Süddeutsche Zeitung

Ägypten:Kamel von links

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Wer in der Gegend des ägyptischen Hurghada Urlaub macht, kommt wegen der Strände und der Riffs. In die Wüste fahren bisher nur wenige. Selber schuld. Ein Besuch im Wadi el Gemal.

Von Andreas Glas

Es rumpelt und staubt. Der Schotter knirscht, der Motor scheppert, das Blech klappert. Mohamed Gad, 51, steuert auf eine Akazie zu, den einzigen Baum, der weit und breit zu sehen ist. Er tritt auf die Bremse, stößt die Tür des Geländewagens auf. Der Motor hallt kurz nach, dann ist Stille. Dann ist da nur noch das eigene Blut, das in den Ohren pocht.

Das Knirschen, das Scheppern, das Klappern. Man muss das auf sich nehmen, um eine Erinnerung wiederzufinden. Die Erinnerung, wie Stille sich anfühlt. Kann sein, dass Mohamed Gad diese Stille gar nicht mehr wahrnimmt. Er hört die Stille jeden Tag, der Mensch gewöhnt sich recht schnell an alles Mögliche. Mohamed Gad, Kopftuch, Zahnlücke, bodenlanges Hemd, ist der Direktor hier im Nationalpark Wadi el Gemal. Und wie er da im Staub steht, die Hände in die Hüften gestemmt, demonstriert er auch gern, dass das sein Park ist.

Mitten in der Wüste gibt es noch immer die Überreste antiker Smaragdminen

Er steht unter einem Akazienbaum, er bückt sich und zupft ein Pflänzchen aus dem Boden. Er steckt es in den Mund, fängt an zu kauen. Das Pflänzchen, sagt Gad, sei gut fürs Gedächtnis. Ein gutes Gedächtnis braucht man hier auch, der Nationalpark misst fast 7500 Quadratkilometer, ist so groß wie Südtirol. Und wer die Routen nicht kennt, hat ein Problem, der findet am Ende nicht mehr raus aus der Wüste. Nur wenige Pflanzen wachsen hier, aber zurzeit ist es etwas grüner als sonst. "Es hat vor Kurzem geregnet", sagt Mohamed Gad, im November war das. Vor Kurzem, ja? In der Wüste ist das Zeitgefühl ein anderes, wenn es um Regen geht.

Das Wadi el Gemal, deutsch: Tal der Kamele, ist UN-Schutzgebiet und einer von drei Nationalparks in Ägypten. Mohamed Gad mag hier der Boss sein, aber natürlich gehört ihm das Wadi nicht. Es gehört den Ababda-Nomaden, die hier leben, gemeinsam mit ihren Kamelen. Der Park streckt sich vom Roten Meer bis weit hinein ins Land. Er beginnt 50 Kilometer südlich von Marsa Alam und wer dorthin will, fährt vom Flughafen aus die Küste entlang, über eine holprige Straße, vorbei an Dutzenden Hotels und an Bauruinen, die zu Hotels werden sollten, bevor die Tourismuskrise über Ägypten hereinbrach. Seit Beginn des Arabischen Frühlings 2011 und der Restauration eines autoritären Systems, die mit Attentaten einherging, hat das Land am Nil fast zwei Drittel seiner Gäste verloren. Mittlerweile gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich der Tourismus in Ägypten wieder erholen könnte, deutsche Veranstalter bieten dort wieder verstärkt Badetourismus an.

Wer in der Region Marsa Alam Urlaub macht, kommt wegen der Strände und der Riffs, die perfekt sind für Schnorchler und für Taucher. In die Wüste fahren dagegen nur wenige Urlauber. Selber schuld.

"Hier gibt es noch etwas zu entdecken", sagt Gianni Bodini, und das hört sich an wie ein abgewetzter Satz aus den Reisekatalogen, die ja überall große Entdeckungen versprechen. Aber hier, im Wadi el Gemal, ist da schon was dran. Und Gianni Bodini, 69, muss es wissen. Er ist Südtiroler, hat Bücher über den Vinschgau geschrieben, war Bergführer im Ötztal, aber das reicht ihm nicht mehr, er schreibt jetzt lieber Bücher über das Wadi el Gemal. "In Südtirol ist alles schon entdeckt worden, jeder Quadratmeter ist ausgehoben", sagt Bodini. "Hier gräbst du ein Loch und findest etwas Neues." Und manchmal muss man gar nicht graben, manchmal stolpert man sprichwörtlich über die ägyptische Kulturgeschichte. Über antike Keramikscherben etwa, die über Meter verstreut im Staub liegen, praktisch unangetastet.

Gianni Bodini, kurze Hawaiihose, klobige Wanderstiefel, steht jetzt vor einem Felsmassiv, das früher eine Smaragdmine war. Erst waren es die alten Ägypter, die hier Bergbau betrieben, später haben sich die Römer angesiedelt und die Edelsteine mit Hilfe der Kamele über Hunderte Kilometer ins Niltal transportiert, auf Schiffe verladen und nach Europa gebracht. Die römischen Bergarbeiter lebten in steinernen Hütten, deren Ruinen stehen immer noch da. Und zwischen den Hütten tigert Bodini herum, seine Augen tasten den staubigen Boden ab, er bückt sich immer wieder, und als er die Faust öffnet, liegen ein paar glitzernde Brösel in seiner Hand. Echte Edelsteine, "von minderer Qualität", sagt Bodini, "aber ein Zeugnis, dass früher ganz viel da war".

Wieder rein in den Geländewagen, wieder rumpelt und staubt es, während draußen die Felsmassive vorbeiziehen. Die Klippen leuchten und schimmern, je nach Gestein und Sonnenwinkel, in kuriosen Farben: rostbraun, staubgrau, kupferrot. Immer wieder tauchen Büsche auf und Akazienbäume, deren Kronen die Kamele so akkurat abgefieselt haben, dass sie aussehen, als habe ein Landschaftsgärtner mit der Heckenschere gearbeitet. Oben grüne Blätter, dann ein schnurgerader Schnitt, darunter kahle, braune Ästlein.

"Das Leben spielt sich hier rund um die Akazien ab", sagt Mohamed Gad. Er braucht das eigentlich nicht zu sagen, man kann es ja sehen. Wo die Akazien wachsen, da grasen Kamele, da suchen Ziegen und Schafe den Schatten, da schlagen Beduinen ihre Zelte auf. Für die Touristen organisiert Mohamed Gad aber auch mal ein Zelt in den trockensten Abschnitten des Nationalparks. Im Wadi el Gemal gibt es nicht nur Steinwüste, es gibt auch Sanddünen, und auf einer dieser Dünen bittet Mohamed Gad jetzt zum Kaffee. Unter dem Zeltdach röstet ein Beduine die Bohnen über offenem Feuer, zerstampft sie im Mörser, mischt Kardamom dazu und Ingwer, dann gibt er alles zusammen in eine Kanne, die er aufs Feuer setzt. Man sitzt jetzt da, im offenen Beduinenzelt, mit der warmen Tasse in der Hand. Man lauscht der Stille, die Augen streifen kilometerweit ins Land, erforschen die Dünen, die Berge und den weiten, blauen Himmel.

Das Meer sieht aus wie ein türkiser Flickenteppich - die Fischvielfalt ist enorm

Der Motor scheppert wieder, und es dauert eine Stunde, bis der Geländewagen sich zurückkämpft zur Küstenstraße, die das Wadi el Gemal von den Stränden am Roten Meer trennt. Es ist ein Versäumnis, nicht in die Wüste zu fahren, es wäre aber genauso nachlässig, nicht aufs Meer hinauszufahren. Zum Beispiel mit Ahmadani Ali Saad, der gerade ein Touristenboot durch die Wellen steuert. Mit breiten Beinen steht er hinterm Steuerrad, trägt Schnauzer zu kariertem Kopftuch. "Schaut, schaut", ruft Ahmadani Ali Saad und deutet aufs Meer hinaus, wo ein Schwarm Delfine durch das Wasser pflügt.

Ahmadani Ali Saad fährt Schlangenlinien, um das Boot und die Korallen nicht zu beschädigen. Manche Riffe liegen so knapp unter der Wasseroberfläche, dass das Meer aussieht wie ein Flickenteppich: blau, grün, türkisfarben. Wer hier taucht oder schnorchelt, der tut das an einem der besten und buntesten Spots, die das Rote Meer zu bieten hat. Fast 250 Korallenarten gibt es hier und mehr als 100 Fischarten, darunter Falterfische, Rotfeuerfische, Rochen, Riffhaie. Wenn man zwischendurch auftaucht, die Taucherbrille hochschiebt und sich umschaut, sieht man Mangrovenwälder auf einsamen, von Schildkröten besiedelten Inseln. Und hinter der Bucht, da türmen sich die Felsmassive der Steinwüste. Rostbraun, staubgrau, kupferrot. Die Ödnis, so scheint es, ist nirgendwo bunter als im Wadi el Gemal.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2017
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