Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Der Mann, der Wirecard war

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In München startete der Prozess gegen den gebürtigen Österreicher und früheren Wirecard-Chef Markus Braun - und lässt eine Frage aufkommen.

Von Nils Wischmeyer

Und dann sitzt er da. Markus Braun, ein wenig dünner als in den Jahren als Wirecard-Chef, in denen ich ihn getroffen und erlebt habe, aber ansonsten ist vieles beim Alten: dünne Brille, dicke Armbanduhr, navyblauer Rollkragenpullover. Statt in seinem Vorstandsbüro sitzt er aber nun tief unter der Erde, in einem Bunker mit bombensicherer Decke, wo am Donnerstag der erste Prozess gegen den ehemaligen Wirecard-Chef begonnen hat. Markus Braun bestreitet alles, was die Ermittler ihm vorwerfen.

Der Bunker befindet sich auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stadelheim, vom Gefängnis führen teils unterirdische Wege hinein in den Saal, 15 Meter hohe Decken, Dutzende Beteiligte in den ersten Reihen: Staatsanwälte, Richter, Schöffen, Angeklagte, diverse Verteidiger und so weiter. Schon allein an der Zahl der Menschen in diesem Saal wird klar: Hier startet ein Mammutprozess. Es geht ja auch um nicht weniger als um den Zusammenbruch eines Dax-Mitglieds, um einen 20-Milliarden-Euro-Konzern, der 2020 über Nacht implodierte, um Zahlen, die für die Menschen schlicht nicht greifbar sind, und Vorgänge, die Politik und Wirtschaft durchschüttelten. Wie könnte da nicht Mammut oder Jahrhundert vor dem Wort Prozess stehen?

Aber Zahlen und Worte beiseite. Schauen wir auf den Mann, auf den sich alle Blicke beim Prozessauftakt richteten, meine natürlich auch. Auf den Mann, der Wirecard war: Markus Braun. Der studierte Wirtschaftsinformatiker war nie ein Mann großer Ausdrücke, in seinem Gesicht ließ sich nur selten eine Regung erkennen, die sich hätte deuten lassen. Ist er angespannt? Ist er gelangweilt, glücklich, traurig? Markus Braun war schon immer schwer zu deuten - und auch im Gerichtssaal kann man eigentlich nur feststellen, dass er konzentriert ist, dass er mit seinem Anwalt redet, sich Dinge notiert, dass er - vielleicht trifft es das am besten - voll da ist.

Wenn aber so wenig zu deuten ist, stellt sich im Laufe eines Tages, an dem fünf Stunden lang die Anklage vorgelesen wird, eine Frage: Was geht in seinem Kopf vor, also woran denkt Markus Braun? An den Kronzeugen, wegen dessen Aussagen er in U-Haft sitzt? An die Staatsanwälte, die Vorwurf um Vorwurf vortragen? An die letzten Tage des Konzerns, dessen Chef er war? Oder denkt er zwischendurch vielleicht kurz an seinen Geburtsort, denkt Markus Braun an Wien?

Es gehört schließlich zur Wahrheit rund um Deutschlands spektakulärste Firmenpleite seit Jahrzehnten: In den Hauptrollen finden sich (überraschend oder nicht) Österreicher. Markus Brauns letzter Wohnort vor der U-Haft war Kitzbühel. Jan Marsalek, der untergetauchte Ex-Vorstand mit mutmaßlich besten Kontakten ins Geheimdienstmilieu und natürlich in der österreichischen Politik bestens vernetzt, ist ebenfalls in Wien geboren, und, wie könnte es anders sein, über Österreich ins Ausland geflohen. Vermutlich nach Moskau. Ob auch er manchmal an Wien denkt?

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