Süddeutsche Zeitung

Elizabeth Warren:Die Kämpferin tritt ab

Lesezeit: 4 min

Die Senatorin aus Massachusetts hat einer ganzen Generation neue Hoffnung auf eine Frau im Oval Office gegeben. Und gab vielen mit auf den Weg: "Dream big, fight hard".

Von Thorsten Denkler, New York

Es ist spät geworden an diesem lauen Herbstabend im Washington Square Park in New York. Vor gut zwei Stunden hat Elizabeth Warren hier ihre Rede beendet. Über 20 000 Menschen sind gekommen, ihr vielleicht größter Auftritt als Bewerberin um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten. Sie haben sie gefeiert, bejubelt, sie haben gelacht und geweint. Es ist mehr ein Happening als ein Wahlkampfauftritt. Der Platz ist noch bis tief in die Nacht hell erleuchtet. Tausende warten in einer Schlange und wollen ein Selfie mit Warren. Warren wird diesen Wunsch jedem erfüllen.

Zu dem Zeitpunkt hat sie in den Umfragen seit Monaten zugelegt. Platz zwei hinter Joe Biden. Der Abstand wird immer geringer. Elizabeth Warren, President of the United States, das schien an diesem Abend greifbar nah zu sein. Warren nimmt sich Zeit für jeden, ein offenes Lächeln, Worte werden gewechselt. Immer wieder ballt sie ihre Faust als Zeichen des gemeinsamen Kampfes. Warren sagt es von sich selbst so oft. Sie sei eine Kämpferin. Und sie will, dass jeder in ihren Kampf einsteigt, der an diesem Abend gekommen ist. "Dream big, fight hard", gibt sie vielen hier mit auf den Weg.

Als ein junges Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt, von Warren kommt, sagt sie: "Das war der schönste Moment in meinem Leben!", sagt sie. Und ja, sie hat Tränen in den Augen.

Jetzt ist der Kampf vorerst vorbei. Am Donnerstag hat Senatorin Elizabeth Warren ihre Kampagne beendet, 13 Monate nachdem sie Anfang Februar 2019 ihre Kandidatur in der Industriestadt Lawrence in ihrem Heimatstaat Massachusetts verkündet hat. Mitte Oktober begann ihr langsamer, aber steter Abstieg in den Umfragen. Während Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont, immer stärker wurde. Und schließlich, kurz vor der Vorwahl in New Hampshire, Joe Biden als Spitzenreiter in den Umfragen abgelöst hat. Ob sie jetzt Sanders unterstützt, lässt sie noch offen. Dazu will sie sich erst in den kommenden Tagen erklären.

Sanders und Warren haben ein sehr ähnliches, fast schon identisches Programm. Beide wollen eine Krankenversicherung für alle, eine Reichensteuer, Studienkredite streichen, Bildung weitgehend kostenlos anbieten, Korruption bekämpfen, das Militärbudget kürzen. Themen, für die Sanders Zeit seines Lebens kämpft. Warren aber ist erst spät in die Politik gekommen. Sie ist jetzt 70 Jahre alt. Ihr erstes politisches Amt trat sie mit 63 an. 2013 wurde sie erstmals zur Senatorin gewählt. Da war Sanders schon ein kampferprobtes Schlachtross.

Die politische und persönliche Nähe zur ihrem Freund Sanders war ihr größtes Problem. Nicht nur das, sie haben sich auf eine Art Nichtangriffspakt geeinigt. In den nunmehr zehn TV-Debatten standen sie oft wie ein Team nebeneinander. Ein Team, in dem Sanders den Ton angab. Er breitete die politischen Pläne aus. Sie erklärte die Details. Das hat ihr die Profilierung unmöglich gemacht.

Dabei war sie wohl die am besten vorbereitete Kandidatin im Feld. Sie hatte für "alles einen Plan", das war einer ihrer Wahlkampfschlager. Tatsächlich hat sie fast ihr komplettes Programm mit detaillierten Vorschlägen zur Umsetzung und Gegenfinanzierung unterlegt. Die Mühe hat sich sonst niemand gemacht.

Umverteilung und soziale Gerechtigkeit sind persönliche Themen für Warren. Sie stammt aus einer Familie, die gerade noch genug hatte, um sich als Mittelklasse bezeichnen zu können, wo aber ständig der Schuh drückte. Sie war zwölf, als ihr Vater einen Herzinfarkt bekam und die Arztrechnungen die Familien in den Bankrott trieben. Als Professorin spezialisierte sie sich später auf Insolvenzrecht. Viel haben ihr geraten, ihre Familiengeschichte deutlicher nach vorne zu stellen im Wahlkampf. Sie hat es nicht getan. Auch aus Sorge um ihre Familie.

Warren und Trump auf einer Bühne, das wäre ein Erlebnis gewesen.

Als es im Grund schon zu spät war, wagte sie seit Jahresbeginn ein paar vorsichtige Spitzen gegen Sanders. Er habe ihr mal gesagt, Frauen könnten nicht Präsident werden. Und er sei nicht kompromissfähig, was dazu führe, dass er von den schönen Plänen kaum etwas werde umsetzen können, sollte er Präsident werden. Er, der ideologisch verblendete Revoluzzer. Sie, die linke, aber pragmatische Macherin. Gezündet hat das nicht. Sanders blieb das Original.

Dass sie auch anders kann, hat sie in einer der jüngsten TV-Debatten der demokratischen Kandidaten gezeigt. Da hat sie praktisch im Alleingang den Multimilliardär und früheren Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, aus dem Rennen genommen. "Ich möchte darüber reden, gegen wen wir hier kämpfen", beginnt sie ganz am Anfang der Debatte. "Gegen einen Milliardär, der Frauen als fette Schlampen und pferdegesichtige Lesben bezeichnet." Nein, sie spreche nicht über Donald Trump. "Ich spreche über Bürgermeister Bloomberg." Im Grunde hätte Bloomberg danach schon einpacken können.

Die Szenen gingen in den sozialen Medien viral. Bloomberg hat sich davon nicht mehr erholen können. Am Super Tuesday, wo er erstmals in Vorwahlen antrat, bekam er keinen Fuß auf den Boden. Am Mittwoch beendete er seine Kandidatur. Bloomberg hat geschätzt wahnwitzige 600 Millionen Dollar in seine nur knapp viermonatige Kampagne gesteckt. Es brauchte eine Frau vom Format Elizabeth Warrens, um dies zur größten Fehlinvestition in der Geschichte US-amerikanischer Wahlkämpfe zu machen. Sie und Trump auf einer Bühne, das wäre ein Erlebnis gewesen.

Sie hat etwas bewegt in diesem Wahlkampf der Demokraten. Sie hat bewiesen, dass auch nach dem Debakel von Hillary Clinton 2016 eine Frau Massen hinter sich bringen kann. Ohne die Unterstützung großer Geldgeber, ohne die Unterstützung des Partei-Establishments. Sie hat wieder Hoffnung gemacht, dass eines Tages doch eine Frau im Oval Office sitzen könnte.

Noch bevor Warren am Donnerstag mit ihrer Entscheidung an die Öffentlichkeit ging, informierte sie ihre Mitarbeiter in einer großen Telefonschalte. Nach vielen aufmunternden Worten des Dankes hatte sie am Ende noch eine Geschichte zu erzählen. Nachdem sie am Super Tuesday in Massachusetts ihre Vorwahl-Stimme abgegeben habe, sei eine Frau auf sie zugekommen. Sie habe zwei kleine Kinder. Und ein besonderes Abendritual mit ihnen. Wenn also die Zähne geputzt sind, das Buch gelesen und beide noch einen Schluck Wasser getrunken haben, beugt sie sich über ihre Kleinen und flüstert ihnen zu: "Dream big". Und die beiden Kleinen antworten: "Fight hard".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4834006
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.