Süddeutsche Zeitung

Wahlkampfauftakt:Schicksalsjahr der Volksparteien

Lesezeit: 3 min

Für Union und SPD geht es 2017 um mehr als die Frage, wer künftig das Land führt. Die Bundestagswahl könnte auch darüber entscheiden, welche Zukunft sie noch haben.

Von Christoph Hickmann, Berlin

2017 wird anders. Zwar wird auch dieses Wahljahr beginnen wie jedes Wahljahr: mit Klausurtagungen von Partei- und Fraktionsvorständen, bei denen über Strategien beraten oder, im Fall der SPD, endlich ein Kanzlerkandidat präsentiert werden soll. Und doch dürfte es 2017 um mehr gehen als sonst - um mehr noch als die Frage also, wer künftig das Land führen wird. Aufgerufen ist diesmal auch die Frage nach der Zukunft der Volksparteien.

Seit längerer Zeit haben sie an Bindekraft eingebüßt. Während die Union in die Mitte gerückt ist, hat die SPD unter anderem durch ihre Reformpolitik bis 2009 Teile ihrer Stammwählerschaft verloren und seither nicht zurückgewinnen können. Feste Wählermilieus haben sich aufgelöst oder an Bedeutung verloren. Zu alldem kommt der Druck der aktuellen politischen Herausforderungen. Er droht, SPD und Union zu zerreißen.

Besonders deutlich wird das bei den Sozialdemokraten. Deren Nimbus als Volkspartei steht bereits seit 2009 infrage, als sie bei der Bundestagswahl auf 23 Prozent abstürzten. Seither haben sie zwar wichtige Wahlen in Bundesländern und Großstädten gewinnen können, sind im Bund aber nicht wieder in die Nähe der 30-Prozent-Marke gekommen. Nach derzeitiger Umfragelage müssen sie 2017 womöglich sogar darum kämpfen, nicht unter 20 Prozent zu rutschen. Unabhängig davon, wer die SPD als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führen wird: Seine Aufgabe wird es zuallererst sein, ein weiteres Wahldebakel zu verhindern.

Die politische Lage zum Ende des Jahres macht es nicht einfacher. Das dominierende Thema ist nach wie vor die Flüchtlings- und Sicherheitspolitik, noch einmal stark befeuert durch die jüngsten von Flüchtlingen begangenen Gewalttaten. Hier ist es für die Sozialdemokraten besonders schwierig zu punkten. Während Teile ihrer verbliebenen Anhängerschaft eher von Sorge um die eigene Zukunft umgetrieben werden und in den Flüchtlingen auch eine soziale Konkurrenz sehen, dominiert unter ihren Funktionären noch immer Zustimmung zu jenem Kurs der Offenheit, wie ihn Kanzlerin Angela Merkel lange Zeit gegen heftigen Widerstand aus der Union vertreten hat. Dementsprechend hat die SPD bislang auch nicht versucht, sich in der Grundausrichtung entscheidend von Merkel abzusetzen - von einzelnen Versuchen ihres Vorsitzenden Sigmar Gabriel abgesehen. Und weder vom monatelangen Streit in der Union noch von Merkels gesunkenen Beliebtheitswerten konnte die SPD bislang profitieren. Sie verharrt im Tief. Und auch sie verliert Wähler an die AfD.

Trotzdem wird die SPD zu Beginn des Wahljahres aller Voraussicht nach einen Sieg einfahren können: Im Februar soll die Bundesversammlung den Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten wählen, obwohl die Union in dem Gremium deutlich stärker vertreten ist. Für Merkel, die keinen überzeugenden eigenen Kandidaten präsentieren konnte, dürfte das Wahljahr also mit einer Niederlage beginnen, die es ihr noch schwerer als ohnehin machen könnte, ihre eigene Partei zusammenzuhalten.

Wohl nie in ihrer Geschichte stand die Union über einen derart langen Zeitraum so gespalten da wie derzeit. Seit Merkel vor einigen Wochen ihre Kandidatur für eine weitere Amtszeit erklärt hat, sind die Risse zum Teil sogar noch offener zutage getreten als zuvor. Die CDU verabschiedete sich bei ihrem Parteitag gegen Merkels Willen von der Regelung zur doppelten Staatsbürgerschaft - und CSU-Chef Horst Seehofer beharrt auf seiner Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge.

Obwohl Merkel ihre Politik der Offenheit nach und nach korrigiert hat, stellt sich daher die Frage, ob sie als Kandidatin noch zu einer Partei passt, in der erhebliche Kräfte darauf setzen, sich wieder konservativer zu positionieren. Für die Union dürfte es 2017 darum gehen, ob sie angesichts der Konkurrenz von rechts das konservative Spektrum endgültig preisgibt und damit einen Teil ihrer Identität verliert - oder es teilweise zurückerobert.

Bevor im September der Bundestag gewählt wird, stehen drei Stimmungstests an: Im März wird im Saarland ein neuer Landtag gewählt, im Mai sind Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen dran. Sollte die SPD dort, im bevölkerungsreichsten Bundesland, auch nach der Wahl die Ministerpräsidentin stellen, könnte ihr dies Auftrieb geben. Verliert sie, dürfte eine heftige innerparteiliche Debatte den Wahlkampf überlagern.

Im Bund wollen weder Union noch SPD nach der Wahl die große Koalition fortsetzen. Möglich ist allerdings, dass ihnen das Wahlergebnis kaum eine andere Möglichkeit lässt. Zu einem Wiedererstarken der SPD dürfte das ebenso wenig beitragen wie zu einer inhaltlichen Neujustierung der Union. Wahrscheinlich wäre stattdessen eine weitere Schwächung der aktuellen - oder ehemaligen - Volksparteien.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2016
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