Süddeutsche Zeitung

Weißrussland:Harte Kampfansage

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Nach einer Phase der vorsichtigen Öffnung greift Präsident Lukaschenko im Vorfeld der Wahlen durch und lässt Konkurrenten festnehmen - unter anderem sein Kurs in der Coronakrise hat ihn angreifbar gemacht.

Von Frank Nienhuysen, München

Gibt sie innerlich schon auf, zwei Monate vor der Wahl? Swetlana Tichanowskaja hat vor ein paar Tagen Anhängern der Opposition davon abgeraten, weiter zu Protesten auf die Straße zu gehen oder Unterschriften zu sammeln. "Keine einzige Unterschrift ist es wert, dass Sie und Ihre Familien leiden", sagte die Frau, die Präsidentin werden will in Weißrussland. Eine leidende Familie: Tichanowskaja weiß, was das heißt. Ihr Mann, ein Blogger, sitzt seit Mai im Gefängnis. Die Agentur Belapan zeigte nun Fotos von Freitag, auf denen ihre Schwiegermutter in einem Gerichtssaal zu sehen ist, als dort über eine Haftbeschwerde des Bloggers verhandelt wurde. Hellblau-weißes Shirt, Schutzmaske, trauriger Blick.

Swetlana Tichanowskaja will bei der Präsidentenwahl am 9. August Staatschef Alexander Lukaschenko herausfordern, der seit 26 Jahren das Land regiert und nun für eine sechste Amtszeit antritt. Sie will das, weil ihr Mann nicht darf. Sergej Tichanowskij ist in Weißrussland ein bekannter, regierungskritischer Blogger, er betreibt den Youtube-Kanal "Ein Land für das Leben", der vor allem bei jüngeren Menschen ankommt. Er fischt dabei in Lukaschenkos Gefilden und macht das, was sonst als Stärke des Präsidenten gilt: In die Provinzen gehen, direkt mit den Leuten reden, ihre Sprache sprechen. Er kritisierte etwa eine unfreie Justiz und sagte, "die Verfassung ist uns gestohlen worden". Nach einer Kundgebung wurde der 41-Jährige mit anderen Demonstranten festgenommen, zunächst für zwei Wochen, dann wurde der Vorwurf gegen ihn verschärft: wegen angeblicher Organisation von Handlungen, die die öffentliche Ordnung schwer verletzen.

Noch sind es zwei Monate bis zur Wahl, aber in den vergangenen Wochen hat sich die Lage in Weißrussland sehr verschärft. Mehr als zehn Bewerber haben eine wichtige Hürde genommen und dürfen jetzt offiziell 100 000 Unterschriften sammeln, um sich als Präsidentschaftskandidaten registrieren zu lassen. Mehrmals gab es seitdem Proteste gegen die autoritäre Führung, es begann sich stärkerer politischer Widerstand zu bilden, nicht nur durch den Blogger Tichanowskij. Präsident werden will nun auch ein Ex-Bankchef sowie der frühere Leiter eines Minsker Hightech-Parks. Die beiden letzteren gelten als ernste, reformwillige Konkurrenz, Lukaschenko reagierte auf die Proteste schnell mit einer harten Kampfansage. Bunte Revolutionen und einen Maidan wie in der Ukraine werde es nicht geben, sagte der Präsident. Gesetzlosigkeiten oder dass sich das Land destabilisiere, werde er nicht zulassen.

Das Verhältnis zum Westen hatte sich gerade gebessert, Sanktionen waren aufgehoben worden

Und so sieht das Durchgreifen aus: Einem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten von 2010, Mikalaj Statkewitsch, wurde mit Verweis auf frühere Haftstrafen die Registrierung für die Wahl verwehrt. Er wurde Anfang Juni wegen eines Protests in Minsk für 14 Tage festgenommen. Der Blogger Tichanowskij ist in Haft, und nun ermitteln die Finanzbehörden gegen Viktor Babariko, der bisher die Bank Belgazprombank leitete, die weißrussische Vertretung der russischen Gazprombank. Ihm wird vorgeworfen, in "illegale Aktivitäten" verwickelt zu sein. Nach einer Razzia in der Bank und mehreren Festnahmen sprach Babariko von einem inszenierten Verfahren, das "politischen Charakter" habe.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sprach bereits im Mai von einer "neuen Welle willkürlicher Festnahmen" vor der Wahl im August. Im Fall des Bloggers Tichanowskij rief die Europäische Union zur Freilassung auf. Die Anklage müsse fallen gelassen werden, sagte der Außenbeauftragte Josep Borrell. Weißrussland müsse einen fairen Wahlkampf zulassen. Kritik an Präsident Lukaschenko hat es im Land immer wieder gegeben, bei der Präsidentenwahl 2010 gab es sogar Massenproteste, ehe fast alle Gegenkandidaten im Gefängnis landeten. In den vergangenen Jahren war es eher ruhig gewesen, nennenswerter Widerstand war kaum zu vernehmen, zumal sich das Land vorsichtig öffnete, toleranter zeigte, den Dialog mit dem Westen suchte und das Verhältnis sich deutlich verbesserte. Doch in der Corona-Pandemie und den bevorstehenden Wahlen sehen viele Weißrussen die Chance, mehr Veränderung zu fordern. Lukaschenko hat den weltweiten Umgang mit dem Virus als "Psychose" verharmlost und gegen den Rat der WHO kaum Einschränkungen verordnet. Das hat ihm viel Kritik und Misstrauen im eigenen Land eingebracht in Zeiten, in denen die Wirtschaft und der Lebensstandard arg leiden.

Als nun die Ermittlungen gegen den Ex-Banker Babariko bekannt wurden, begann sogleich eine Debatte darüber, ob auch er wohl bald in Haft müsse. Dass sich Lukaschenko nicht scheut, knallhart durchgreifen zu lassen, hat er 2010 gezeigt. Damals reagierten die EU und die USA auf massenhafte Festnahmen mit Sanktionen, die inzwischen jedoch fast alle aufgehoben wurden, nachdem politische Gefangene freigelassen wurden und Lukaschenko auf den Westen zuging. Erst im Mai ernannte Washington sogar in Julie Fisher wieder eine US-Botschafterin in Minsk, nach zehn Jahren Vakanz. Da Weißrussland gerade um internationale Kredite kämpft, wäre das Risiko durchaus auch aufseiten Lukaschenkos, sollte er allzu offensichtlich jegliche Wahlkonkurrenz verhindern. "Wenn sich das Szenario von 2010 wiederholt, Proteste zerschlagen und Kandidaten festgenommen werden, dürfte es sehr schwer werden, westliche Finanzhilfe zu erhalten", sagte der Analytiker Wadim Iosub.

Und Alternativen zu finden, ist derzeit schwierig. Das brüderliche Verhältnis zwischen Weißrussland und dem wirtschaftlich ebenfalls angeschlagenen Russland hat sich verschlechtert. Zuletzt ging der Streit um Ölpreise und Moskaus Drängen auf eine vertiefte Integration beider Staaten, die Minsk als Angriff auf seine Souveränität empfindet. Lukaschenko macht so auch keine Anstalten, seinen Widersacher Babariko radikal auszubooten. "Ich will, dass er bei den Wahlen antritt", sagte der Präsident. "Er soll den Leuten erzählen, woher er sein Eigentum auf Zypern hat. Einen Gewissensgefangenen werden wir aus ihm nicht machen". Es sieht also trotz allem nach einem gnadenlosen Wahlkampf aus.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2020
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