Süddeutsche Zeitung

FDP vor den Neuwahlen in NRW:Getrieben vom Mut der Verzweifelten

Lesezeit: 3 min

Kein Plan, keine Idee. Die Liberalen stolpern zusehends über ihre Versuch-und-Irrtum-Taktik. Da nutzt auch die jetzt zur Schau gestellte Prinzipientreue nichts. Dabei steht der FDP in NRW eine echte Schicksalswahl bevor. Gelingt der Wiedereinzug in den Landtag nicht, ist der Beweis erbracht: Die Partei wird nicht mehr gebraucht.

Thorsten Denkler

Viele Politiker sind bekanntlich in der Lage, noch den eigenen Tod als Sieg zu verkaufen. Tot ist die FDP nicht. Noch nicht, unken manche. Aber seit bald zwei Jahren suchen die Liberalen immer verzweifelter nach einem Weg, den wachkomatösen Zustand zu verlassen, in dem sich die Partei befindet.

Die Erinnerung an den großen Wahlsieg 2009 verblasst zunehmend. 14,6 Prozent! Wie ein ferner Turm ragt diese Zahl aus der dunklen Umfrage-Wüste hervor. Mal drei, mal vier, mal zwei Prozent. Aber lange nicht mehr über fünf. Zu lange nicht mehr.

Eine Strategie ist nicht erkennbar. Was sie auch versuchen im Thomas-Dehler-Haus, es will nicht gelingen. Der Wechsel an der Spitze von Guido Westerwelle zu Philipp Rösler hat der Partei nicht geholfen. Der Wechsel der Generalsekretäre auch nicht. Der rumpelnde Patrick Döring entspricht zwar mehr dem Klischeebild eines Generalsekretärs als der feinsinnige Christian Lindner. Aber was nützt es, wenn sich die Wähler im Land nicht mehr interessieren für das, was die FDP zu sagen hat.

Was ist aus Röslers "Wachstum" geworden?

Anfang des Jahres noch präsentierte Rösler das Wort "Wachstum" als neues Leitmotiv der FDP. Das ist völlig verpufft. Wahlkämpfende Liberale wie Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein denken nicht daran, die angebliche Strategie in ihren Wahlkampf einzubauen.

Die Partei, Philipp Rösler vorneweg, versucht sich mühsam mit dem Prinzip Trial and Error, mit Versuch und Irrtum über Wasser zu halten.

Die Personalie Joachim Gauck, das war mal einer der seltenen, halbwegs geglückten Versuche. Philipp Rösler hat ihn auf Betreiben von Fraktionschef Rainer Brüderle gegen Kanzlerin Angela Merkel als Präsidentschaftskandidaten durchgesetzt. Merkel wollte Gauck nicht, weil seine erneute Kandidatur dem Eingeständnis gleichkommt, mit Christian Wulff 2010 eine Fehlentscheidung getroffen zu haben.

Zwei Prozent in Umfragen - das sagt alles

Brüderle hat die offene Flanke bei Merkel erkannt und Rösler da hineingeschubst. Seitdem freut sich Rösler wie Bolle über seinen Coup. So sehr, dass die wenigen Sympathien, die er damit gewonnen hat, auch schon wieder futsch sind. Der Effekt in den Umfragen: gleich null.

Immerhin: An solche Aktionen klammern sich Röslers Parteifreunde wie an Strohhalme. So ist es jetzt auch in Nordrhein-Westfalen. Die FDP dort hatte nie die Absicht, die rot-grüne Minderheitsregierung platzen zu lassen. Das kommt Harakiri gleich, einer rituellen Selbsttötung. Zwei Prozent in Umfragen - das sagt alles.

Noch am Montag wurde im Vorstand der Landespartei eifrig der strategische Umgang mit dem Landeshaushalt debattiert. Tenor: Jetzt erst mal auf dicke Hose machen und alles ablehnen, dann zwei bis drei Wochen verhandeln, ein bisschen etwas rausholen und sich dann in der vermeintlich entscheidenden dritten Lesung der Stimme enthalten.

Ein "sehr mutiger" Schritt

Die Juristen des NRW-Landestages machten zwei Tage später galant darauf aufmerksam, dass schon die Ablehnung eines Einzelplanes in zweiter Lesung das Aus für den Haushalt bedeutet. Die Liberalen aber kamen aus den dicken Hosen so schnell nicht mehr heraus.

Und da sind wir wieder am Anfang: Ihren strategischen Zickzackkurs der Postensicherung verkaufen die Liberalen jetzt mehr bemüht als überzeugend als Prinzipientreue. Sie tun so, als hätten sie Haushalt und Regierung auch in drei Wochen noch platzen lassen. Als "sehr mutig" beschreibt Generalsekretär Döring den Schritt der NRW-Liberalen.

Wenn, dann treibt nur noch der Mut der Verzweifelten die FDP. Hätte die Partei Prinzipientreue beweisen wollen, sie hätte andere, bessere und glaubwürdigere Gelegenheiten gehabt. Im Bund vor allem in der Steuerpolitik. Schon eine ernsthafte Steuervereinfachung hätte womöglich gereicht, das Existenzrecht der Liberalen neu zu begründen. So aber wird die FDP schlicht nicht mehr gebraucht.

Nur als Korrektiv funktioniert sie gut

Nichts deutet darauf hin, dass die FDP in spätestens 59 Tagen den Einzug in den NRW-Landtag schaffen könnte. Im Saarland, wo am letzten März-Sonntag gewählt wird, sieht es nicht anders aus. Nur in Schleswig-Holstein hat Kubicki noch eine vage Chance, wieder in den Landtag zu kommen. Aber das hätte Kubicki nur einem Mann zu verdanken: ihm selbst.

Es geht ja nicht darum, ein paar Prozentpunkte gutzumachen. Es geht darum, in NRW den bisher prognostizierten Stimmenanteil zu verdreifachen, im Saarland sogar zu verfünffachen. Erstaunlich an der Lage der FDP ist im Moment nur, dass überhaupt noch Menschen bereit sind, ihr Kreuz bei der FDP zu machen. Stammwähler, sagen einige Parteienforscher, hat die FDP längst nicht mehr. Sie war und ist Funktionspartei, das Korrektiv einer bürgerlichen Regierung. Nur in dieser Rolle kann sie stark sein.

Doch in NRW und im Saarland gibt es keine Machtperspektive für die FDP. Dafür müsste die CDU wieder deutlich über 40 Prozent kommen. Diese Zeiten sind wohl auch vorbei.

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