Süddeutsche Zeitung

Washington:Wucht der Lüge

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Ein Mann liest eine gefälschte Geschichte über einen Pädophilen-Ring, in den Clinton verstrickt sei und der aus einer Pizzeria heraus operiere. Er stürmt das Lokal und bedroht einen Kellner. Trump entlässt in der Folge einen Mitarbeiter.

Es ist das vorerst letzte Kapitel einer höchst bizarren Affäre. Donald Trump, designierter Präsident der USA, hat einen Mitarbeiter seines Übergangsteams entlassen, weil der auf Twitter mehrere Falschmeldungen über Hillary Clintons angebliche Verstrickungen in einen Pädophilen-Ring weiterverbreitete. Es handelt sich um Michael G. Flynn, 33, den Sohn des künftigen Nationalen Sicherheitsberaters und pensionierten Drei-Sterne-Generals Michael Flynn.

Die Entlassung hängt mit Ereignissen zusammen, die sich vergangenen Sonntag in einer Pizzeria in Washington D.C abspielten und von US-Medien als "Pizzagate" bezeichnet werden. Kurz vor drei Uhr nachmittags betrat ein junger Mann namens Edgar Maddison Welch, 28, die Pizzeria Comet Ping Pong, richtete sein Sturmgewehr auf einen Kellner und drückte ab. Gäste stürmten aus dem Restaurant, die Polizei überwältigte den Schützen, bevor er jemanden verletzen konnte, und fand in Welchs Auto weitere Waffen.

Welch gab zu Protokoll, er wollte "auf eigene Faust ermitteln". Er habe im Internet gelesen, dass es sich bei der Pizzeria Comet Ping Pong um einen internationalen Pädophilen-Ring handelt. "Pizza" sei ein Codewort für junge Mädchen und Buben aus Haiti, die im Keller gefangen gehalten und deren Organe verhökert werden. Als würde das alleine nicht reichen, wurde behauptet, Hillary Clinton habe von all dem gewusst und den Kindesmissbrauch gedeckt. Die Verschwörungstheorie, auf Facebook und Twitter dutzendfach weiterverbreitet, wurde untermauert mit Hinweisen, dass das angebliche Codewort "Pizza" in den E-Mails von Clintons Wahlkampfmanager John Podesta mehrmals auftauche. Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte im Wahlkampf Podestas E-Mails veröffentlicht. Seitdem kursieren allerlei Gerüchte über mögliche Codewörter. So habe Podesta einmal geschrieben: "Wo gibt es Pizza auf Martha's Vineyard?" Für die Verfasser der Falschmeldungen "ein Beweis", dass die Demokratische Partei hinter allem stehe und der Pädophilen-Ring im ganzen Land aktiv sei.

Der Artikel und seine Folgen - "ein Lehrstück in politischer Kommunikation im Jahr 2016"

Edgar Welch, der Schütze, war nach der Lektüre dieser Berichte offenbar so aufgebracht, dass er sich bewaffnete, ins Auto stieg und von North Carolina nach Washington D.C. fuhr, um "nach dem Rechten zu sehen".

"Man kann sich lustig machen über die Leichtgläubigkeit dieses Mannes, aber das würde den Kern der Geschichte verfehlen", sagte die Medienjournalistin Margaret Sullivan. Denn es handle sich um bewusste politische Manipulation, verbreitet von Meinungsmachern, an dessen Ende Menschen wie Edgar Welch stünden, die ihr Sturmgewehr auf Kellner richten. "Unser politisches Klima wurde während des Wahlkampfs derart aufgeheizt", so Sullivan, dass Welch tatsächlich glaubte, ein paar Demokraten würden sich in einer Pizzeria Kinder halten. "In einem normalen Jahr wäre über diese Meldung wohl gelacht worden. Aber was war schon normal 2016?"

Das Nachrichtenportal Buzzfeed hat sich auf die Suche nach der Quelle der Verschwörungstheorie gemacht. Ende Oktober, in einer Zeit, da Donald Trumps Umfragewerte sanken und Trump verkündete, es sei Zeit, "die Handschuhe auszuziehen", tauchen in konservativen Foren wie "Godlike Productions" erste Anschuldigungen auf, Clinton sei in einen Pädophilen-Skandal verwickelt. Mitglieder rechtsextremer Kreise verbreiten die Lüge auf Twitter. Bald danach titeln zweifelhafte, rechtsnationale Onlinemedien namens "Info Wars" und "True Pundit": "Neue Hillary E-Mails: Geldwäsche, Sexuelle Handlungen mit Kindern, Kindesmissbrauch." Darunter schreiben erste Leser begeistert: "Jetzt werden wir die Wahl doch noch gewinnen."

Im Unterschied zu seinem Sohn Michael G. Flynn, der von Trump am Dienstag entlassen wurde, hat der zukünftige Sicherheitsberater Michael Flynn, früherer Chef des Militärgeheimdienstes DIA, die Pizzeria Comet Ping Pong nie erwähnt. Er soll aber laut Politico per Twitter seit August mindestens 16 Mal auf nicht weniger krude Verschwörungstheorien aufmerksam gemacht haben. So verlinkte er Nachrichten, in denen Clinton sexuelle Vergehen vorgeworfen werden und wies auf einen Text hin, in dem John Podesta nachgesagt wird, er würde okkultischen Ritualen beiwohnen und menschliches Blut trinken.

"Menschen wie Michael Flynn, die absichtlich groteske Falschmeldungen in Umlauf bringen, um die Bevölkerung aufzuwiegeln, werden unser Land regieren", sagte Adam Schiff, demokratischer Abgeordneter aus Kalifornien. "Dabei müssten doch Sicherheitsberater einen kühlen Kopf bewahren", fügte er an.

"Die Geschichte um Edgar Maddison Welch ist ein Lehrstück in politischer Kommunikation im Jahr 2016", sagte Medienjournalistin Sullivan. Was mit einer politischen Lüge begann, habe sich zu einer Affäre aufgetürmt, die in eine Schießerei mündete, bei der beinahe jemand gestorben wäre: "Willkommen in der neuen Realität."

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Quelle:
SZ vom 08.12.2016
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