Süddeutsche Zeitung

Westjordanland:Mord als "Preisschild"

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Radikale jüdische Siedler attackieren Wehrlose, um ihre eigene Regierung zu treffen. Bei einem Anschlag starb am Freitag ein Baby.

Von Ronen Steinke, München

"Rache" steht in großen hebräischen Lettern auf der Hauswand. Rache wofür? Das Graffito prangt an der Mauer eines Wohnhauses, das in den Morgenstunden in Brand gesetzt wurde, in den Flammen starb ein 18 Monate altes Kind einer palästinensischen Familie. Mutter, Vater und Bruder wurden schwer verletzt. Nach ersten Untersuchungen schlugen die Täter erst die Fenster zweier Häuser ein, dann warfen sie Brandflaschen hinein, anschließend flüchteten sie. Neben dem Wort "Rache" hinterließen sie ein weiteres gesprühtes Erkennungszeichen. Einen Davidstern.

Das Haus der palästinensischen Familie in Duma, das in der Nacht zum Freitag in Flammen aufging, war allem Anschein nach das Ziel jüdischer Extremisten. Die Tat fügt sich ein in das Muster sogenannter Preisschild-Attacken, die vom radikalsten Rand der jüdischen Siedlerbewegung ausgehen. Es ist eine Entwicklung, die vor zehn Jahren begann und in jüngster Zeit grausam an Fahrt aufnimmt. Die "Rache" richtet sich gegen die eigene Regierung. Palästinenser sind die Leidtragenden - doch erpressen sollen solche Gewalttaten die Politik in Jerusalem.

"Preisschild" sagen die Täter dazu, weil sie jedes territoriale Zurückweichen der eigenen Regierung bestrafen, also politisch verteuern wollen. Werden Siedlungen abgerissen, antworten sie mit Angriffen auf Wehrlose. Am Donnerstag hatten die israelischen Behörden begonnen, zwei illegale Siedlerhäuser in Bet El im Westjordanland abzureißen, aufgrund eines Spruchs des Obersten Gerichtshofs. In derselben Nacht zogen die Brandstifter los.

Die Anfänge liegen im Jahr 2005. Damals hatte Israels Regierung entschieden, sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen und dieses Land den Palästinensern zu überlassen. Es kam zum historischen Bruch: Die Siedlerbewegung warf der damaligen Mitte-rechts-Regierung unter Ariel Scharon vor, Verrat an der zionistischen Sache zu üben. Letztlich akzeptierte der größte Teil der Siedler die Autorität des Staates. Scharon gewann. Aber ein kleiner, radikaler Teil spaltete sich ab und entschied, illegale Wege zu gehen.

Man nennt sie die Hügel-Jugend. Sie verlassen die jüdischen Großsiedlungen im Gebirge des Westjordanlandes und besetzen umliegende Hügel - bewusst ohne sich mit der Bürokratie oder der Armee zu koordinieren. Die offizielle Siedlerbewegung, wie sie im Parlament durch die Partei Jüdisches Heim vertreten wird, unterstützt sie höchstens stillschweigend. Doch ihre Übergriffe auf Palästinenser im Westjordanland wurden einer Studie der Menschenrechtsorganisation Jesch Din zufolge im Zeitraum von 2005 bis 2014 nur in sieben Prozent der Fälle von der Polizei aufgeklärt.

Kaum wurde die Gewalttat von Duma am Freitag bekannt, verurteilten israelische Politiker sie. Verteidigungsminister Mosche Jaalon sprach von jüdischen Terroristen. Premier Benjamin Netanjahu indes hatte am Donnerstag auf den gerichtlich befohlenen Abriss in Bet El reagiert, indem er dort den Bau von 300 neuen Wohnungen erlaubte.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2015
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