Fairer Lohn

Es braucht einen offeneren Umgang mit dem eigenen Gehalt

Über Geld spricht man nicht, zumindest nicht in Deutschland. Darunter leiden vor allem marginalisierte Menschen. Doch auch Unternehmen können von transparenten Löhnen profitieren.

Kommentar von Sophie Kobel
24. Februar 2023 - 5 Min. Lesezeit
In einer Beziehung erfährt man über die Jahre hinweg viele Dinge voneinander: Welche familiären Dramen haben einen geprägt, wo möchte man später einmal leben, wünscht man sich Kinder miteinander, welche sexuellen Vorlieben hat der oder die andere. Doch über ein Thema reden Paare nur selten: ihr Gehalt. Nur die Hälfte der Ehepaare in Deutschland weiß, wie viel der oder die andere verdient. Das besagt eine repräsentative Umfrage des Stellenportals Stepstone. Und außerhalb des Familienkreises sieht es nicht viel besser aus: Das Einkommen von Kolleg:innen zu kennen, gab nur rund ein Fünftel der Proband:innen an. Zehn Prozent erzählen gar niemandem, wie viel er oder sie verdient.

Gerade für diejenigen, die beim Gehalt oft zu kurz kommen, ist das ein Problem. Zum Beispiel für Berufseinsteiger:innen, Frauen generell oder Menschen mit Migrationshintergrund. Sie verdienen häufig noch immer weniger als ihre gleich qualifizierten, männlichen Kollegen ohne Migrationshintergrund. Doch wer nicht weiß, was andere verdienen, kann sich nur schwer gegen die eigene ungerechte Bezahlung wehren.

Und auch Unternehmen verpassen eine große Chance. Sie könnten mit fairen und transparenten Löhnen in Zeiten des Fachkräftemangels junge Menschen für sich gewinnen. Warum also nicht endlich die Gehaltsabrechnungen auf den Tisch legen?

Es gibt nicht nur ein Gender Pay Gap, sondern auch ein Migration Pay Gap 

Derzeit verdienen Frauen in Deutschland noch immer 18 Prozent weniger als Männer. Und selbst wenn man berücksichtigt, dass Frauen häufiger in Teilzeit oder in weniger gut bezahlten Branchen wie etwa der Pflege arbeiten, liegt der bereinigte Wert noch immer bei sieben Prozent. Die Bundesrepublik kommt damit im EU-Vergleich nicht gut weg, nur Estland schneidet noch schlechter ab. Ähnlich sieht es bei Menschen mit Migrationshintergrund aus. In der Antidiskriminierungsstelle des Bundes spricht man von einem „Migration Pay Gap“, also einer Lohnlücke zwischen gleichwertigen Arbeitnehmer:innen mit und ohne Migrationshintergrund. Im Gegenteil zum Gender Pay Gap gibt es nur wenige Daten dazu. Doch Experten schätzen, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht besser wegkommen als Frauen. Wer mit türkischem Nachnamen schon mal versucht hat, in einer deutschen Großstadt eine Wohnung zu bekommen, ahnt, dass es auch bei Gehaltsverhandlungen schwer werden könnte.

Doch um sich für eine bessere Bezahlung einsetzen zu können, müssten benachteiligte Menschen wissen, was gleichgestellte Kolleg:innen verdienen.

Doch um sich für eine bessere Bezahlung einsetzen zu können, müssten benachteiligte Menschen wissen, was gleichgestellte Kolleg:innen verdienen.

Denn nur wer weiß, wie hoch sein Marktwert ist, kann diesen auch einfordern. Das beginnt mit der simplen Möglichkeit, offen bei anderen nachfragen zu können. Stattdessen bekommt man in Deutschland schon irritierte Blicke zugeworfen, wenn man bei einem entspannten Feierabendbier in die Runde fragt, wie viel die anderen denn so verdienen.

Auf die Politik können sich benachteiligte Gruppen bisher jedenfalls nicht verlassen. Das deutsche Transparenzgesetz, das 2017 beschlossen wurde, liest sich wie ein schlechter Scherz: Zum einen können nur Angestellte in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitenden diese Einsicht verpflichtend einfordern – unter der Bedingung, mindestens sechs Personen als Vergleich angeben zu können. Und: Man darf sich nicht mit dem eigenen Geschlecht vergleichen, sondern nur mit dem jeweils anderen. Auch die Möglichkeit, den mittleren Wert aller Einkommen im Unternehmen einzusehen, ist nicht wirklich hilfreich. Was bringt einem das, wenn die Chefetage jeden Monat das Zehnfache der Sekretär:innen überwiesen bekommt? Mal ganz abgesehen davon, wie unwohl man sich als Neuling in einem Unternehmen fühlt, wenn man diese Einsicht einfordert. Ein angenehmes Büroklima sieht anders aus.

Junge Menschen wollen das Gefühl haben, fair behandelt zu werden

Dabei könnte ein transparenter Umgang mit Gehältern für die Unternehmen selbst eine große Chance sein. Zwar ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht eindeutig geklärt, ob die Transparenz innerhalb eines Unternehmens tatsächlich zu einer faireren Bezahlung führt. Eine Studie der Universität von Kalifornien legt zum Beispiel nahe, dass Arbeitgebende eher dazu tendieren, die Löhne ihrer Mitarbeitenden zu drücken, wenn sie wissen, was die Konkurrenz zahlt. Eine andere Untersuchung weist darauf hin, dass die ohnehin Durchsetzungsstarken das Wissen dafür nutzen, für sich höhere Löhne herauszuhandeln. Allerdings zeigt auch eine Studie der Universität Luzern aus dem Jahr 2018: Unternehmen, die transparent machen, wie sich ihre Löhne zusammensetzen, sind im Durchschnitt erfolgreicher und weisen geringere Kündigungsraten auf. In Zeiten des Fachkräftemangels ein willkommener Vorteil.

Denn klar ist: Gerade junge Menschen schätzen Transparenz. Sie wollen wissen, wo sie beruflich stehen – und das Gefühl haben, fair behandelt zu werden. Also nach Leistung und nicht danach, wer bei Verhandlungsgesprächen am meisten seine Ellenbogen ausfährt. Die Plattform Kununu, mit deren Hilfe Menschen anonym ihren Arbeitgeber bewerten können, befragte im vergangenen Jahr mehr als tausend Angestellte zum Thema Gehaltstransparenz. Das Fazit: Mehr als die Hälfte würde gerne zumindest den Gehaltsrahmen ihrer Mitarbeitenden veröffentlicht sehen. Und zwei Drittel der Befragten sind überzeugt, dass dadurch das Gefühl für Fairness und Gleichbehandlung in der Belegschaft steigt und somit auch die Motivation.

In anderen Ländern geht man schon lange offener mit Gehaltsfragen um: In den USA bespricht man auf Partys das eigene Jahreseinkommen. In Österreich muss ein Mindestgehalt bei einer Job-Ausschreibung angegeben werden. In Schweden kann man das Einkommen seiner Nachbar:innen online nachschauen. Und Unternehmen in Dänemark müssen anonymisiert angeben, wie viel weibliche und männliche Angestellte in den jeweiligen Positionen bezahlt bekommen. Die Universität von Kopenhagen hat den Erfolg des Gesetzes nach zehn Jahren ausgewertet und festgestellt: In jenen Unternehmen, die das offenlegen mussten, stiegen die Löhne aller Angestellten. Die von Frauen allerdings stärker. Sie glichen sich damit mehr den Löhnen der Männer an. Es könnte sich also lohnen, wenn die kommenden Generationen in Deutschland einen neuen Umgang mit Gehältern fänden. Einen, der sich daran orientiert, wer engagiert arbeitet. Und nicht, wer am lautesten schreit.

Team
Text Sophie Kobel
Illustration Daniela Rudolf-Lübke
Digitales Storytelling SZ Jetzt