Jahresrückblick

Das war Bayern 2023

Ein hart geführter Wahlkampf, eine unschöne Flugblattaffäre, eine wichtige Landtagswahl - das Jahr 2023 war im Freistaat sehr politisch geprägt. Aber auch das Wetter, spektakuläre Prozesse und ein Bär beschäftigten die Bayern. Eine Chronik.

29. Dezember 2023 - 9 Min. Lesezeit

Januar

Anfang und Abschied

Am letzten Tag des alten Jahres stirbt Papst Benedikt XVI., der immer der bayerische Papst war. Die Begeisterung der Bayern hat sich jedoch auch wegen der Münchner Missbrauchsfälle gelegt, die Trauer im Freistaat spielt sich eher leise ab. Groß ist die Aufregung in Regensburg, als ein verurteilter Mörder aus dem Amtsgericht flüchtet, es sind ganz offenbar Fehler passiert. Danach werden die Sicherheitsmaßnahmen in Justizgebäuden erhöht, der Straftäter wird nach zwei Tagen kurz hinter der französischen Grenze gefasst.

Die Bayern-SPD verliert ihren Generalsekretär. Der Nürnberger Landtagsabgeordnete Arif Taşdelen gibt das Amt auf, nachdem ihm die Jusos unangemessenes Verhalten gegenüber jungen Frauen vorgeworfen hatten. Um ein strafrechtlich relevantes Verhalten geht es nicht. Ein schlechter Zeitpunkt für eine interne Affäre, immerhin beginnt das Landtagswahljahr. Nachfolger werden die Landshuter Abgeordnete Ruth Müller und der Nürnberger SPD-Chef und Stadtrat Nasser Ahmed.

In Ermreuth im Landkreis Forchheim misslingt in der Silvesternacht ein Brandanschlag auf die Synagoge, das wird Tage später bekannt. Ein 21-Jähriger aus dem Nachbarort ist verdächtig, es soll sich um eine antisemitisch motivierte Straftat handeln. Ausgerechnet Ermreuth, dort hatte die 1980 verbotene rechtsextreme Wehrsportgruppe Hoffmann ein Zentrum. Der junge Mann wird im Mai zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Bei den Fraktionsklausuren wird das Wahljahr eingeläutet. Ministerpräsident Markus Söder kassiert seine Amtszeitbegrenzung wieder ein und erwägt, über 2028 hinaus im Amt zu bleiben. Die SPD gibt als Wahlziel 15 plus X aus, die Grünen 20 Prozent plus ein „sehr, sehr dickes X“. Beides wird nicht klappen.

Februar

Prozess und Parolen

Vor dem Augsburger Amtsgericht läuft ein Prozess gegen einen Vater und seinen Sohn, die die 16-jährige Tochter und Schwester töten wollten, weil sie den falschen Freund hatte. Die Jesiden sahen offenbar die Familienehre beschmutzt, in Gegenwart des Mädchens wurde ihr Tod diskutiert. Sie konnte aus der Familie fliehen. Bruder und Vater werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

In Bayern wird wieder mehr über Migration diskutiert, immer mehr Kommunalpolitiker klagen, dass sie die Asylbewerber nicht mehr angemessen unterbringen können. Ministerpräsident Söder sieht den Bund in der Pflicht. Überhaupt der Bund. Die Ampel in Berlin bekommt beim politischen Aschermittwoch von CSU und Freien Wählern kräftig drauf, vor allem die Grünen. FW-Chef Hubert Aiwanger redet von grünen „Insektenfressern“ und von „Idioten“ in Berlin. Der Ton ist rau, es ist Wahlkampf.

März

Natur und Nachfolge

Nach drei Jahren enden in Bayern alle Corona-Einschränkungen. Die Staatsregierung ist mit ihrer Krisenpolitik „unterm Strich“ zufrieden, die Oppositionsparteien wünschen sich eine Aufarbeitung. Auch anderswo wird die Corona-Zeit noch aufgearbeitet. In Landsberg am Lech steht ein Arzt vor Gericht, der vielfach falsche Maskenatteste ausgestellt hat, ohne die Patienten überhaupt gesehen zu haben. Er wird im November zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt. Ein positives Erbe der Pandemie: Vielerorts bleiben die Schanigärten und Freisitze der Wirtshäuser bestehen.

Immer wieder tauchen Wölfe auf in Bayern und was Naturschützer freut, ist ein Ärgernis für Almbauern und Lokalpolitiker. Mancher Landrat will wolfsfreie Zonen ausrufen, im April beschließt das Kabinett eine umstrittene Verordnung für leichtere Abschüsse. So weit gekommen ist es bislang nicht, aber die Debatte erregt die Gemüter.

Hoch her geht es auch bei der Landessynode der evangelischen Kirche, die einen Nachfolger für den scheidenden Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm wählen soll. Vier Kandidatinnen und Kandidaten gibt es, doch die Wahl scheitert zunächst nach sechs Wahlgängen. Nach vier Tagen erhält der Regionalbischof von München und Oberbayern, Christian Kopp, die nötige Mehrheit der Stimmen.

April

Freispruch und Finale

Vor dem Münchner Oberlandesgericht beginnt das Wiederaufnahmeverfahren gegen Manfred Genditzki. Der frühere Hausmeister wurde in einem umstrittenen Verfahren wegen Mordes an einer 87-Jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er sie in der Badewanne ertränkt haben sollte. Im August 2022 wurde er nach mehr als 13 Jahren aus der Haft entlassen. Im Juli wird er freigesprochen. Er war unschuldig eingesperrt.

Das Kernkraftwerk Isar 2 wird abgeschaltet. Das war lange geplant, in Zeiten von Energiekrise und Ukraine-Krieg mehren sich allerdings die Zweifel an dieser Entscheidung. Am lautesten die von Markus Söder, der nach der Katastrophe von Fukushima noch die möglichst schnelle Abschaltung forderte, nun aber über neue Kernkraftwerke nachdenkt. Umweltschützer bleiben dabei: Die Zukunft liege nicht in der Kernkraft, sondern in den erneuerbaren Energien.

Mai

Kür und Krönung

Die CSU kürt Ministerpräsident Markus Söder zu ihrem Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Überraschend ist das nicht, aber mit 100 Prozent Zustimmung hatte doch nicht jeder gerechnet. Zur gleichen Zeit wird in London Charles III. zum britischen König gekrönt, aber das ist sicher ein Zufall.

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags fährt nach Chemnitz und vernimmt in der Justizvollzugsanstalt die Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Sie gibt deutlicher als bisher eine Mitschuld an den Morden zu, bringt den Ausschuss aber nicht in der Frage weiter, ob es ein Versagen der bayerischen Behörden gab.

Der Landshuter Oberbürgermeister Alexander Putz wechselt von der FDP zur CSU. Sehr zur Freude von CSU-Chef Söder, der damit gleich ein Signal an Koalitionsfreund und Wahlkampffeind Hubert Aiwanger senden kann, der dort seinen Stimmkreis hat. Überhaupt der Wahlkampf. Die Parteien veranstalten Parteitage, die SPD verabschiedet ein Regierungsprogramm. Und die Grünen wollen den Wahlkampf zurück nach Bayern holen, nicht nur über Berliner Politik sprechen, soll das heißen. Nun, es wird nicht gelingen

Daran ändert auch die Maskenaffäre nichts, an der sich ein Untersuchungsausschuss abgearbeitet hat. Mehr als ein moralisches Fehlverhalten lässt sich nicht feststellen. Und das ist nicht strafbar.

Juni

Hetze und Hochzeit

In Erding findet eine Kundgebung gegen das von der Ampelregierung geplante Heizungsgesetz statt, auf die später noch oft verwiesen werden wird. Der Ministerpräsident wird ausgepfiffen, als er sich klar von der AfD distanziert. FW-Chef Aiwanger wird gefeiert, als er brüllt, dass sich die schweigende Mehrheit die Demokratie „wieder zurückholen“ müsse. Die einen sind entsetzt, die anderen finden, dass Aiwanger nur ausspricht, was eh viele denken.

Auch Erfreuliches hält der Juni bereit, die Landshuter Hochzeit findet wieder statt. Alle vier Jahre wird die Heirat der polnischen Königstochter Hedwig mit Herzog Georg dem Reichen von 1475 detailgetreu nachgefeiert. Diesmal sind wegen Corona sechs Jahre seit dem letzten Spektakel vergangen.

Neuschwanstein schafft es in die weltweiten Schlagzeilen, aber nicht, weil sich die Schwangauer in einem Bürgerentscheid für die Bewerbung zum Weltkulturerbe aussprechen. Ein amerikanischer Tourist greift zwei Frauen an und stößt sie in die Schlucht. Eine stirbt.

Juli

Bauen und Begehren

Im niederbayerischen Straßkirchen wird ein Bürgerbegehren zugelassen: Die Leute sollen über die Ansiedlung eines neuen Akku-Werks von BMW entscheiden. Seit dem Bekanntwerden der Pläne Anfang des Jahres geht es hoch her. Die einen wollen die wertvollen Äcker des Gäubodens nicht zubauen, die anderen freuen sich über die mehrere hundert Millionen Euro schwere Fabrikansiedlung. Im September stimmt eine deutliche Mehrheit für den Bau.

Ein anderer Bau beschäftigt den Untersuchungsausschuss zum Nürnberger Zukunftsmuseum. Am Ende sehen die Regierungsparteien kein Fehlverhalten, die Opposition schon. Der damalige Finanzminister Söder habe den Steuerzahlern einen Millionenschaden beschert, weil er auf dem Augustinerhof als Standort bestanden habe und mit dessen Besitzer, einem CSU-Parteispender, ein „vermieterfreundlicher“ Vertrag abgeschlossen worden sei. Das Parlamentsjahr und damit die Legislaturperiode geht zu Ende mit einer Standpauke von Landtagspräsidentin Ilse Aigner vor allem in Richtung AfD, aber auch an Aiwanger. „Unsere Demokratie ist echt, sie ist lebendig und keinesfalls formal“, mahnt sie.

Nach dem spektakulären Diebstahl des Keltengoldes aus dem Manchinger Museum im November werden vier Männer festgenommen. Der Schatz ist teilweise wieder aufgetaucht – in einem verheerenden Zustand. Die wertvollen Münzen wurden eingeschmolzen, nur Goldklumpen sind übrig.

August

Unbill und Unwetter

Zwei Monate vor der Landtagswahl legen FW und AfD in den Umfragen zu. Die Ampelparteien verlieren an Zustimmung. Aber auch die CSU schwächelt und bleibt unter 40 Prozent. Die SZ macht bekannt, dass FW-Chef Aiwanger zu Schulzeiten verdächtigt wurde, ein rechtsextremistisches Flugblatt verfasst zu haben. Er streitet zunächst alles ab und gibt dann zu, mindestens ein Pamphlet in der Schultasche gehabt zu haben. Als Verfasser präsentiert sich sein Bruder Helmut. Söder hält an der Koalition fest, doch das Vertrauen ist brüchig.

In Bayreuth laufen die Wagner-Festspiele und werden nachts von Dieben heimgesucht: 100 goldene Mini-Wagner-Skulpturen verschwinden vom Grünen Hügel, die der Künstler Otmar Hörl dort installiert hat. 

Ein Unwetter zieht über Bayern, in Nürnberg werden Unterführungen überschwemmt. In Oberbayern richtet Hagel Millionenschäden an, etwa am Kloster Benediktbeuern und in Bad Bayersoien.

September

Stimmung und Steine

Die Flugblatt-Affäre prägt den Endspurt des Wahlkampfs. Nachdem sich Ministerpräsident Söder entschieden hat, Aiwanger im Amt zu belassen und eine Debatte im Parlament wenig Erhellendes gebracht hat, verlagert sich der Diskurs in die Bierzelte. Dort wird Aiwanger von seinen Anhängern frenetisch gefeiert.

Überhaupt bleibt die Stimmung angespannt vor der Landtagswahl, besonders die Grünen trifft der Volkszorn. Bei einer Veranstaltung in Neu-Ulm wird gar ein Stein auf das Spitzenduo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann geworfen. Er verfehlt sein Ziel glücklicherweise.

Thematisch schwenkt CSU-Chef Söder wieder auf das Thema Migration um, das er lange vermieden hat. Nun fordert er eine Obergrenze wie einst sein Vorgänger Horst Seehofer. Aiwanger stellt derweil die Klimaziele Bayerns infrage. Klimaneutral bis 2040? „Ob wir’s erreichen, wissen wir nicht.“

Die Nürnberger Ermittler nehmen zwei Männer fest, die eine schwangere Frau entführt und getötet haben sollen. Monatelang hatte die Polizei nach der 39-jährigen Alexandra R. gesucht, sogar Taucher waren im Einsatz. Sie war verschwunden, nachdem sie ihre Pflegetochter in die Kita gebracht hatte. Eine Leiche ist bis heute nicht aufgetaucht, der Ex-Lebensgefährte und ein Geschäftspartner von ihm schweigen zu den Vorwürfen. Sie sitzen in Untersuchungshaft.

Oktober

Wahl und Wehe

Bayern wählt. CSU und Freie Wähler können weiterregieren, die AfD wird drittstärkste Kraft. Grüne und SPD verlieren, die FDP schafft es nicht mehr in den Landtag. Die Mehrheitsverhältnisse ändern sich nicht entscheidend, Ton und Umgang aber doch.

Im Parlament bemühen sich alle um die Abgrenzung von der AfD. Ein Kandidat für den Vizepräsidenten wird nicht gewählt, ebensowenig die Ausschussvorsitzenden, die von der AfD vorgeschlagen werden. Die neue AfD-Fraktion ist größer, jünger und radikaler, einen ersten Eklat gibt es am Tag der konstituierenden Sitzung des neuen Landtags. 

Der frisch gewählte Abgeordnete und Burschenschafter Daniel Halemba wird verhaftet, wegen Verdachts auf Volksverhetzung. Er kommt unter Auflagen auf freien Fuß. Ende des Jahres fordert der Bundesvorstand den Ausschluss Halembas aus der Partei. Die bayerischen Parteifreunde zögern noch.

Vor dem Landgericht Traunstein beginnt der Prozess gegen einen 21-Jährigen. Er soll die Studentin Hanna W. ein Jahr zuvor in Aschau überfallen und getötet haben, als sie auf dem Heimweg von einem Club war. Ihre Leiche wurde Tage später in der Prien gefunden. Der Fall hatte großes Entsetzen ausgelöst. Der Prozess ist bis ins nächste Jahr angesetzt. 

November

Leute und Leitkultur

Mit seinem neuen Kabinett präsentiert Söder keine großen Überraschungen. Melanie Huml muss diesmal wirklich gehen, Eric Beißwenger wird Europaminister. Die FW bekommen ein viertes Ministerium und stellen erstmals eine Frau in die erste Reihe, Anna Stolz wird Kultusministerin.

Hubert Aiwanger bekommt im neuen Kabinett die Zuständigkeit für die Jagd übertragen, seine Leidenschaft. Das wird noch allerlei Verwirrungen auslösen, Umweltschützer befürchten Nachteile für den Wald.

Einer der ersten Beschlüsse des neuen Kabinetts betrifft die Migrationspolitik: Asylbewerber sollen künftig kein Geld mehr erhalten, sondern eine Bezahlkarte. So soll verhindert werden, dass sie Geld in ihre Heimatländer überweisen. In den Kommunen herrscht weiter Unzufriedenheit. Viele Landräte klagen, sie fänden kaum noch genügend Unterkunftsmöglichkeiten für die geflüchteten Menschen. Und die CSU entdeckt die Leitkultur wieder. In einem Positionspapier fordert die Landtagsfraktion eine Neuausrichtung der Integrationspolitik.

Am Landgericht Nürnberg beginnt der Prozess gegen den CSU-Bürgermeister von Seeg. Er soll gemeinsam mit dem Leiter einer Caritaseinrichtung die Pflegekasse um 1,1 Millionen Euro betrogen haben. Seit Januar sitzt er in Untersuchungshaft.

Dezember

Schnee und Schuld

Der Winter ist da und Bayern ist überfordert. Schnee im Dezember ist offenbar inzwischen so ungewohnt, dass vor allem in der Landeshauptstadt ein paar Tage nichts mehr geht. Auch die Bahn kapituliert vor dem Schnee.

Der Ministerpräsident hält seine erste Regierungserklärung und spricht von KI und Zukunftstechnologie. Und will das Gendern verbieten. Das übertönt alles andere. Seine erste Reise nach der Wiederwahl führt ihn nach Israel. Er besucht die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und einen von der Hamas zerstörten Kibbuz und versichert Israel die unbedingte Solidarität Bayerns.

Andrea Tandler wird zu vier Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt, kurz danach legt sie Revision ein. Die Tochter des früheren CSU-Ministers Gerold Tandler hatte in der Corona-Krise 48,4 Millionen Euro für die Vermittlung von Maskengeschäften verdient. Das ist moralisch vielleicht nicht einwandfrei, aber nicht strafbar: Verurteilt wurde sie wegen Steuerhinterziehung. Sie wird das Gefängnis als Millionärin verlassen.

Text: Katja Auer, Redaktion: Marion Zellner, Digitales Storytelling: Katja Auer