Wikileaks: China frustriert über Nordkorea:"Verzogenes Kind"

Dank Wikileaks erfährt die Welt, dass Kim Jong Il Champagner trinkt und Kette raucht. Die US-Depeschen bringen aber auch Überraschungen ans Licht - und könnten ernste Konsequenzen haben. Vor allem für den Vermittler China.

Eine der zentralen Erkenntnisse der Wikileaks-Enthüllungen für den Normalbürger ist: Klatsch gibt es auch in der Diplomatie. Sogar über Nordkorea. Von einer chinesischen Geschäftsfrau, die von Machthaber Kim Jong Il empfangen wurde, konnten die US-Diplomaten in Erfahrung bringen, dass der Diktator nach Ende das offiziellen Treffens Champagner und Whisky-Cocktails getrunken und Kette geraucht habe. Außerdem sei er "bei guter Gesundheit und Laune" sei.

File photo of North Korean leader Kim Jong-il in Pyongyang

Stolz auf sein Atomprogramm: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il verkündet Fortschritte bei den Zentrifugen.

(Foto: REUTERS)

Doch im Fall Nordkoreas bergen die Enthüllungen auch brisantes Material - und könnten ganz konkrete Folgen haben. Aus den Depeschen geht erstmals deutlich hervor, dass Nordkorea mit seinen ständigen Provokationen offensichtlich auch seinen letzten Freund verärgert: China.

In einer Notiz nach Nordkoreas Raketentest im April 2009 wird Chinas Vizeaußenminister He Yafei zitiert, Nordkorea wolle direkte Gespräche mit den USA und benehme sich wie ein "verzogenes Kind", um die Aufmerksamkeit des "Erwachsenen zu bekommen". Andere Dokumente mit Hinweis auf bedeutende südkoreanische Quellen erwecken den Eindruck, China wolle seinen Verbündeten aufgeben und wäre bereit, ein wiedervereinigtes Korea unter Südkoreas Kontrolle zu akzeptieren.

Nordkorea habe als "Pufferstaat" nur noch wenig Wert für China, zitierte im Januar dieses Jahres der damalige südkoreanische Vizeaußenminister und heutige Sicherheitsberater Chun Yung Woo chinesische Offizielle. Im Falle einer Wiedervereinigung würde China allerdings amerikanische Truppen auf heutigem nordkoreanischem Gebiet "nicht willkommen" heißen, sagte Chun.

Große Geschäftsmöglichkeiten für chinesische Unternehmen könnten helfen, die Sorgen Chinas über ein wiedervereinigtes Korea zu mindern. Eine Militär-Intervention Chinas im Falle eines Zusammenbruchs Nordkoreas hielt Chun für unwahrscheinlich, da Chinas strategische Wirtschaftsinteressen heute auf die USA, Japan und Südkorea ausgerichtet seien.

Aus seiner Sicht sei Nordkorea wirtschaftlich schon kollabiert. Er sagte voraus, dass das verarmte Land "zwei, drei Jahre" nach dem Tod von Militärführer Kim Jong Il auch politisch zusammenbrechen werde.

China habe weit weniger Einfluss "als die meisten Leute glauben", wurde Chun zitiert. China sei aber auch "nicht willens", seinen wirtschaftlichen Einfluss zu nutzen, um Veränderungen in Nordkorea zu erzwingen. Nordkoreas Führung "weiß das", wurde Chun zitiert.

Diese Informationen werden vermutlich auch in Pjöngjang aufmerksam gelesen und könnten Chinas diplomatische Bemühungen im Korea-Konflikt erschweren. Trotz der Enthüllungen wirbt China weiter für seine Vermittlungsversuche. Der chinesische Vorschlag für Treffen der Unterhändler im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche mit Nordkorea, den USA, China, Südkorea, Japan und Russland sei als "Ausgangspunkt" für eine Verringerung der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel gedacht, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Hong Lei. Die jüngste Krise war durch Nordkoreas Militärschlag gegen eine südkoreanische Insel ausgelöst worden.

Ahnungslose Amerikaner

Erste Gespräche wird Chinas Regierung demnach mit dem Vorsitzenden der obersten Volksversammlung Nordkoreas, Choe Tae Bok, führen. Der enge Vertraute von Militärführer Kim Jong Il und dessen Sohn Kim Jong Un traf bereits zu einem Besuch in China ein.

Die jüngsten Berichte im Rahmen der sogenannten Cablegate-Enthüllungen betreffen natürlich auch die US-Außenpolitik. Was die New York Times berichtet, dürfte im US State Department noch mehr Unbehagen auslösen als manch verunglimpfende Charakterisierungen ausländischer Staatsoberhäupter oder Regierungschefs.

Nach Einschätzung der Times belegen die Depeschen, wie wenig die USA über Vorgänge innerhalb Nordkoreas wissen. So hätten sich südkoreanische und US-Diplomaten über konkrete Strategien nach einem Zusammenbruch des Regimes beraten. Die jüngsten militärischen Störmanöver Pjöngjangs hätten sie aber allem Anschein nach nicht vorausgesehen.

Die Botschaftsmeldungen über Nordkorea - manche von ihnen aus Südkorea, manche aus Peking - "sind voller fundierter Vermutungen, aber arm an Fakten", schreibt die Zeitung. Dies mache anschaulich, weshalb man Nordkorea "das schwarze Loch Asiens nennt".

Statt konkreter Krisen enthielten die Depeschen "lockere Gespräche und zuversichtliche Voraussagen über das Ende der Familiendynastie, die Nordkorea seit 65 Jahren regiert", schreibt die Zeitung weiter.

Spiegel Online beschreibt genüsslich die Berichte des US-Generalkonsulats im chinesischen Shenyang. Bei einer Expedition an den Grenzfluss zu Nordkorea habe der damalige Generalkonsul Stephen Wickman nach Washington berichtet, es seien zwei chinesische Kipplaster mit Kies und Baumaterial unterwegs nach Nordkorea sowie ein Tieflader mit Weizennudeln. "Eine Kuh zog einen Karren", hieß es in dem Geheimpapier an das US-Außenministerium, "drei Kinder spielten im Fluss."

Pünktlich zu den Enthüllungen prahlt der Kim nun mit "Hunderten Zentrifugen" zur Urananreicherung. Das Programm diene allein friedlichen Zwecken, vermeldete am Dienstag die amtliche Nachrichtenagentur KCNA, die das Sprachrohr der kommunistischen Führung ist.

Nordkorea baue an einem Leichtwasserreaktor, um den Energiebedarf im Land zu decken. "Dafür betreiben wir ein modernes Anreicherungssystem mit mehreren tausend Zentrifugen."

Die Existenz der neuen nordkoreanischen Anlage zur Urananreicherung war aber bereits kurz vor der Eskalation des Konflikts durch das Gefecht mit Todesopfern an der Seegrenze zwischen Nord- und Südkorea bekanntgeworden.

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