Süddeutsche Zeitung

Vereinigte Staaten:Chaostage im Weißen Haus

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Von Reymer Klüver

Der Rücktritt eines hochgeschätzten Ministers aus Protest gegen seine Politik, eine Haushaltskrise mit drohendem Stillstand aller Regierungsgeschäfte, Achterbahn fahrende Kurse an den Börsen: Kurz vor Ende eines ohnehin turbulenten Jahres hat US-Präsident Donald Trump die Vereinigten Staaten in die schwerste innen- und sicherheitspolitische Krise seiner bisherigen Amtszeit manövriert.

Schockwellen rund um den Globus löste der überraschende Rücktritt von Verteidigungsminister James Mattis aus. Er hatte nach einer Unterredung mit Trump am Donnerstag im Weißen Haus unerwartet seinen Abschied aus dem Pentagon für Ende Februar angekündigt. Der ehemalige Marines-General gab sich in seinem Rücktrittsschreiben gar nicht erst die Mühe, das Zerwürfnis mit seinem Chef zu kaschieren. Anlass ist der von Trump Mitte der Woche ohne jegliche Abstimmung angeordnete Abzug der bisher 2000 in Syrien stationierten US-Soldaten.

Eine seiner Grundüberzeugungen, die er in mehr als 40 Jahren im Dienste der Vereinigten Staaten erworben habe, sei es, dass Amerikas Stärke "untrennbar" verbunden sei mit "unserem einzigartigen System" von Bündnissen und partnerschaftlichen Beziehungen in aller Welt. So schrieb Mattis in seinem Rücktrittsschreiben, das er in 50 Exemplaren im Pentagon verbreiten ließ - um sein Vorgehen zu erklären und um sicherzugehen, dass die Beweggründe seines Abschieds rasch Verbreitung fänden. Die USA könnten ihre Position als Führungsmacht nicht aufrechterhalten ohne Allianzen und Respekt vor den Verbündeten - eine klare Anspielung auf Trumps Alleingang in Syrien. Zudem müsse man "klarsichtig" bleiben, wer den USA übel wolle oder ein geostrategischer Konkurrent sei. Auch das ein kaum versteckter Tadel am Präsidenten, der immer wieder größtes Verständnis für die autoritären Herrscher Russlands, Chinas oder Nordkoreas gezeigt hatte.

Mattis dürfte sich in seinem Entschluss zu gehen noch bestärkt gefühlt haben, als kurz nach seiner Rücktrittserklärung bekannt wurde, dass Trump auch die Hälfte der 14 000 noch in Afghanistan verbliebenen US-Soldaten abziehen will. Mattis hatte Trump zu Beginn von dessen Amtszeit gedrängt, die US-Präsenz zu verstärken.

Sicherheitspolitiker beider Parteien in Washington reagierten geschockt auf den Rücktritt. Sie sahen, wie der demokratische Senator Mark Warner es formulierte, in Mattis "eine Insel der Stabilität inmitten des Chaos der Trump-Regierung". In ungewohnter Deutlichkeit ließ auch der Chef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, Distanz zum Polterer im Weißen Haus erkennen. Er sei "bekümmert" über Mattis' Entschluss. Der Rücktritt ist nach einer Zählung der US-Nachrichtenagentur AP bereits der 35. Abgang eines Ministers oder Mitglieds von Trumps Regierungsmannschaft in nicht einmal zwei Jahren.

Amerikas Bündnispartner schwankten zwischen Ratlosigkeit und Befremden. Bei der Nato wollte sich offiziell niemand zu den Vorgängen in Washington äußern. Eine Sprecherin betonte lediglich, dass alle Bündnispartner noch vor zwei Wochen ein "unerschütterliches Bekenntnis" zum Engagement in Afghanistan abgelegt hätte. Eine Regierungssprecherin in Berlin sagte, die Bundesregierung habe den angekündigten Truppenabzug in Syrien "zur Kenntnis genommen" - Diplomatensprech für größtes Missfallen.

In Moskau dagegen lösten die Washingtoner Turbulenzen kaum verhohlene Häme aus. Regierungssprecher Dmitri Peskow erklärte zum Rücktritt des amerikanischen Verteidigungsministers, es sei eine "undankbare Aufgabe", darüber nachzudenken, wer Trump noch mäßigen könne. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der oberen Kammer des russischen Parlaments, Konstantin Kossatschow, nannte den Rücktritt ein "eher positives Signal".

Die sicherheitspolitischen Verwerfungen wurden unterdessen in Washington durch einen weiteren Zwist fast in den Schatten gestellt. Präsident Trump hatte am Donnerstag überraschend einen vom Kongress bereits ausgehandelten Kompromiss in einem lange schwelenden Haushaltsstreit verworfen. Er sah eine Finanzierung der US-Regierung bis Februar vor - allerdings ohne die von Trump geforderten fünf Milliarden Dollar für Grenzbefestigungen zu Mexiko. Kommt bis Samstagmorgen deutscher Zeit kein Kompromiss zustande, müssen neun von 15 Ministerien und nachgeordnete Behörden schließen - die Regierung wäre weitgehend gelähmt. Am Freitagabend schien eine Lösung in weiter Ferne: Es sei sehr wahrscheinlich, dass es zum Stillstand der Regierungsgeschäfte kommen werde, sagte Trump in Washington. Er machte die Demokraten dafür verantwortlich und stimmte auf längere Turbulenzen ein: "Wir sind absolut vorbereitet auf einen sehr langen ,Shutdown'."

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SZ vom 22.12.2018
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