Süddeutsche Zeitung

Vierte Amtszeit:Woran sich Putins Schwäche zeigt

Lesezeit: 4 min

Für den Präsidenten ist die Konfrontation mit dem Westen ein wichtiger Hebel, um die Russen hinter sich zu versammeln. Aber die Krisen, in die Russland verwickelt ist, lassen sich nur mit den USA und Europa lösen.

Von Julian Hans, Moskau

Eine Serie lauter Donnerschläge ließ am Sonntagmorgen die Fensterscheiben in der Moskauer Innenstadt wackeln. Über den roten Mauern am Ufer der Moskwa stieg Pulverdampf auf. Die Generalprobe war erfolgreich, die Kanonen sind geputzt, der Kreml ist bereit für eine neue Amtszeit von Wladimir Putin. Wenn an diesem Montag die Kanonen wieder donnern, hat sie offiziell begonnen.

Vorher legt Putin im golden glänzenden Andreassaal den Eid auf die Verfassung ab. Hier wurden die Zaren Alexander II., Alexander III., und Nikolaus II. gekrönt. Nach dem Ende der Sowjetunion ließ Boris Jelzin den Großen Kremlpalast aufwendig restaurieren. Aber der Erste, der in dieser imperialen Kulisse die Insignien der Macht übertragen bekam, war Wladimir Putin, das war vor 18 Jahren. Sechs weitere hat er nun vor sich. Länger regierte hier zuvor nur Josef Stalin.

Dass Putin diesmal darauf verzichtet, sich in einer schwarzen Limousine mit Eskorte zu seiner Inaugurationsfeier kutschieren lassen, ist ein Detail, das gleich auf zwei Probleme hinweist: Zum einen weckten die Bilder des Präsidenten, der alleine im gepanzerten Wagen durch abgesperrte Straßen einer menschenleeren Hauptstadt fährt, nicht gerade das Gefühl von Volksnähe. Darum soll es diesmal nach der Feier auch ein Treffen mit jungen Ehrenamtlichen geben. Zum anderen ist die neue Limousine wohl noch nicht einsatzbereit. 2012 hatte Putin angekündigt, von seinem Mercedes Pullman auf ein Fahrzeug aus russischer Produktion umsteigen zu wollen. Umgerechnet mehr als 150 Millionen Euro sind russischen Medien zufolge aus dem Haushalt in die Entwicklung geflossen. Sechs Jahre später hat der Prototyp gerade den ersten Crashtest bestanden. Und der Motor kommt von Porsche.

Russland kann sich das schlechte Verhältnis zu Europa überhaupt nicht leisten

Das Problem der technologischen Rückständigkeit Russlands wird nicht kleiner, sondern größer. Für die Abhängigkeit von Öl und Gas gilt dasselbe. Nach zwei Jahren Rezession infolge niedriger Energiepreise schaffte Russland 2017 ein Miniwachstum und selbst die Prognosen der Regierung sehen langfristig kein Ende der Stagnation.

Die vielen Herausforderungen, vor denen Putin am Beginn seiner sechsten Amtszeit steht, haben ein Oberthema: Es ist die Herausforderung, etwas zu Ende zu bringen. Die Schwäche des vom Time Magazine als mächtigster Mann der Welt Gepriesenen zeigte sich in den vergangenen Jahren darin, dass er, sobald es irgendwo nicht voran ging, sogleich ein Problem schuf. So folgte auf die Krim der Donbass, auf den Donbass Syrien und auf Syrien die Einmischung in den US-Wahlkampf. Eine Spirale in die Isolation, die mit dem vergifteten Doppelspion Skripal zuletzt noch einmal eine Runde weitergedreht wurde.

Für keines dieser Felder kann es eine Lösung ohne Zusammenarbeit mit den USA und Europa geben. Die Konfrontation mit dem Westen war zuletzt aber der wichtigste Hebel, um das eigene Volk bei sinkendem Lebensstandard hinter seinem Führer zu einen. Eine Zwickmühle, in die Putin sich selbst gebracht hat. Das größte Projekt, das Putin in dieser Amtszeit zu Ende bringen müsste, ist aber sein eigenes Vermächtnis. Die Verfassung erlaubt nur zwei Amtszeiten hintereinander. Einmal hat er dieses Gebot schon umschifft, indem er vorübergehend Dmitrij Medwedjew das Ruder halten ließ.

Von diesem Montag an steht die Frage im Raum, wie es nach 2024 weitergehen soll. Längst gibt es Stimmen, die Putins Herrschaft ins Unendliche ausdehnen wollen. In einer Mischung aus Euphorie über das Wahlergebnis und Wut über westliche Kritik schrieb die Chefin des Propaganda-Senders RT, Margarita Simonjan, trotzig auf Twitter: "Früher war er nur unser Präsident, und er konnte abgelöst werden. Ab jetzt ist er unser Führer!"

Dass mit dieser Entwicklung nicht alle in Russland einverstanden sind, wollten die Demonstranten zeigen, die am Samstag in fast hundert Städten im ganzen Land auf die Straßen gingen. Der Kreml-Gegner Alexej Nawalny hatte zu der Aktion unter der Losung "Er ist nicht unser Zar" aufgerufen. Zehntausende kamen, obwohl die Behörden die Demonstrationen nicht genehmigt hatten und Nawalny-Unterstützer schon in den Tagen vorher unter unterschiedlichen Vorwänden festgenommen worden waren, offenbar um die Organisation der Proteste zu behindern.

Die Bürgerorganisation OVD-Info zählte am Samstag mehr als 1600 Festnahmen, darunter viele Minderjährige. Allein in Moskau kamen demnach mehr als 700 Menschen vorübergehend in Gewahrsam. Nawalny selbst schaffte es immerhin, etwa zwei Minuten vor Demonstranten auf dem Puschkin-Platz zu sprechen, bevor er von Polizisten weggetragen wurde. In der Nacht kam er wieder frei.

Alexander Puschkin war an diesem Wochenende ein umkämpfter Mann. Als Demonstranten sich am Samstagmittag zu Füßen des russischen Nationaldichters versammelt wollten, war der Sockel der Bronze-Statue im Zentrum Moskaus schon besetzt. Die Nationale Befreiungsbewegung (NOD) hatte einige Dutzend ihrer Anhänger aufgestellt, die "Putin, Putin" und "Russland, Russland" skandierten. Die von einem Abgeordneten der Kreml-Partei Einiges Russland gegründete Organisation hat sich auf das Stören von Veranstaltungen spezialisiert, die nicht auf der Linie des Kreml liegen. Am Samstag hatten sie Verstärkung mitgebracht: kräftige Männer in Kosaken-Kostümen, einige mit Schlaghandschuhen an den Fäusten. Sie griffen Demonstranten an, rissen ihnen Plakate aus den Händen, ein Fotograf bekam einen Fausthieb ins Gesicht. Die Rangeleien lieferten dann den passenden Vorwand für ein hartes Durchgreifen der Sonderpolizei, die in auffälliger Harmonie mit den Kosaken-Schlägern vorging.

Die Tumulte wecken ungute Erinnerungen an Putins letzte Amtseinführung. Nach dem Protestwinter 2011/2012, als Hunderttausende gegen den Ämtertausch von Präsident und Premier und gegen Wahlfälschungen demonstrierten, kam es am Vorabend der Inauguration am Moskauer Bolotnaja-Platz zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. Die darauf folgenden "Bolotnaja-Prozesse" markierten die Wende zu einem repressiveren Umgang mit der Zivilgesellschaft, bei denen Dutzende Beteiligte für Jahre ins Lager kamen oder in die Emigration flohen.

Das könnte sich wiederholen. Von den wahren Problemen des Landes wird damit allerdings keines gelöst.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3969218
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.05.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.