Süddeutsche Zeitung

Wikileaks: Nordkorea:Stochern im Nebel von Pjöngjang

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Dank Wikileaks wird offenbar, wie wenig die USA über Nordkorea wissen und wie oft sie von Kim Jong Il überrascht werden. Glaubhaft sind die Klagen Chinas über das "verzogene Kind" - und niemand weiß, was es als nächstes tun wird.

Henrik Bork, Peking

Zum Thema Nordkorea enthüllen die Depeschen von Wikileaks nur, wie wenig es zu enthüllen gibt. Denn die geheimen Telegramme aus den US-Botschaften in Asien zeigen deutlich, dass auch die Amerikaner nicht viel über Nordkorea wissen. Das Land werde auch das "schwarze Loch Asiens" genannt, schreibt ein Kommentator der New York Times. Alle stochern da im Dunkeln, selbst die Emissäre Washingtons.

Die Depeschen zeigen, wie eifrig US-Diplomaten ihre Kollegen in China und Südkorea konsultieren, um selbst kleinste Brocken an Informationen, aber auch Meinungen, Halbwahrheiten und Gerüchte einzusammeln, die sie dann fleißig in ihre eigene Hauptstadt weiterleiten.

Was die Nordkoreaner wirklich im Schilde führen, ihre möglichen nächsten Schritte im Atompoker etwa, ist den Gesprächen nie zu entnehmen. Alle werden ständig von Kim Jong Il in Pjöngjang überrascht, auch die Chinesen, auch die Südkoreaner. Es geht den Diplomaten da, nebenbei gesagt, nicht viel anders als ausländischen Journalisten in Asien.

So wurde in einer Depesche vom Januar diesen Jahres der südkoreanische Vizeaußenminister und heutige Sicherheitsberater Chun Yung Woo mit der kühnen Voraussage zitiert, Nordkorea werde "zwei, drei Jahre" nach dem Tod von Kim Jong Il zusammenbrechen. Nur: Genau solche Voraussagen hatte es schon nach dem Tod von Kims Vater Kim Il Sung im Jahr 1994 gegeben, doch die haben sich zum Leidwesen der Millionen an Hunger leidenden Nordkoreanern bis heute bewahrheitet.

Mit Vorsicht genießen

Genauso müssen wohl auch die anderen Einschätzungen des Südkoreaners, die nun bei Wikileaks und deren Partnermedien für alle Welt nachlesbar sind, mit großer Vorsicht genossen werde. China habe nichts mehr gegen eine Wiedervereinigung Koreas unter der Vorherrschaft des Südens, sagte der südkoreanische Beamte der US-Botschafterin in Seoul. Peking wolle bloß keine amerikanischen Truppen nördlich der jetzigen Demarkationslinie sehen, sollte es eines Tages dazu kommen.

Solche "Enthüllungen" auf Wikileaks haben nicht viel mehr Informationswert als Gerüchte. Vielleicht stimmt diese Einschätzung Chuns, vielleicht auch nicht. Jedenfalls widerspricht sie der realen Außenpolitik, die China derzeit betreibt.

Peking unterstützt Nordkorea mit Lebensmittel- und Energielieferungen. Ständig rollen volle Güterzüge über die chinesisch-nordkoreanische Grenze. Ohne diese Lieferungen wäre Nordkorea tatsächlich schnell am Ende - aber China hat offensichtlich kein Interesse daran.

Auch andere Depeschen zeigen im Rückblick, wie wenig all die professionellen Nordkorea-Beobachter in Chinas und Südkoreas Amtsstuben, Universitäten und Thinktanks aller Art wirklich wissen. Immer wieder lagen sie mit ihren Analysen falsch. Akkurat klingen lediglich die Stossseufzer chinesischer Politiker, Nordkorea benehme sich so störrisch wie ein "verzogenes Kind". Auch da weiß bekanntlich niemand, was es sich als nächstes einfallen lassen wird.

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