Süddeutsche Zeitung

Venezuela:Selbstgebastelte Masken

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Warum Corona das südamerikanische Land besonders hart trifft.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Ein bisschen Kreativität in Zeiten der Krise, das fordert Nicolás Maduro gerade von den Venezolanern. Am Freitag gab die Regierung des lateinamerikanischen Landes offiziell die ersten beiden Corona-Fälle bekannt, einen Tag später waren schon acht neue Infektionen hinzugekommen. Flugverbindungen mit dem Rest der Welt sind mittlerweile weitestgehend eingestellt, Schulen ab Montag geschlossen, und in der Metro der Hauptstadt Caracas sind Atemschutzmasken obligatorisch. Acht Millionen Stück will die Regierung davon im Land verteilten lassen, viel zu wenige für die rund 32 Millionen Venezolaner, doch wer leer ausgehe, solle sich einfach selber einen Mundschutz basteln.

"Anleitungen dazu gibt es im Netz", erklärte Maduro am Samstag im Fernsehen. Hygiene- und Gesundheitsartikel sind angesichts der Corona-Pandemie auch in vielen anderen Ländern weltweit knapp. In Venezuela aber ist die Lage besonders dramatisch. In dem sozialischen Karibikstaat fehlt es an fast allem. Zwar hat das Land die größten Erdölreserven der Welt, eine seit Jahren andauernde wirtschaftliche und politische Krise hat aber dazu geführt, dass weite Teile der Bevölkerung heute verarmt sind. Millionen Venezolaner sind unterernährt, dazu ist das Gesundheitssystem weitestgehend kollabiert. Unter den knapp fünf Millionen Venezolanern, die im Zuge der jüngsten Krise ihr Land verlassen haben, sind auch viele Ärzte, Krankenschwester und Pfleger. Das medizinische Personal, das im Land geblieben ist, kämpft derweil mit chronischem Mangel: Oft gibt es weder Antibiotika, noch Röntgenmaschinen oder anderes medizinisches Gerät. Manchmal fehle auch Chlor zum Putzen, sagen Menschenrechtsbeobachter, genauso wie Seife, Desinfektionsmittel oder Einweghandschuhe.

Seit Beginn der Krise in Venezuela 2013 ist die Kindersterblichkeit dramatisch gestiegen. Krankheiten, die man so gut wie ausgerottet hatte, sind wieder zurückgekehrt. So war Venezuela seit den 60er-Jahren frei von Malaria, 2019 aber wurden mehr als 300 000 Fälle registriert, sagt die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Masern und Diphtherie breiten sich aus.

Die ersten Infizierungen mit dem Coronavirus in Venezuela haben auch die Nachbarländer in Alarmbereitschaft versetzt. Das Virus ist mittlerweile bis auf einige wenige Ausnahmen in allen lateinamerikanischen Staaten aufgetreten. Noch sind die Fallzahlen vergleichsweise gering, viele Regierungen in der Region haben dennoch zu teils drastische Maßnahmen ergriffen. Flüge wurden auf ein Minimum heruntergefahren, der Unterricht ist eingestellt, und Großveranstaltungen sind bis auf weiteres abgesagt. Kolumbien hat dazu die Grenze zu Venezuela geschlossen, aus Angst, dass Flüchtlinge eine Ausbreitung der Krankheit beschleunigen könnten.

Am Samstag rief die Regierung Venezuelas die Menschen dazu auf, zu Hause zu bleiben. "Helfen Sie uns, Ihnen zu helfen", sagte Informationsminister Jorge Rodríguez. Auf ihre Politiker scheinen viele Venezolaner aber nicht mehr vertrauen zu wollen, sie helfen sich lieber selbst. So gibt es im Internet nicht nur Anleitungen für den Bau von Atemmasken, sondern auch für die Herstellung von Handdesinfektionsmittel. Dies hat vermutlich weniger mit der von Machthaber Nicolás Maduro geforderten Kreativität zu tun, als viel mehr mit blanker Not. Schließlich können sich viele Venezolaner nicht einmal die Hände waschen. Aus ihren Leitungen kommt kein Wasser mehr.

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Quelle:
SZ vom 16.03.2020
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