eine Allgemeinverfügung deutsch registrierten Flugzeugen den Ein- und Überflug über das Territorium von Iran und Irak oder sonstigen Krisengebieten verbieten. Es hat das aber nicht getan, sondern nur, relativ spät, eine Empfehlung ausgesprochen, dass man vorsichtig sein, das Gebiet umfliegen soll. Aber nicht muss.

Wer entscheidet am Ende, ob eine risikobehaftete Region angesteuert wird oder nicht?

Die Airline. Sie ist verpflichtet, mit all den zur Verfügung stehenden Informationen eine Risikobewertung zu machen und dann zu entscheiden: Wir führen den Flug durch. Oder wir lassen es.

Dabei spielen wirtschaftliche Interessen sicher eine Rolle.

Sie sind ein Schwerpunkt bei der Entscheidung. Dabei kennen wir das Problem jetzt schon seit mindestens 20 Jahren: Die Gefahr, in einer Konfliktzone mit Passagiermaschinen zu fliegen, wird einfach nicht ernst genug genommen. Es begann mit dem Abschuss der Korean 007 durch einen sowjetischen Abfangjäger 1983. 1988 wurde eine iranische Passagiermaschine durch das amerikanische Kriegsschiff USS Vincennes über dem Persischen Golf abgeschossen. Es gab Abschüsse über Ägypten, dem Schwarzen Meer, dann, 2014, der Abschuss der MH 17 über der Ukraine. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

So viele Tote!

Ja. Bei Gewitter, Eis, Schnee sagen alle sofort: Lassen wir den Flieger lieber stehen. Das ist kalkulierbar, man weiß, welche Gefahren lauern. Aber bei militärischen Auseinandersetzungen ist die Informationslage viel schlechter. Nur, es kann doch nicht sein, dass man deshalb sagt: Ach, da fliegen wir jetzt mal durch.

Weil beim Umrouten viel Zeit verloren geht?

Und es kostet viel Geld, weil man weite Strecken umfliegen muss.

Iran wird weiterhin überflogen. Zum Beispiel, wenn man aus Oman oder anderen Emiraten nach Deutschland zurückfliegt. Da kann man sich als Fluggast schon unwohl fühlen, oder?

Ja, das würde mir momentan auch so gehen. Ich bin jahrelang über Afghanistan geflogen. Schön ist das nicht. Es gibt derzeit einfach so viele Länder, bei denen der Überflug potenziell eine Gefährdung darstellt. Libyen, Ägypten, Syrien, Irak, Iran, Afghanistan - das ist wie eine Mauer zwischen Europa und dem Fernen Osten. Die europäischen Piloten fordern langfristig, dass wir von den zuständigen Behörden - in Deutschland sind es das Auswärtige Amt und das Verkehrsministerium - nicht nur die Empfehlungen mitgeteilt bekommen, sondern dass wir über die Ergebnisse der Risikoanalysen informiert werden. Wir sitzen ja vorne drin und tragen die Verantwortung für die Fluggäste. Oft ist es sogar so, dass die Behörden die Fluggesellschaften fragen: Wie sieht's denn da in der Region aus? Aber umgekehrt kommt meist sehr wenig.

Was müsste noch verbessert werden?

Wir bräuchten eine zentrale Stelle, die zumindest für Europa im Zusammenspiel mit den europäischen Fluggesellschaften beschließen kann, dass ein Gebiet nicht angeflogen oder überflogen wird. Die also nicht nur Empfehlungen ausspricht. Das scheitert bislang an den politischen Interessen einzelner Staaten, die ihre Autonomie nicht aufgeben wollen.

Können Piloten sich wehren, eine Route zu fliegen, die ihnen zugeteilt wird?

Theoretisch ja. Der Gesetzgeber gibt dem Kapitän diese Handhabe. Der Kapitän ist letztendlich verantwortlich für die Durchführung des Fluges und die Sicherheit der Passagiere. Er muss entscheiden: Drehe ich um oder fliege ich weiter. Wir sind ja ausgebildet als Entscheider, als Risiko-Assesors, das machen wir jeden Tag. Mir ist es in meinen 45 Jahren als Pilot öfter passiert, dass sich Situationen so schnell verändert haben, dass ich reagieren musste. Manchmal bin ich auf eine andere Strecke ausgewichen. Oder ich bin erst mal gelandet, habe getankt und mir die Situation in Ruhe angeschaut. Es gibt aber auch Airlines, die ihren Piloten solche sicherheitsrelevanten Informationen vorenthalten. Und es gibt Airlines, die dem Kapitän die Entscheidung, einen Ort nicht anzufliegen, hinterher als Arbeitsverweigerung auslegen.

Der Pilot muss hier arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten, wenn und obwohl er zugunsten der Sicherheit seiner Passagiere entschieden hat?

So ist es. Der nächste Kapitän wird sich das dann gut überlegen. Und auch die Behörden haben Angst vor Haftungsansprüchen.

Welchen Flughafen würden Sie derzeit nicht anfliegen?

Erbil. Also die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum der Nordirak angeflogen wird, obwohl das Sicherheitslevel für Iran und Irak derzeit wirklich gering ist. Das ist unglaublich.

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