Buchgestaltung

Nah am Wasser

So viele Frauen in so vielen Badeanzügen: Warum nur hält sich die zeitgenössische Literatur gerade am liebsten am Beckenrand fest? Eine Betrachtung aktueller Romancover.

1. Juni 2023 - 5 Min. Lesezeit

Wer jemals in der Situation war, wird es bestätigen können: Die Cover-Suche für einen neuen Roman ist ein elender Quälkrampf. Der Autor denkt, er hat ein Manuskript von absoluter, selbsterklärender Schönheit abgeliefert. Die Lektorin sieht es auch so, mit leichten Abstrichen. Dann aber kommen die ersten Vorschläge für das Deckblatt, und die sind immer niederschmetternd: Mohnblumen-Aquarelle oder sich entfernende Vogelsilhouetten oder ein vage geöffnetes Fenster zum Hof.

Der Autor ahnt in diesem Moment zum ersten Mal: Es besteht die Möglichkeit, dass sein herrliches Machwerk einfach nur der 976. Roman wird, der dieses Halbjahr in deutscher Sprache erscheint. Das aber darf nicht sein! Also lehnt er sich auf, macht Rabatz, soweit es in diesem leisen Arbeitsumfeld möglich ist, bringt eigene Vorschläge bei und bittet befreundete Grafiker um Schützenhilfe.

Gerade wenn auf diesem Weg ein annehmbares Motiv in Reichweite kommt, schaltet sich eine dunkle Allianz in die Debatte ein: Vertrieb & Vertreter. Menschen, die das Zeug später wirklich verkaufen müssen und deren Meinung deshalb schwerer wiegt als die des Autors, auch wenn das selten so deutlich gesagt wird.

Bei den Veröffentlichungen der vergangenen zwölf Monate herrscht seltsame Sommerferienstimmung

Die beiden großen Vs sorgen in grafischen Pattsituationen oft für finale Klarheit und dafür, dass neue Bücher annähernd so aussehen wie bereits erschienene, sehr erfolgreiche Bücher. Denn sie setzen schon lange nicht mehr darauf, dass sich die Qualität eines Textes irgendwie durchsetzt, sondern hoffen auf optische Mitnahmeeffekte beim Kunden oder viel wahrscheinlicher noch, der Kundin. Deswegen sahen eine Zeitlang alle Krimis nach bretonischen Verhältnissen aus oder alle Romane von jungen Frauen nach Feuchtgebieten.

In den Veröffentlichungen der letzten zwölf Monate festigte sich nun ein Trend, der nicht zuletzt bei der Buchmesse in Leipzig für seltsame Sommerferienstimmung sorgte: überall Damen in Badeanzügen und tiefblaues Poolwasser auf dem Cover. Ein knappes Dutzend aktueller Romane sieht so aus; zählt man die letzten beiden Programme noch dazu, lässt sich locker eine mittlere Stadtteil-Bibliothek monothematisch dekorieren. Es gibt Variationen des Themas mit Sprungturm, Männern oder Wildwasser, aber größter gemeinsamer Nenner bleibt eine Badeanzugfrau an einem appetitlichen Stück domestizierten Wassers.

Nun ist das sicherlich unter den großen Covertrends der vergangenen Jahre einer, auf den man sich ästhetisch gut einigen kann. Der Kontrast von Saphirblau und unifarbenen (eigentlich immer: roten) Badeanzügen ist stark und sinnlich, keine Frage. Männer schauen das gerne an wegen Badeanzug, Frauen darüber hinaus auch, weil mit diesem Motivbaukasten viele gute Assoziationen verknüpft sind.

Das Schwimmengehen hat schließlich in den letzten Jahren zu seinen altbekannten Qualitäten noch neue achtsame Aufmerksamkeit hinzugewonnen; die Bücher „Mein Jahr im Wasser“ (2020) von Jessica Lee und „Warum wir schwimmen“ (2022) von Bonnie Tsui flankierten diese Bewegung. Es ist jedenfalls längst viel mehr als nur eine gelenkschonende Sportart, eher schon ein neues, weibliches Lebensgefühl und für viele so was wie die Selbstversicherung eines eigenständigen und bewussten Ichs. Sich aus eigener Kraft über Wasser halten zu können, das deckt sich schließlich auch mit einer feministischen Grundforderung.

Das Verlagswesen denkt: Schwimmen ist bestimmt der Sport kluger, lesender, bücherkaufender Frauen

Viele weitere Deutungen sind rund um diese schöne Passion denkbar. Die schwimmende Frau ist in ihrem Element oder wahlweise: trotzt den Elementen. Zielsicher zieht sie ihre Bahn oder wahlweise: lässt sich treiben. Betrachter sehen sie unter den tausend glitzernden Wellen nur verschwommen und schemenhaft oder wahlweise: glasklar, wie die Tropfen an ihren Haarspitzen. Das Hinein ins kaltblaue Wasser kostet Überwindung oder ist wahlweise: erfrischende Reinigung. Und so weiter. In eine Frau am Pool lässt sich so ungefähr jede Stimmungslage empfindsamer Urbanisten hineininterpretieren. Und die Optik deckt folglich eben auch viele Romanhandlungen rund um eigenwillige, mutige oder auch alleinkämpfende Protagonistinnen ab.

Was darüber hinaus das gesteigerte Interesse des Verlagswesens am Chlorgeruch angeht: Schwimmen ist nun mal der Sport kluger, lesender, bücherkaufender Frauen. Wahrscheinlicher zumindest als Downhill-Biking oder Speed-Badminton. Vielleicht ist es ja nur diese erhoffte Nähe zur Zielgruppe, die für die anhaltende Pool-Mode verantwortlich ist. Ein echter Mega-Seller mit badender Frau vorne drauf lässt sich diesmal jedenfalls nicht als Vorbild ausmachen. Oft, aber nicht immer, kommen in den dazugehörigen Romanen natürlich auch Schwimmbad oder Pool als Austragungsort einer wichtigen Wendung, wenn nicht gar gleich der großen Wandlung vor. Das ist in dieser Häufung schon auch interessant – das städtische Freibad als literarischer Tummelplatz.

Unterhaltsam mit einem Hauch Feuilleton, also etwa Literaturschutzfaktor 20

Bis vor Kurzem spielten die Gegenwartsromane in Kneipen, Nachtzügen, Krankenhäusern, Roadtrip-Vehikeln und bürgerlichen Altbauwohnungen. Jetzt rückt ein Ort in den Fokus, der voll mit der Freizeitgesellschaft verknüpft ist, zuletzt aber auch immer als siedender Melting Pot der Großstädte in den Nachrichten war. Ein Ort, an dem man auf sehr andere Menschen trifft, sich selbst verletzlich präsentiert, wo man abtauchen und neu wieder auftauchen, allerdings auch ertrinken kann. Der Beckenrand als Metapher, der Sprungturm als Parabel, der Sommer als Voraussetzung und das friedliche Freibad als universaler Erinnerungsort der Generation Nogger Choc – es ist schon einfach ideal.

Apropos Sommer. Das gute Buch für den Sommerurlaub ist ja für viele ehemalige Vielleser das einzige im Jahr, das sie wirklich noch aktiv suchen und kaufen. Gut bedeutet in diesem Zusammenhang meistens: Schon literarisch, aber nicht zu schwer, schon unterhaltsam, aber mit einem Hauch Feuilleton, gesucht ist also etwa Literaturschutzfaktor 20. Was signalisiert diese gewünschte Gemengelage besser als ein Cover, auf dem schon zentrale Urlaubsbestandteile vorkommen? Diese Bücher versuchen, mit ihrer flirrenden Optik vielleicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden – als perfektes Accessoire in der Badetasche für diesen Sommer.

Der illustrierte Badeanzug ist dabei natürlich auch noch ein wichtiges Stilmittel. Ein Kleidungsstück, das wie kein anderes die Themen Sportlichkeit, Nutzwert, modische Raffinesse und erotische Strahlkraft jongliert. Denn die (überwiegend gesichtslosen) Covermodels der Romane tragen natürlich keine Bikinis, das wäre viel zu wenig Judith Hermann, das würde die dahinter folgenden Texte viel zu leichtfertig und flatterhaft wirken lassen. Nein, Badeanzüge müssen es sein, und zwar solche aus dem Regalfach: schlicht und ergreifend. Nur sie tragen die erwünschten Charaktereigenschaften in sich, eine gewisse Strenge etwa, die anzeigt, dass es sich um Trainingskleidung handeln könnte.

Es geht bei dieser Kleiderwahl um eine im Vergleich zum Bikini eher vorsichtige Erotik und ein leises Schönheitsideal und natürlich um ein schöngeistiges Beschränken auf das Wesentliche. In der Signalfarbe Rot schwingt dann aber eben auch wieder Selbstbewusstsein und demonstrative Freude am eigenen Auftritt mit. Klar, die geheimnisvolle, rote Frau, die zielstrebig den Sprungturm erklimmt, ist die heimliche Königin des Freibads. Zumindest wäre sie es, in einer literarischen Welt.

Buchgestaltung

Nah am Wasser

So viele Frauen in so vielen Badeanzügen: Warum nur hält sich die zeitgenössische Literatur gerade am liebsten am Beckenrand fest? Eine Betrachtung aktueller Romancover.

Wer jemals in der Situation war, wird es bestätigen können: Die Cover-Suche für einen neuen Roman ist ein elender Quälkrampf. Der Autor denkt, er hat ein Manuskript von absoluter, selbsterklärender Schönheit abgeliefert. Die Lektorin sieht es auch so, mit leichten Abstrichen. Dann aber kommen die ersten Vorschläge für das Deckblatt, und die sind immer niederschmetternd: Mohnblumen-Aquarelle oder sich entfernende Vogelsilhouetten oder ein vage geöffnetes Fenster zum Hof.

Der Autor ahnt in diesem Moment zum ersten Mal: Es besteht die Möglichkeit, dass sein herrliches Machwerk einfach nur der 976. Roman wird, der dieses Halbjahr in deutscher Sprache erscheint. Das aber darf nicht sein! Also lehnt er sich auf, macht Rabatz, soweit es in diesem leisen Arbeitsumfeld möglich ist, bringt eigene Vorschläge bei und bittet befreundete Grafiker um Schützenhilfe.

Gerade wenn auf diesem Weg ein annehmbares Motiv in Reichweite kommt, schaltet sich eine dunkle Allianz in die Debatte ein: Vertrieb & Vertreter. Menschen, die das Zeug später wirklich verkaufen müssen und deren Meinung deshalb schwerer wiegt als die des Autors, auch wenn das selten so deutlich gesagt wird.

Bei den Veröffentlichungen der vergangenen zwölf Monate herrscht seltsame Sommerferienstimmung

Die beiden großen Vs sorgen in grafischen Pattsituationen oft für finale Klarheit und dafür, dass neue Bücher annähernd so aussehen wie bereits erschienene, sehr erfolgreiche Bücher. Denn sie setzen schon lange nicht mehr darauf, dass sich die Qualität eines Textes irgendwie durchsetzt, sondern hoffen auf optische Mitnahmeeffekte beim Kunden oder viel wahrscheinlicher noch, der Kundin. Deswegen sahen eine Zeitlang alle Krimis nach bretonischen Verhältnissen aus oder alle Romane von jungen Frauen nach Feuchtgebieten.

In den Veröffentlichungen der letzten zwölf Monate festigte sich nun ein Trend, der nicht zuletzt bei der Buchmesse in Leipzig für seltsame Sommerferienstimmung sorgte: überall Damen in Badeanzügen und tiefblaues Poolwasser auf dem Cover. Ein knappes Dutzend aktueller Romane sieht so aus; zählt man die letzten beiden Programme noch dazu, lässt sich locker eine mittlere Stadtteil-Bibliothek monothematisch dekorieren. Es gibt Variationen des Themas mit Sprungturm, Männern oder Wildwasser, aber größter gemeinsamer Nenner bleibt eine Badeanzugfrau an einem appetitlichen Stück domestizierten Wassers.

Nun ist das sicherlich unter den großen Covertrends der vergangenen Jahre einer, auf den man sich ästhetisch gut einigen kann. Der Kontrast von Saphirblau und unifarbenen (eigentlich immer: roten) Badeanzügen ist stark und sinnlich, keine Frage. Männer schauen das gerne an wegen Badeanzug, Frauen darüber hinaus auch, weil mit diesem Motivbaukasten viele gute Assoziationen verknüpft sind.

Das Schwimmengehen hat schließlich in den letzten Jahren zu seinen altbekannten Qualitäten noch neue achtsame Aufmerksamkeit hinzugewonnen; die Bücher „Mein Jahr im Wasser“ (2020) von Jessica Lee und „Warum wir schwimmen“ (2022) von Bonnie Tsui flankierten diese Bewegung. Es ist jedenfalls längst viel mehr als nur eine gelenkschonende Sportart, eher schon ein neues, weibliches Lebensgefühl und für viele so was wie die Selbstversicherung eines eigenständigen und bewussten Ichs. Sich aus eigener Kraft über Wasser halten zu können, das deckt sich schließlich auch mit einer feministischen Grundforderung.

Das Verlagswesen denkt: Schwimmen ist bestimmt der Sport kluger, lesender, bücherkaufender Frauen

Viele weitere Deutungen sind rund um diese schöne Passion denkbar. Die schwimmende Frau ist in ihrem Element oder wahlweise: trotzt den Elementen. Zielsicher zieht sie ihre Bahn oder wahlweise: lässt sich treiben. Betrachter sehen sie unter den tausend glitzernden Wellen nur verschwommen und schemenhaft oder wahlweise: glasklar, wie die Tropfen an ihren Haarspitzen. Das Hinein ins kaltblaue Wasser kostet Überwindung oder ist wahlweise: erfrischende Reinigung. Und so weiter. In eine Frau am Pool lässt sich so ungefähr jede Stimmungslage empfindsamer Urbanisten hineininterpretieren. Und die Optik deckt folglich eben auch viele Romanhandlungen rund um eigenwillige, mutige oder auch alleinkämpfende Protagonistinnen ab.

Was darüber hinaus das gesteigerte Interesse des Verlagswesens am Chlorgeruch angeht: Schwimmen ist nun mal der Sport kluger, lesender, bücherkaufender Frauen. Wahrscheinlicher zumindest als Downhill-Biking oder Speed-Badminton. Vielleicht ist es ja nur diese erhoffte Nähe zur Zielgruppe, die für die anhaltende Pool-Mode verantwortlich ist. Ein echter Mega-Seller mit badender Frau vorne drauf lässt sich diesmal jedenfalls nicht als Vorbild ausmachen. Oft, aber nicht immer, kommen in den dazugehörigen Romanen natürlich auch Schwimmbad oder Pool als Austragungsort einer wichtigen Wendung, wenn nicht gar gleich der großen Wandlung vor. Das ist in dieser Häufung schon auch interessant – das städtische Freibad als literarischer Tummelplatz.

Unterhaltsam mit einem Hauch Feuilleton, also etwa Literaturschutzfaktor 20

Bis vor Kurzem spielten die Gegenwartsromane in Kneipen, Nachtzügen, Krankenhäusern, Roadtrip-Vehikeln und bürgerlichen Altbauwohnungen. Jetzt rückt ein Ort in den Fokus, der voll mit der Freizeitgesellschaft verknüpft ist, zuletzt aber auch immer als siedender Melting Pot der Großstädte in den Nachrichten war. Ein Ort, an dem man auf sehr andere Menschen trifft, sich selbst verletzlich präsentiert, wo man abtauchen und neu wieder auftauchen, allerdings auch ertrinken kann. Der Beckenrand als Metapher, der Sprungturm als Parabel, der Sommer als Voraussetzung und das friedliche Freibad als universaler Erinnerungsort der Generation Nogger Choc – es ist schon einfach ideal.

Apropos Sommer. Das gute Buch für den Sommerurlaub ist ja für viele ehemalige Vielleser das einzige im Jahr, das sie wirklich noch aktiv suchen und kaufen. Gut bedeutet in diesem Zusammenhang meistens: Schon literarisch, aber nicht zu schwer, schon unterhaltsam, aber mit einem Hauch Feuilleton, gesucht ist also etwa Literaturschutzfaktor 20. Was signalisiert diese gewünschte Gemengelage besser als ein Cover, auf dem schon zentrale Urlaubsbestandteile vorkommen? Diese Bücher versuchen, mit ihrer flirrenden Optik vielleicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden – als perfektes Accessoire in der Badetasche für diesen Sommer.

Der illustrierte Badeanzug ist dabei natürlich auch noch ein wichtiges Stilmittel. Ein Kleidungsstück, das wie kein anderes die Themen Sportlichkeit, Nutzwert, modische Raffinesse und erotische Strahlkraft jongliert. Denn die (überwiegend gesichtslosen) Covermodels der Romane tragen natürlich keine Bikinis, das wäre viel zu wenig Judith Hermann, das würde die dahinter folgenden Texte viel zu leichtfertig und flatterhaft wirken lassen. Nein, Badeanzüge müssen es sein, und zwar solche aus dem Regalfach: schlicht und ergreifend. Nur sie tragen die erwünschten Charaktereigenschaften in sich, eine gewisse Strenge etwa, die anzeigt, dass es sich um Trainingskleidung handeln könnte.

Es geht bei dieser Kleiderwahl um eine im Vergleich zum Bikini eher vorsichtige Erotik und ein leises Schönheitsideal und natürlich um ein schöngeistiges Beschränken auf das Wesentliche. In der Signalfarbe Rot schwingt dann aber eben auch wieder Selbstbewusstsein und demonstrative Freude am eigenen Auftritt mit. Klar, die geheimnisvolle, rote Frau, die zielstrebig den Sprungturm erklimmt, ist die heimliche Königin des Freibads. Zumindest wäre sie es, in einer literarischen Welt.