Psychologie

Krank vor Liebe?

Liebeskummer wird gerade bei jungen Menschen oft verniedlicht und mit allerlei gut gemeinten Ratschlägen versorgt. Doch eigentlich ist die Lage ernst.

9. Juli 2022 - 9 Min. Lesezeit

In klitzekleiner hübscher Mädchenhandschrift hatte Jana, 16, den Satz über hundert Mal auf ein DIN-A3-Blatt geschrieben. „Fuck off life!“ stand da, immer wieder, wie ein gemustertes Geschenkpapier sah es aus: „Fuck off life!“ Als ihre Mutter das Papier auf Janas Schreibtisch fand, ging in ihr ein Alarmknopf an. All die Wochen, in denen Jana nun schon wegen ihres Liebeskummers im Bett gelegen war. Seit zwei Monaten klagte die Tochter, dass sie nie mehr jemanden finden wird wie ihn, diesen gleichaltrigen Jungen aus dem Kletterkurs, mit dem sie sich ein paar Wochen lang verabredet hatte und der sie dann per Whatsapp-Nachricht sitzen gelassen hatte.

Jana war so traurig seitdem, antriebslos. In die Schule ging sie zwar, aber ansonsten blieb sie nur noch allein in ihrem Zimmer und schaute in ihr Handy. „Andere Mütter haben auch schöne Söhne“, „Geh doch mal raus, lenk dich ab“, „Der hat dich gar nicht verdient“ – das ganze Besteck an Liebeskummerratschlägen habe sie ausgepackt, erzählt ihre Mutter. Aber es war, als würde sie Jana gar nicht erreichen damit. Am Wochenende zog sie tagsüber den Vorhang zu. Und dann lag da eben dieser Zettel.

Liebeskummer als starke emotionale Reaktion auf eine verlorene Liebe oder eine andere Form emotionaler Zurückweisung wird gesellschaftlich als zwar schmerzhafter, aber doch auch ganz normaler Teil des Lebens verstanden, der in jedem Alter möglich ist. Der erste Liebeskummer, der bei den meisten Menschen irgendwann zwischen später Kindheit und frühem Erwachsenenalter stattfindet, gilt gleichzeitig als besonders dramatisch – und meistens von außen betrachtet auch als ein bisschen niedlich. Ist es doch eine relevante Erfahrung des Heranwachsens, zu spüren, dass man menschliche Verbindungen nicht alleine bestimmen kann und dass man gleichzeitig auch jenseits der Kindheit diese Bindungen braucht, ja, dass man liebesfähig ist, eine Eigenschaft, zu der genauso wie zum Liebeskummer der Mensch alleine fähig ist. „Ohne Liebeskummer keine Liebe“ ist noch so ein Spruch, den Eltern gern bemühen, um den Schmerz der Heranwachsenden zu sortieren.

Das englische Wort „Lovesickness“ trägt die Krankheit sogar schon im Namen.

Was dabei oft übersehen wird: Nicht nur, aber gerade auch bei jungen Menschen scheint Liebeskummer durchaus ein großer Risikofaktor für schwerer wiegende psychische Probleme zu sein. Symptome wie lähmende Traurigkeit, Hilflosigkeit, das Gefühl von Sinnlosigkeit, Antriebslosigkeit und Leere, dazu körperliche Reaktionen wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit oder Schlaflosigkeit, entsprechen weitgehend denen der Depression. Suizidalität bei Liebeskummer ist schlecht untersucht, aber in verschiedenen Studien gelten gerade bei jungen Menschen Beziehungsprobleme als besonders häufiger Anlass für Suizidversuche. In den USA etwa gaben über 20 Prozent der Studierenden, die versuchten, sich das Leben zu nehmen, Beziehungsprobleme als Anlass an, nach Depressionen der zweithäufigste Grund. Im Englischen heißt Liebeskummer „Lovesickness“, was das Wörtchen Krankheit schon im Namen trägt. Das „Broken Heart Syndrom“ ist ein somatischer Zustand, der bei starker emotionaler Belastung nach einer Trennungserfahrung auftreten kann, zu Symptomen wie Atemnot und Enge in der Brust führt und eine Bewegungsstörung im Herzen als Ursache hat.

Kann es also sein, dass Liebeskummer viel weniger harmlos ist als gemeinhin angenommen und ein Blick auf Liebeskummer als potenzielle psychische Erkrankung sinnvoll wäre? „Wir neigen kulturell bedingt dazu, die psychischen Auswirkungen von Liebeskummer gerade bei jungen Menschen zu unterschätzen“, sagt Henrik Walter, stellvertretender Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin, der Liebeskummer zuletzt unter die psychiatrische Lupe nahm. Er vergleicht die Situation mit Cannabisrauchen: „Es betrifft ganz viele, und bei den allermeisten geht es gut, aber gerade bei Jugendlichen geht es eben manchmal nicht gut. Liebeskummer ist ein starker Risikofaktor für Suizidalität. Man sollte ihn nicht grundsätzlich pathologisieren, aber mehr Forschung zum Liebeskummer täte gut, genauso wie ein Ernstnehmen der psychologischen und neurobiologischen Prozesse.“

Gleichzeitig gelten mentale Leidenszustände ganz bewusst eben nicht als psychische Störungen, wenn sie Folgen von universellen und kaum vermeidbaren Lebenserfahrungen sind wie etwa Trauer, Trennungsangst bei Kindern oder auch Erschöpfung nach Anstrengung. Geht jemand zum Arzt, weil er oder sie seinen Liebeskummer nicht mehr aushalten kann, und hält dieser Arzt es dann für nötig, mit Medikamenten oder Therapie zu helfen, wird normalerweise eine Anpassungsstörung diagnostiziert. In diese Restekategorie der Klassifikationen psychischer Erkrankungen fallen meist Patienten, die nach einem kritischen Lebensereignis nicht die vollen Kriterien für eine Angststörung oder Depression erfüllen.

„Das kann man schon so machen“, sagt Henrik Walter, „Aber man verpasst es durch den abstrakten Begriff Anpassungsstörung schon auch, Menschen mit stark belastendem Liebeskummer die Möglichkeit therapeutischer Hilfe schon früher ins Bewusstsein zu bringen. Genauso wie die damit verbundenen spezifischen Ideen, was man gegen diesen Schmerz tun kann.“

Psychologie

Krank vor Liebe?

Liebeskummer wird gerade bei jungen Menschen oft verniedlicht und mit allerlei gut gemeinten Ratschlägen versorgt. Doch eigentlich ist die Lage ernst.

In klitzekleiner hübscher Mädchenhandschrift hatte Jana, 16, den Satz über hundert Mal auf ein DIN-A3-Blatt geschrieben. „Fuck off life!“ stand da, immer wieder, wie ein gemustertes Geschenkpapier sah es aus: „Fuck off life!“ Als ihre Mutter das Papier auf Janas Schreibtisch fand, ging in ihr ein Alarmknopf an. All die Wochen, in denen Jana nun schon wegen ihres Liebeskummers im Bett gelegen war. Seit zwei Monaten klagte die Tochter, dass sie nie mehr jemanden finden wird wie ihn, diesen gleichaltrigen Jungen aus dem Kletterkurs, mit dem sie sich ein paar Wochen lang verabredet hatte und der sie dann per Whatsapp-Nachricht sitzen gelassen hatte.

Jana war so traurig seitdem, antriebslos. In die Schule ging sie zwar, aber ansonsten blieb sie nur noch allein in ihrem Zimmer und schaute in ihr Handy. „Andere Mütter haben auch schöne Söhne“, „Geh doch mal raus, lenk dich ab“, „Der hat dich gar nicht verdient“ – das ganze Besteck an Liebeskummerratschlägen habe sie ausgepackt, erzählt ihre Mutter. Aber es war, als würde sie Jana gar nicht erreichen damit. Am Wochenende zog sie tagsüber den Vorhang zu. Und dann lag da eben dieser Zettel.

Liebeskummer als starke emotionale Reaktion auf eine verlorene Liebe oder eine andere Form emotionaler Zurückweisung wird gesellschaftlich als zwar schmerzhafter, aber doch auch ganz normaler Teil des Lebens verstanden, der in jedem Alter möglich ist. Der erste Liebeskummer, der bei den meisten Menschen irgendwann zwischen später Kindheit und frühem Erwachsenenalter stattfindet, gilt gleichzeitig als besonders dramatisch – und meistens von außen betrachtet auch als ein bisschen niedlich. Ist es doch eine relevante Erfahrung des Heranwachsens, zu spüren, dass man menschliche Verbindungen nicht alleine bestimmen kann und dass man gleichzeitig auch jenseits der Kindheit diese Bindungen braucht, ja, dass man liebesfähig ist, eine Eigenschaft, zu der genauso wie zum Liebeskummer der Mensch alleine fähig ist. „Ohne Liebeskummer keine Liebe“ ist noch so ein Spruch, den Eltern gern bemühen, um den Schmerz der Heranwachsenden zu sortieren.

Das englische Wort „Lovesickness“ trägt die Krankheit sogar schon im Namen.

Was dabei oft übersehen wird: Nicht nur, aber gerade auch bei jungen Menschen scheint Liebeskummer durchaus ein großer Risikofaktor für schwerer wiegende psychische Probleme zu sein. Symptome wie lähmende Traurigkeit, Hilflosigkeit, das Gefühl von Sinnlosigkeit, Antriebslosigkeit und Leere, dazu körperliche Reaktionen wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit oder Schlaflosigkeit, entsprechen weitgehend denen der Depression. Suizidalität bei Liebeskummer ist schlecht untersucht, aber in verschiedenen Studien gelten gerade bei jungen Menschen Beziehungsprobleme als besonders häufiger Anlass für Suizidversuche. In den USA etwa gaben über 20 Prozent der Studierenden, die versuchten, sich das Leben zu nehmen, Beziehungsprobleme als Anlass an, nach Depressionen der zweithäufigste Grund. Im Englischen heißt Liebeskummer „Lovesickness“, was das Wörtchen Krankheit schon im Namen trägt. Das „Broken Heart Syndrom“ ist ein somatischer Zustand, der bei starker emotionaler Belastung nach einer Trennungserfahrung auftreten kann, zu Symptomen wie Atemnot und Enge in der Brust führt und eine Bewegungsstörung im Herzen als Ursache hat.

Kann es also sein, dass Liebeskummer viel weniger harmlos ist als gemeinhin angenommen und ein Blick auf Liebeskummer als potenzielle psychische Erkrankung sinnvoll wäre? „Wir neigen kulturell bedingt dazu, die psychischen Auswirkungen von Liebeskummer gerade bei jungen Menschen zu unterschätzen“, sagt Henrik Walter, stellvertretender Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin, der Liebeskummer zuletzt unter die psychiatrische Lupe nahm. Er vergleicht die Situation mit Cannabisrauchen: „Es betrifft ganz viele, und bei den allermeisten geht es gut, aber gerade bei Jugendlichen geht es eben manchmal nicht gut. Liebeskummer ist ein starker Risikofaktor für Suizidalität. Man sollte ihn nicht grundsätzlich pathologisieren, aber mehr Forschung zum Liebeskummer täte gut, genauso wie ein Ernstnehmen der psychologischen und neurobiologischen Prozesse.“

Gleichzeitig gelten mentale Leidenszustände ganz bewusst eben nicht als psychische Störungen, wenn sie Folgen von universellen und kaum vermeidbaren Lebenserfahrungen sind wie etwa Trauer, Trennungsangst bei Kindern oder auch Erschöpfung nach Anstrengung. Geht jemand zum Arzt, weil er oder sie seinen Liebeskummer nicht mehr aushalten kann, und hält dieser Arzt es dann für nötig, mit Medikamenten oder Therapie zu helfen, wird normalerweise eine Anpassungsstörung diagnostiziert. In diese Restekategorie der Klassifikationen psychischer Erkrankungen fallen meist Patienten, die nach einem kritischen Lebensereignis nicht die vollen Kriterien für eine Angststörung oder Depression erfüllen.

„Das kann man schon so machen“, sagt Henrik Walter, „Aber man verpasst es durch den abstrakten Begriff Anpassungsstörung schon auch, Menschen mit stark belastendem Liebeskummer die Möglichkeit therapeutischer Hilfe schon früher ins Bewusstsein zu bringen. Genauso wie die damit verbundenen spezifischen Ideen, was man gegen diesen Schmerz tun kann.“