Süddeutsche Zeitung

Verfahren gegen Karadzic:Prozessauftakt ohne Angeklagten

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Heute sollte in Den Haag der Prozess gegen den mutmaßlichen Massenmörder Radovan Karadzic beginnen. Doch dessen Stuhl blieb leer - die Verhandlung wurde vertagt.

Mit komplizierten Fällen hat O-Gon Kwon reichlich Erfahrung. Seit fast zehn Jahren gehört die Aufarbeitung der Balkankriege zu seinem täglichen Brot. Dabei lässt sich der Südkoreaner nie aus der Fassung bringen, auch dann nicht, wenn geltungssüchtige Angeklagte das Verfahren zu torpedieren versuchen.

Von diesem Montag an wird O-Gon aber mit jemandem zu tun haben, der seine Geduld schon im Vorverfahren strapaziert hat. Der mutmaßliche Massenmörder Radovan Karadzic hat das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien mit der Nazi-Justiz verglichen. In einem polemischen Schreiben meinte er letzte Woche, das Verfahren gegen ihn sei längst nicht so fair wie 1933 der Prozess um den Reichstagsbrand.

Im Video: Der Kriegsverbrecherprozess gegen den ehemaligen bosnischen Serbenführer begann in Abwesenheit des Angeklagten. Weitere Videos finden Sie hier

O-Gon Kwon wird sich vermutlich über diese Beleidigung souverän hinwegsetzen. Als er zum vorsitzenden Richter im Karadzic-Prozess ernannt wurde, sagte O-Gon, es sei ihm bewusst, dass die Weltöffentlichkeit diesen Prozess aufmerksam verfolgen wird. Denn mit Karadzic steht der höchste Vertreter der bosnisch-serbischen Kriegsführung vor dem Gericht in Den Haag.

Für O-Gon Kwon stellt der Prozess den Höhepunkt seines beruflichen Lebens dar. Dass das Gericht ihn auserkoren hat, ist kein Zufall. Der Jurist gehörte schon dem dreiköpfigen Richtergremium im Prozess gegen Slobodan Milosevic an, der in seiner Zelle starb, bevor das Urteil fiel. Milosevic hatte mit Tricks und Tiraden seinen Prozess verzögert. Karadzic soll diese Möglichkeit nicht bekommen. Schon vor Prozessbeginn haben die Richter die Anklagebehörde aufgefordert, weniger Zeugen vorzuladen, damit das Verfahren effizient vorangetrieben werden kann. Die Anklagebehörde möchte, dass mehr als 500 Zeugen gegen Karadzic aussagen. Mit einem Urteilsspruch rechnet O-Gon nicht vor 2012.

Unter Polizeischutz

Während des Prozesses gegen Milosevic wurde der Richter zwei Monate unter Polizeischutz gestellt, weil er bedroht wurde. Davon zeigte er sich unbeeindruckt. Nun ist O-Gon Kwon der erste Richter aus Asien, der das Verfahren gegen einen der wichtigsten Angeklagten des UN-Tribunals leiten wird. Diese Aufgabe und die Ernennung zum Vizepräsidenten des Tribunals vor einem Jahr sieht er als Anerkennung für die Justiz seines Landes. Der 56-jährige O-Gon blickt auf eine glänzende juristische Karriere zurück, die er 1979 beim Bezirksgericht in Seoul begann. Später diente er als Strafrichter, Planungsdirektor im Justizministerium und Mitglied des Obersten Gerichtshofes von Südkorea.

Vor seiner Berufung zum Richter des UN-Tribunals in Den Haag im Jahr 2001 war O-Gon Richter am Landgericht in Daegu, der viertgrößten Stadt Südkoreas. Der Mann, der im Fall Karadzic das Urteil sprechen soll, hat in Seoul und in Harvard Recht studiert und gilt als Experte für die Justizverwaltung. Für seine Verdienste um die Gerechtigkeit erhielt er im vergangenen Jahr vom südkoreanischen Präsidenten Lee Myung Bak die zweithöchste Auszeichnung des Landes. O-Gon Kwon werden im Prozess gegen Karadzic noch zwei erfahrene Richter zur Seite stehen: Howard Morrison aus Großbritannien und Melville Baird aus Trinidad und Tobago.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2009
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