Transparenz-Blog

Erotische Mails, Winterkorns Kontoauszüge und Seehofers Privatleben

Seriöse Berichterstattung darf natürlich auch unterhaltsam sein – aber nur, wenn dabei die Persönlichkeitsrechte geachtet werden. Die SZ-Redaktion veröffentlicht deshalb längst nicht alles, was sie bei ihren Recherchen erfährt.

Klaus Ott, Redakteur Investigative Recherche

4 Min. Lesezeit

Erotische Botschaften gefällig? Kein Problem, in unserem reichhaltigen Fundus aus allen möglichen Recherchen finden sich auch sehr anzügliche Mails. Da geht es um (sexuelle) Angriffslust, um dies und das und noch viel mehr. Damit ließen sich viele Geschichten ausschmücken; damit ließen sich die Klick-Quoten auf der SZ.de leicht nach oben treiben. Nur werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, davon bei uns wenig finden (oder in unseren Podcasts hören).

Wir unterscheiden streng zwischen Voyeurismus und öffentlichem Interesse. Ganz egal, ob es um Politiker geht oder um Manager, oder andere Personen, prominent oder bedeutend. Natürlich gilt das beispielsweise auch für Martin Winterkorn, den ehemaligen VW-Chef, der in die Abgasaffäre bei Volkswagen verwickelt sein soll (was er bestreitet). Im Zuge der Ermittlungen gegen Winterkorn und viele andere heutige und frühere Ingenieure und Vorstände aus dem VW-Konzern hat die Staatsanwaltschaft auch jede Menge Unterlagen bei dem früheren Vorstandschef beschlagnahmt und ausgewertet.

Sieben Akten über private Geldflüsse und Vermögensverhältnisse von Winterkorn fanden schließlich ihren Weg in die Medien, auch zu uns. Darunter befanden sich mehrere hundert Seiten mit Kontoauszügen, aus denen hervorging, wofür die Winterkorns über die Jahre hinweg ihr Geld ausgegeben haben. Das hätte leicht eine sogenannte „Home Story“ hergegeben: So leben die Winterkorns. Allein: Das geht die Öffentlichkeit nichts an, solange es nicht einen begründeten Verdacht gibt, dass irgendetwas nicht in Ordnung wäre. Wir haben natürlich nichts durchs Schlüsselloch geblickt, sondern eine ganz andere Geschichte gemacht: „Staatsanwaltschaft stellt Winterkorn bloß.“

Die Ermittler hatten im Verlaufe der Ermittlungen bei VW diese Akten so breit gestreut, dass sie über Umwege an Journalisten gelangten; auch an uns. Ein Boulevardblatt machte aus Winterkorns privaten Vermögensverhältnissen eine „Steueraffäre“, die gar keine war. Die SZ hat dann, weil die angebliche Affäre viele Schlagzeilen machte, auch darüber berichtet. Aber anders. Wir haben beschrieben, dass Winterkorn und seine Frau ihr Vermögen ganz offenkundig steuersparend aufgeteilt haben, wie viele andere reiche Leute auch. Und wie das betreffende Modell heißt, das sich „Güterstandsschaukel“ nennt, weil Geld hin- und hergeschaukelt wird (ganz legal übrigens, wenn man das richtig macht). Aber dass mitnichten wegen Steuerhinterziehung ermittelt werde.

Natürlich haben wir viele VW-Akten genau ausgewertet. Aber immer im Hinblick auf die Abgasaffäre bei Volkswagen. Wer hat wann was gewusst? Ist Winterkorn nun verstrickt in die Affäre oder nicht? Was ist mit anderen Managern? Verdachtsberichterstattung nennt sich das, weil ja während solcher Ermittlungen meist noch nicht klar ist, was am Ende herauskommt (von Geständnissen abgesehen). Dafür haben wir einen eigenen Leitfaden erarbeitet, den wir allen Kolleginnen und Kollegen in der SZ an die Hand geben, die mit solchen Themen zu tun haben.

Es braucht ernsthafte, gut belegte Hinweise, um über mutmaßliche Verstöße berichten zu können. Es muss um weit mehr gehen als um einen Nachbarschaftsstreit, zum Beispiel um systematisches Fehlverhalten in Politik oder Konzernen oder um Prominente mit Vorbildfunktion. Die Recherche muss ergebnisoffen sein, Entlastendes muss genauso zusammengetragen und berichtet werden wie Belastendes. Die Betroffenen müssen rechtzeitig befragt werden. Die Unschuldsvermutung muss klar zum Ausdruck kommen. Und so weiter.

Eine der Maßgaben lautet auch: Privates bleibt privat, wenn es privat ist und mit mutmaßlichen Verfehlungen nichts zu tun hat. Nicht nur bei Winterkorn. Das gilt im Übrigen auch für die Politik, in der immer wieder mal schmutzige Wäsche gewaschen wird. Ganz nach dem Motto „Feind – Todfeind – Parteifreund“, eine makabre Steigerungsformel, die dem ersten Kanzler der Bundesrepublik zugeschrieben wird, Konrad Adenauer. Dass diese Formel manchmal zutrifft, beweisen Machtkämpfe vergangener Jahrzehnte in der Christlich-Sozialen Union (CSU). Als Jahre nach dem Tod von Franz Josef Strauß ein heftiger Machtkampf ausbrach, wurde Theo Waigels Privatleben von Parteifreunden in die Öffentlichkeit gezerrt. Waigel wurde als Parteichef und Ministerpräsident verhindert. Später wiederholte sich dieses schmutzige Treiben bei Horst Seehofer. Auch dessen Aufstieg wurde erst einmal sabotiert, bevor er später dann doch beide Ämter bekam.

Die SZ hat damals nicht in den Privatleben von Waigel und Seehofer herumgestochert. Aber natürlich über die Machtkämpfe berichtet, und wie sie ausgetragen wurden. Und wir haben das entsprechend kommentiert. Die Überschrift über dem betreffenden Leitartikel lautete: „Das jüngste Gerücht“.

Unterhaltsame Berichterstattung über Prominente gibt es in der SZ natürlich schon auch. Klatsch und Tratsch inklusive. Aber eben anders. Seriös.