Süddeutsche Zeitung

Vereinte Nationen:830 Millionen hungern

Lesezeit: 2 min

Eine Zeitlang sah es so aus, als sei das Problem rückläufig: Doch in den letzten Jahren breitet sich Unterernährung auf der Welt wieder aus. Damit rückt das UN-Ziel, die Welt bis 2030 vom Hunger befreit zu haben, in weite Ferne.

Von Andrea Bachstein, München

Der Befund ist so eindeutig wie bestürzend: Zwei Milliarden Menschen von den insgesamt 7,6 Milliarden, die auf der Welt leben, leiden Hunger, sind unterernährt oder müssen ohne gesicherten Zugang zu regelmäßigem und nahrhaftem Essen auskommen. Damit bestätigt sich ein Trend der vergangenen drei Jahre. Nachdem Hunger ein Jahrzehnt lang ein schwindendes Menschheitsproblem zu sein schien, breitet sich seit 2015 diese Geißel wieder aus. In jenem Jahr galten 785 Millionen Menschen als ernsthaft an Hunger Leidende, 2018 waren es 830 Millionen. Auch die Grade von Unterernährung kennzeichnen wieder das Leben von mehr Menschen, elf Prozent der Weltbevölkerung waren es vergangenes Jahr.

All das geht hervor aus dem Bericht der Nahrungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), den sie am Montag zusammen mit anderen UN-Organisationen vorgelegt hat. FAO-Generaldirektor José Graziano da Silva nannte den Trend beunruhigend.

Gleichzeitig mit Mangelernährung breitet sich Übergewichtigkeit aus

Das große Ziel der UN, bis zum Jahr 2030 die Welt vom Hunger befreit zu haben, rückt demnach eher ferner als näher. Und damit verbunden ist eine weitere Feststellung: Hält die Tendenz an, wird auch das UN-Ziel nicht erreicht, bis 2025 den Anteil untergewichtiger Neugeborener um ein Drittel zu verringern. Genauso wenig wird es gelingen, bis 2030 die Zahl unterernährter Kinder zu halbieren. Von 149 Millionen geht die Weltorganisation aus, allerdings ist hier ein Teilerfolg zu vermelden - in den vergangenen sechs Jahren gelang es zu erreichen, dass von den unter Fünfjährigen zehn Prozent weniger hungern oder unterernährt sind.

Aber 20,5 Millionen Babys kamen mit Untergewicht zur Welt, jedes siebte Neugeborene, das hält der Bericht zum "Stand Nahrungssicherheit und der Ernährung in der Welt" fest. Die Unterernährung von Müttern und Kindern ist ein Killer: Sie ist verantwortlich für 45 Prozent der Todesfälle von Kindern unter fünf Jahren. Am stärksten breiten sich Hunger und Mangelernährung in Afrika aus, besonders im Westen und in der Mitte des Kontinents, fast 20 Prozent der Menschen auf dem Erdteil sind betroffen. Aber auch in Lateinamerika und der Karibik wird die fehlende Ernährungssicherheit wieder zum wachsenden Problem, wenn auch in deutlich geringerem Maß als in Afrika.

Auch in Asien wird die Ernährung wieder zunehmend problematisch, auch wenn besonders im Süden Erfolge im Kampf gegen Hunger und Unterernährung erzielt wurden. Besonders im Nahen Osten aber verschlechtert sich seit 2010 die Lage, mehr als zwölf Prozent der Menschen dort gelten heute als unterernährt. Aber auch in Europa und Nordamerika ist es dem Bericht zufolge nicht für alle normal, immer genug nahrhaftes Essen zu haben: acht Prozent der Bevölkerung beider Erdteile leben in Situationen, in denen ihre Ernährung nicht gesichert ist.

Aber nicht nur zu wenig, auch zu viel oder falsche Nahrung beschäftigen die FAO und die Weltgesundheitsorganisation WHO. Überall schleppen immer mehr Menschen Übergewicht bis zu krankhaftem Ausmaß mit sich herum und sind, wie chronisch Unterernährte, schweren Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Die meisten Übergewichtigen sind Schulkinder und Erwachsene, aber es wiesen 2018 auch nicht weniger als geschätzte 40 Millionen Kinder unter fünf Jahren Übergewicht auf. Man geht von 131 Millionen übergewichtigen Fünf- bis Neunjährigen weltweit aus, 44 Prozent von ihnen waren sogar krankhaft übergewichtig. 207 Millionen Heranwachsende waren zu dick.

Hunger, Mangelernährung, Nahrungsunsicherheit haben direkt mit der Wirtschaftslage, mit Konflikten und mit sozialer Ungleichheit zu tun, stellen die UN-Fachleute fest. Wo durch Arbeitslosigkeit, weniger Einkommen, Währungseinbrüche und andere Einschränkungen Haushalte über weniger Geld für Essen verfügen, fehlen auch die Mittel für strukturelle Maßnahmen zur Ernährungssicherung. Die gerät in Ländern am schnellsten in Gefahr, die von Ein- und Ausfuhr von Rohstoffen abhängen. Und weiter gilt - es sind auf der Welt mehr Frauen betroffen von Hunger und Unterernährung als Männer.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4525642
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.