Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf:Die Teflon-Kanzlerin

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Wie kaum ein Politiker vor ihr lebt Angela Merkel von der Kraft der Zurückhaltung. Im Wahlkampf bleibt die Kanzlerin stets souverän - und lässt ihre Gegner damit alt aussehen. Und doch gibt es einen Makel: Sie setzt zu sehr auf ein Bündnis mit der FDP.

Stefan Braun

Wer denkt, dass der Bundestagswahlkampf keine Überraschungen mehr bereithält, der durfte an diesem Wochenende erstaunt sein: Es war ein Wochenende ohne Franz Müntefering. Der SPD-Vorsitzende kämpft natürlich weiter um Wähler. Aber es gab diesmal keine vernehmbare Attacke, in der Müntefering getan hätte, was er vorher so gerne gemacht hat: Angela Merkel angreifen. Kein "Sie kann schon mal die Kisten packen", kein "Sie kümmert sich nicht um die Arbeitslosen", kein "Sie denkt nur an ihre Karriere". Um es klar zu sagen: Münteferings Pause ist keine Schwäche. Es ist für die SPD ein echter Fortschritt.

Nun weiß man nicht, ob sich da schon ein dauerhafter Wechsel der Strategie andeutet. Es ist nicht auszuschließen, dass der Mann nur Luft holt, bevor er erneut zulangt.

Dann aber würde der SPD-Vorsitzende einen Fehler fortsetzen, der Merkel wie keine andere Sache hilft, in diesem Wahlkampf siegreich zu bleiben. Je persönlicher die SPD wird, desto länger werden Merkels Umzugskartons im Keller des Kanzleramts verstauben.

Am Anfang war es erstaunlich, inzwischen ist es dramatisch, wie hilflos die SPD-Spitze gegen diese Wand rennt. Als Müntefering an die Parteispitze zurückkehrte, verunsicherte das viele in der CDU-Führung.

Derzeit dagegen herrscht dort beste Laune. Die Union hat es für unmöglich gehalten, dass der SPD-Chef ihr einen solchen Gefallen tun könnte. Das Publikum, das zeigt sich nicht erst seit diesem Sommer, mag keinen Parteienstreit mehr. Und es mag noch viel weniger, dass eine beleidigte SPD eine beliebte Kanzlerin angreift.

All das wird für die Sozialdemokraten noch viel peinlicher, weil sie sich den stürmischen Marsch in diese Sackgasse hätten sparen können. Wie kaum ein Politiker vor ihr lebt die CDU-Vorsitzende von der Kraft der Zurückhaltung. Sie hat es gelernt und verinnerlicht, auf Angriffe nicht so zu reagieren, wie es sich ihre Gegner wünschen. Statt dagegenzuhalten, statt sich in einen Rechtfertigungsdruck zu begeben, bleibt sie dem Spielfeld einfach fern - und sorgt so dafür, dass ihre Gegner sehr blöd aussehen.

Um zu verstehen, wie Merkel ihre Macht erobern konnte, sollte man die japanische Kampfsportart Aikido studieren. Sie besteht aus einer zentralen Kunst: sich dem Gegner nicht entgegenzustellen, sondern ihn ins Leere laufen zu lassen und seine Energie so umzulenken, dass diese Energie den Angreifer selbst trifft. Edmund Stoiber, Friedrich Merz und Gerhard Schröder können davon ein Lied singen.

Sie alle haben Merkel auf ihre Art angegriffen, ohne sie provozieren zu können. Sie alle mussten lernen, wie sich ihre Attacken gegen sie selber richteten. Es sieht eben peinlich aus, wenn einer raufen will und die andere partout drüber lächelt.

Dabei lässt sich verstehen, warum die SPD derzeit mit Wut statt mit Kopf gegen diese Kanzlerin anrennt. Angela Merkel ist es gelungen, sich bislang bei jedem Thema unangreifbar zu machen. Ob Wirtschaftskrise, Umweltpolitik, Bildung - stets sagt sie dazu ein bisschen was, bleibt ansonsten im Ungefähren und suggeriert den Menschen, dass die Ideen der anderen nichts wirklich Neues hergeben.

Dieser Teflon-Kanzlerin ist es gelungen, alle Versuche der SPD, sie in der Sache zu stellen, an sich abgleiten zu lassen. Wo Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hinkommt, ist Merkel scheinbar schon gewesen. Deutschland-Plan, Bildungsinitiative, Arbeitsplätze - mit nichts kann er sich ihr derzeit in den Weg stellen. Selbst bei seinem Versuch vom Wochenende, erstmals einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan anzudeuten, ist er nicht lange allein geblieben. Auch Merkel möchte natürlich einen Abzug - wenn die Zeit gekommen ist.

Gewonnen hat die CDU-Vorsitzende trotzdem noch nicht. Denn die Kanzlerin hat sich im Wahlkampf für eine Doppelstrategie entschieden, die zu einem scharfen Widerspruch führt. Einerseits will sie sehr flexibel und für alle attraktiv sein. Sie bietet vielen etwas an und kämpft darum, Wähler aus anderen Parteien zu gewinnen. Auf der anderen Seite aber bindet sie sich an ein schwarz-gelbes Wunschbündnis, das den Blick zurück in die Kohl-Ära lenkt, statt Aufbruch zu signalisieren. Und zu diesem Zweck verspricht sie auch noch unrealistische Steuersenkungen - ein Schritt, den sie sich 2005 zum Schutz ihrer Glaubwürdigkeit noch verboten hätte.

Der Grund dafür ist einfach. Merkel kämpft in diesem Wahlkampf nicht nur gegen die SPD. Sie muss eine eigene, eine schwarz-gelbe Mehrheit erreichen. Das ist es, was die meisten in der CDU bis heute von ihr erwarten; allein die Aussicht darauf hat sie die Jahre der großen Koalition ertragen lassen. Sollte es am 27. September nicht zu einem Bündnis mit der FDP reichen, wird sie deshalb massiv unter Druck geraten. Zweimal an diesem Ziel zu scheitern, wäre ein Makel, den sie nicht mehr los würde, zumal dann, wenn die Union nicht über die derzeit 36 Prozent hinauskommt.

Merkel hätte in vier Jahren als Kanzlerin so gut wie nichts hinzugewonnen. Es wäre das Ende dessen, was Union und FDP jahrzehntelang als "bürgerliches" Lager für sich reklamierten. So was geht nicht ohne Eruptionen zu Ende, da mag es für Merkel derzeit noch so gut aussehen.

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SZ vom 24.08.2009
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