Schweiz
Ansichten eines Clowns
Die russische Botschaft in der Schweiz ist sehr umtriebig, mehr noch als die russischen Botschaften in Deutschland, Frankreich, oder in den USA – zumindest wenn es um Pressemitteilungen auf der Homepage geht. Hier finden sich aber nicht die sonst üblichen Putin-Ansprachen oder Lawrow-Statements. In Bern scheint Botschafter Sergej Garmonin eine andere Strategie zu verfolgen. In den Mitteilungen an die Presse lässt sich seine Botschaft vor allem über Schweizer Zeitungsartikel aus. Mal in Briefform an eine Chefredaktion, mal eher in einem Blogbeitrag darüber, welcher Autor wo welche Sätze veröffentlichte, die der Botschaft missfallen. Aktuell macht sie Schlagzeilen, weil sie der Neuen Zürcher Zeitung nach dem Abdruck eines Putin-Memes aus dem Internet mit einer Klage droht. Es geht dabei um zwei Fotomontagen, die bei Twitter in Umlauf sind, mit denen die Zeitung einen Text über Memes in Zeiten des Ukraine-Krieges illustrierte. Das eine zeigt Selenskij als Superheld frei nach der Marvel-Figur „Captain America“. Das andere Putin mit Clownsnase und Regenbogenfarben über dem linken Auge.
Es ist nicht das erste Mal, dass NZZ-Journalisten von der russischen Botschaft öffentlich angegangen werden. Mehrfach traf es bereits einen für Russland-Themen zuständigen Redakteur. Mit Berichten aus der Neuen Zürcher beschäftigte sich die Botschaft zuletzt am häufigsten, gerne unter provokanten Überschriften wie „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ (7. Januar), „Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht“ (22. Februar), „Öl ins Feuer gießen“ (15. Juni), oder „Aus einem Ackergaul kann man kein Rennpferd machen“ (28. Juni). Die Vorliebe für russische und deutsche Sprichwörter verleiht diesen Beschwerdeschreiben und Versuchen, die Presse einzuschüchtern, eine stilistisch oft recht eigenwillige Note („wenn du kannst nicht, fang es nicht an“ [sic], „setz dich nicht in fremde Schlitten“).
Seltener wird gelobt: Der Aargauer Zeitung verlieh die Botschaft Anfang Februar das Prädikat „Qualitätsjournalismus“ für einen Artikel mit dem Thema „Warum Schweizer Topdiplomaten die Kriegsgefahr für gering halten“. Eine zweifelhafte Auszeichnung, bedenkt man, wie es um das Verständnis von kritischem Journalismus und Pressefreiheit in Russland bestellt ist und wie viele russische Journalisten bereits um ihr Leben fürchten oder ins Exil fliehen mussten.
Die NZZ berichtete über Memes im Ukrainekrieg – und zeigte zwei Beispiele
In der Schweiz, wo Rechtsstaat und Verfassung die Presse schützen, hat sich die NZZ bislang nicht von den Einlassungen zu ihren Artikeln beeindrucken lassen. Die gab es auch schon vor Kriegsbeginn, aber seit dem 24. Februar wurde der Ton schärfer. Im jüngsten Schreiben an NZZ-Chefredaktor Eric Gujer spricht die russische Botschaft nun gar von einer möglichen Anzeige.
Am 9. Juli veröffentlichte die NZZ in ihrer Samstagsausgabe den Artikel ihrer Social-Media-Redakteurin über Memes in Zeiten des Ukrainekriegs und druckte eben auch die beiden digital verfremdeten Bilder von Selenskij und Putin ab, die zuvor von Twitter-Nutzern veröffentlicht worden waren. Dem Presseteam der russischen Botschaft ging das zu weit. Man sei „äußerst empört über die Veröffentlichung der beleidigenden Karikatur“, schreibt die Botschaft – und führt über mehrere Zeilen aus, wie unzufrieden sie bereits in der Vergangenheit mit den Beiträgen in der NZZ war, wie „jung“ und „wenig bekannt“ die Autorin des jetzt veröffentlichten Beitrags sei. Und wie sehr Clownerie zum ukrainischen Präsidenten passe, aber absolut nicht zu Putin.Am meisten aber missfällt der Botschaft offenbar das Attribut der queeren Community auf dem Antlitz des Präsidenten. Das hebt sie einmal mehr durch den Einsatz von Sprichwörtern hervor: „Was die Persönlichkeit des Präsidenten Russlands betrifft, ist er, wie bekannt, ein tiefgläubiger orthodoxer Mann und setzt sich für Bewahrung traditioneller christlicher Werte in der russischen Gesellschaft ein (und ist ja kein Anhänger von der LGBT-Gemeinschaft), weswegen die Regenbogenfarben auf dem Gesicht, wie man in Russland sagt, weder einem Dorf noch einer Stadt passen (oder auf Deutsch, wie die Faust aufs Auge passt).“
Weiter geht es mit „Ideen der LGBT-Gemeinschaft“, die im Westen „seit Schuljahren aktiv und zwanghaft propagiert“ würden, mit angeblich unbewiesenen Kriegsverbrechen, „ukrainischen Neonazis“, russischen Kriegsgefangenen und mehr. Schlussendlich kommt der Brief wieder auf die Putin-Darstellung zu sprechen: Man behalte sich das Recht vor, „diese und mögliche künftige verleumderische und beleidigende Publikationen“ wegen übler Nachrede und Verleumdung anzuzeigen.
Darstellungen von Putin in dieser Art sind in Russland explizit verboten worden
Die NZZ hat sich bislang auch auf SZ-Anfrage nicht zu dem Fall geäußert. Ihr Artikel ist derzeit online weiterhin abrufbar, mitsamt dem verlinkten Tweet zur Karikatur. Deren Ikonografie ist übrigens deutlich älter als der fast fünf Monate andauernde Angriffskrieg auf die Ukraine. Putin als homosexueller Clown ist ein Motiv, das schon 2013 bei Protesten in Russland verbreitet war. Nachdem ein Gesetz jegliche positive Äußerungen über „nicht traditionelle sexuelle Beziehungen“ in Anwesenheit von Kindern, in Medien und im Internet verbot, gingen Demonstranten mit Plakaten auf die Straße, die Putins Gesicht stark geschminkt vor Regenbogen-Hintergrund zeigten: als Clown mit Lidschatten, langen Wimpern und Lippenstift. Teils versehen mit der Aufforderung „Stoppt Homophobie“.
Das Motiv wurde derart bekannt und in verschiedenen Ausführungen weiterverbreitet, dass russische Gerichte erst mehreren Bildern auf dem russischen Facebook-Klon-Netzwerk „VKontakte“ nachgingen und die Regierung in Moskau sich 2017 schließlich genötigt sah, die Darstellung des geschminkten Putin explizit zu verbieten. Da das als „extremistisch“ eingestufte Material auf der behördlichen Liste aber nur mit Worten beschrieben wurde, rätselten Medien wie The Moscow Times oder die russische Website TJ Journal, welche der zuletzt kursierenden Version überhaupt genau gemeint war: Putin geschminkt und allein? Oder doch Putin geschminkt neben einem ebenfalls geschminkten Dmitrij Medwedjew, dem damaligen russischen Ministerpräsidenten?
Das Putin-Meme aus der NZZ war 2017 Teil der „Gay Clown Putin Challenge“ auf Reddit
Das Verbot jedenfalls verhalf dem Meme ungewollt zu einer noch größeren internationalen Bekanntheit. Auf Reddit entstand 2017 die „Gay Clown Putin Challenge“, bei der sich Nutzer mit den besten Photoshop-Entfremdungen überbieten wollten. Und eines dieser Bilder war ebenjene Darstellung, die jetzt von der NZZ abgedruckt wurde. Als Vorlage diente ein Putin-Porträt von Fotograf Platon, das für das US-Magazin Time entstand. Der Fotograf selbst erklärte bei einem Ted-Talk vor wenigen Tagen nicht ohne Stolz vor großem Publikum, wie sein Bild in Russland als Meme entfremdet und weiterverbreitet wurde.
Im Kontext das Ukrainekrieges taucht aber nicht nur diese Version des Memes nun fünf Jahre später als Kopie in den sozialen Netzwerken wieder auf. In Bulgarien etwa wurden Anfang März Fernsehsender gehackt, um ein Putin-Clown-Gesicht im Stil der Protestplakate von 2013 einzublenden – nun versehen mit dem Spruch „Make Love Not War“.
Während die russische Botschaft in Bern versucht, der NZZ mit Klagen zu drohen, reagieren auch Nutzer auf Twitter und in anderen sozialen Medien. Dort verbreitet sich die Kunde, dass der russische Staat noch immer „äußerst empört“ reagiert – und es rollt die nächste Welle des Putin-Clown-Memes heran.