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USA, Trump und ein Fehler auf Twitter:Well, das ist schnell eskaliert

Lesezeit: 2 min

Ein versehentlich abgeschickter Tweet führt zum Vorwurf der Beleidigung von Millionen, zu Sklaven-Arbeit-Anschuldigungen und Boykottaufrufen gegen Walmart. Was ist passiert? Na ja: 2020. In den USA.

Von Sebastian Gierke

Es sind die USA. Es ist noch das Jahr 2020. Und weil das so ist, überrascht es auch kaum, dass ein versehentlich abgesendeter Tweet zum Vorwurf, Millionen beleidigt zu haben führt. Außerdem zu Sklaven-Arbeit-Anschuldigungen und Boykottaufrufen gegen das wertvollste Einzelhandelsunternehmen der Welt. Yeah, well, that escalated quickly.

Und damit ist der Vorfall auch ein kleines politisches Sittengemälde, an dem sich etwas über den Zustand der amerikanischen Demokratie einen Tag vor dem neuen Jahr ablesen lässt. Leider.

Was ist also passiert?

Begonnen hat es mit einer Nachricht des republikanischen Senators Josh Hawley auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Darin kündigt der Mann aus Missouri Widerstand bei der förmlichen Verlesung der Ergebnisse der Präsidentenwahl am 6. Januar im Kongress an. Der Demokrat Joe Biden hatte die Abstimmung gegen Trump gewonnen.

Dann antwortet das offizielle Twitter-Konto von Walmart auf Hawleys Botschaft. Ein bisschen rüde heißt es da: "Mach doch. Krieg deine zweistündige Debatte". Als Hashtag ist "#SchlechterVerlierer" angefügt. Diese Nachricht wird kurze Zeit später gelöscht. Und Walmart entschuldigt sich: "Der Tweet wurde fälschlicherweise von einem Mitglied unseres Social-Media-Teams gepostet, das diesen Kommentar in seinem persönlichen Konto veröffentlichen wollte".

Damit hätte es dann auch gut sein können. Aber: USA, 2020. Es geht also weiter.

Senator Hawley fängt nämlich jetzt an zu schäumen und attackiert Walmart. Ebenfalls auf Twitter.

Das Unternehmen habe "75 Millionen Amerikaner beleidigt". Er meint damit alle Trump-Wähler - von denen die allermeisten von dem versehentlich abgesehenen Tweet sicherlich noch nichts mitbekommen hatten. Und, weil USA und 2020, reicht ihm das nicht: Hawley beschuldigt den Konzern, Sklaven-Arbeit einzusetzen. Und außerdem würde er Niedriglöhne zahlen. Tatsächlich bezahlt Walmart wie andere große US-Einzelhändler deutlich mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Ob das genug ist, könnte man differenziert diskutieren.

Aber: USA, 2020. Deshalb:

Der Vorfall verbreitet sich in den sozialen Netzwerken rasend schnell. Vor allem Unterstützer des US-Präsidenten, die dessen haltlose Vorwürfe des Wahlbetrugs zu glauben scheinen, zeigen sich verärgert. Viele Nutzer beschimpfen Walmart und fordern unter dem Schlagwort "#boycottwalmart", Geschäfte des Unternehmens zu meiden. Tja.

Hawleys Aktion ist auch rechtlich fragwürdig

Was bleibt? Die Hoffnung auf 2021. Obwohl zu befürchten steht, dass Trump sich auch im nächsten Jahr weigern wird, seine Niederlage einzugestehen. Er behauptet ohne Beweise, er sei durch massiven Betrug um den Sieg gebracht worden. Mehr als 50 Klagen des Trump-Lagers wurden bislang von Gerichten abgeschmettert, auch vom Obersten US-Gericht, dem Supreme Court.

Trump wird allerdings nicht verhindern können, dass bei der Sitzung im US-Kongress am 6. Januar die Ergebnisse der Präsidentenwahl aus den einzelnen Bundesstaaten offiziell gezählt und verkündet werden. Erst dann ist amtlich, wer die Wahl gewonnen hat. Joe Biden nämlich. Mit mehreren Millionen Stimmen Vorsprung.

Unter Trumps Republikanern im Repräsentantenhaus gibt es trotzdem schon länger Pläne, bei der Verlesung Einspruch einzulegen. Um Beratungen beider Kammern über das Wahlergebnis zu erzwingen, muss es laut Gesetz Einsprüche von mindestens einem Abgeordneten und einem Senator geben. Mit Hawleys Beteiligung, die auch von Republikanern harsch kritisiert wird, wäre diese Voraussetzung erfüllt. Die Aktion, völlig ohne Wahlfälschungs-Beweise und wohl auch verfassungsrechtlich zumindest kritikwürdig, dürfte die Verlesung des Wahlergebnisses aber lediglich verzögern. Darauf hatte sich offenbar auch der versehentlich abgeschickte Tweet bezogen. Abgesendet am vorletzten Tag des Jahres 2020. In den Uneinigen Staaten von Amerika.

Mit Material von dpa.

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