Putsch in Niger

„Die Situation beschäftigt die französische Regierung mehr als die Menschen in Niger“

Demokratie, Unabhängigkeit und Jobs – drei junge Menschen aus Niger erzählen, wie sie den Putsch erlebt haben und was sie sich für die Zukunft ihres Landes wünschen.

Protokolle von Gracia Ndona
6. Oktober 2023 - 5 Min. Lesezeit
Was passiert, wenn das Militär in einem Land an die Macht kommt? Neben Mali, Burkina Faso und Gabun stellt sich diese Frage aktuell auch für die junge, westafrikanische Bevölkerung in Niger. Am 26. Juli 2023 wurde dort der demokratisch gewählte Präsident Mohamed Bazoum gestürzt.
Niger wird seither vom Militär regiert. Wie haben die Menschen in dem Land mit der weltweit jüngsten Bevölkerung diese Veränderung erlebt? Wie geht es für sie weiter? Drei junge Menschen aus Niamey, der Hauptstadt des Niger, erzählen, was sie vom Putsch mitbekommen haben, wie sich ihr Leben dadurch verändert hat und wie sie zu dem Staatsstreich stehen.
„Die Möglichkeit zu studieren und anschließend einen Job zu finden — das wünsche ich mir für junge Menschen in Niger“
Ibrahim, 24, studiert Informatik
Ibrahim, 24, studiert Informatik

„Seit mehr als zehn Jahren war die Nigrische Partei für Demokratie und Sozialismus an der Macht. Daher kommt der Frust des Volkes. Wir haben nichts gegen den gestürzten Präsidenten Bazoum persönlich. Die meisten mögen ihn. Kurz vor dem Militärputsch hat er noch eine neu gebaute Straße in Niamey eröffnet. Solche Veränderungen begrüßen wir. Trotzdem sind die Einwohner Nigers frustriert, weil diese Fortschritte so langsam kommen.

Wie ich vom Putsch erfahren habe? Ich war auf dem Weg zur Uni und dachte, es seien Fake News. Jeder hätte diese Nachricht online verbreiten können. Dann haben aber glaubwürdige Seiten von dem Sturz berichtet. Das hat mich sehr schockiert, weil ich damit nicht gerechnet habe. Der Niger ist ein demokratisches Land. Und jeder, der an die Demokratie glaubt, verurteilt so einen Staatsstreich. Trotzdem funktionieren zu viele Dinge in unserem Land nicht. Zum Beispiel haben wir ein großes Sicherheitsproblem. Jetzt habe ich aber das Gefühl, dass es seit dem Putsch viel weniger Überfälle in Niamey gab. Man hört viel weniger davon. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Einwohner diese Veränderung begrüßen. Wir feiern den Putsch nicht, aber er gibt uns Hoffnung.

Frankreich hat unserem Land bisher nicht viel Gutes gebracht. Sie beuten hier natürliche Ressourcen aus wie Uran. Deswegen sind manche junge Menschen mit der russischen Flagge auf die Straße gegangen. Das heißt nicht, dass sie sich eine Veränderung durch Russland wünschen. Es ist einfach ein Zeichen des Protests gegen Frankreich. Wir hoffen, unabhängig vom Westen oder anderen Ländern zu sein. Sodass wir zum Beispiel die Preise unserer Rohstoffe ohne den Einfluss anderer Regierungen bestimmen können.

Mit meinem Verein ‚African Noble Youth‘ möchte ich verschiedene Ziele wie Klimaschutz und eine nachhaltige Entwicklung für Niger voranbringen. In Zukunft wollte ich eigentlich mit internationalen Kooperationspartnern zusammenarbeiten. Zum Beispiel mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit oder dem Centre Culturel Franco-Nigérien, einem französisch-nigrischen Kulturzentrum in Niamey. Wenn diese Partner wegen der aktuellen Situation aber ausreisen, muss ich mir etwas Neues überlegen. Sonst hat sich mein Alltag nicht verändert. Wenn ich Unterricht habe, gehe ich zur Uni und das habe ich weiterhin auch vor. Die Möglichkeit zu studieren und anschließend einen Job zu finden — das wünsche ich mir für junge Menschen in Niger.“

„Die Regierung und die Politik eines Landes sollten durch Wahlen verändert werden, nicht durch einen Militärputsch“
Nafissatou, 27, studiert Onlinehandel (E-Commerce)
Nafissatou, 27, studiert Onlinehandel (E-Commerce)

„‚Wer sollte das tun?‘ – Das habe ich gefragt, als mir meine kleine Schwester von dem möglichen Putsch erzählt hat. Der Umsturz kam für mich unerwartet. An dem Tag war ich krank und bin zu Hause im Bett geblieben. Gerade als ich zum Arzt gehen wollte, ist meine Schwester in mein Zimmer gekommen und hat mir gesagt, dass es anscheinend einen Putschversuch geben würde. ‚Das glaube ich nicht‘, habe ich gesagt. Dann hat sich der Putsch in den sozialen Medien herumgesprochen. Mehrere Stunden habe ich es nicht geglaubt, bis die offizielle Stellungnahme draußen war. Die Bevölkerung ist aber ruhig geblieben.

Natürlich gab es schon vorher Probleme in unserem Land: schlechte Regierungsführung, Sicherheitslücken und Ungerechtigkeiten. Aber berechtigt das dazu, eine demokratisch gewählte Regierung zu stürzen? Ich finde nicht. Ich bin gegen undemokratische Maßnahmen. Die Regierung und die Politik eines Landes sollten durch Wahlen verändert werden, nicht durch einen Militärputsch. Der bisherige Präsident Bazoum hätte eine Chance verdient, zu zeigen, dass er Veränderung bringen kann. Gleichzeitig merke ich durch den Putsch aber auch eine positive Veränderung in meinem Land. Viele junge und alte Menschen, Frauen und Männer befürworten den Putsch, weil sie den Kampf gegen den Neokolonialismus befürworten. Auch ich finde, dass sich westliche Länder wie Frankreich zu sehr in unsere Angelegenheiten einmischen. Die Situation beschäftigt die französische Regierung viel mehr als die Menschen in Niger. Im Land selbst herrscht Ruhe.

Leider hat sich durch die Situation mein Alltag etwas verändert. Durch die starken Kursschwankungen unserer Währung und Grenzschließungen haben wir oft Probleme, Geld zu überweisen. Das schränkt mich in meinem Studium ein, weil ich im Onlinehandel tätig bin. Ich wünsche mir, dass es zu keinen weiteren militärischen Interventionen in Niger kommt, habe aber die Hoffnung, dass sich die Situation verbessern wird.“

„In Niger ist mit der bisherigen Regierung vieles schiefgelaufen“
Moctar, 25, arbeitet als Verwaltungsassistent
Moctar, 25, arbeitet als Verwaltungsassistent

„Die Stadt war sehr ruhig am Tag des Putsches. Das ist ungewöhnlich. Die Straßen von Niamey sind normalerweise voll und lebendig. Ich war auf dem Weg zur Arbeit. Ein möglicher Sturz der Regierung hatte sich in meinem Umfeld schon herumgesprochen. Dann hat sich die Nachricht gegen 13 Uhr bestätigt und ich habe über Whatsapp von dem Militärputsch erfahren. Ich war im Büro und bin um 15 Uhr nach Hause gegangen. Damit wollte ich vermeiden, später in einer Menschenmenge zu landen. Meine Befürchtung war, dass die gestürzte Partei versuchen würde, die Macht zurückzugewinnen. Das war nicht so – aber die Situation war unsicher, die Stimmung angespannt. Ich bin trotzdem ruhig geblieben. Schließlich war das der zweite Putsch, den ich in meinem Land miterlebt habe.

Ich persönlich unterstütze den Militärputsch. In Niger ist mit der bisherigen Regierung nämlich vieles schiefgelaufen. In meinem Land leben verschiedene Volks- und Religionsgruppen. Oft missbrauchen politische Akteure ihre Macht, um die eigene Volksgruppe zu stärken. Das nennt man Ethnozentrismus, aber das sollte nicht so sein. Außerdem werden wir von westlichen Ländern ausgebeutet. Deshalb ist der Putsch ein wichtiger Schritt, um Veränderung zu schaffen.

Mein Alltag hat sich seit dem Sturz der Regierung kaum verändert. Natürlich laufen alle Geschäfte langsamer. Trotzdem geht das Leben normal weiter.“

Text: Gracia Ndona, Digitales Storytelling: SZ Jetzt, Fotos: Privat