Süddeutsche Zeitung

Vatikan:Papst Franziskus in der Bredouille

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Von Matthias Drobinski, München

Die Sensation kommt in dürren Zeilen daher: Kardinal George Pell sei mit jahrzehntealten Vorwürfen aus Australien konfrontiert, heißt es im Bulletin des päpstlichen Pressesaals in Rom, und "in vollem Respekt vor den staatlichen Gesetzen" habe der Kardinal entschieden, sich in seiner Heimat den Anschuldigungen zu stellen und bei der Wahrheitssuche zu helfen. Papst Franziskus habe Pell deshalb die "Erlaubnis für eine Auszeit" gegeben. Der Vorwurf, mit dem sich Kardinal Pell, der Finanzchef der Kurie und Beauftragte des Papstes für die Kurienreform, nun auseinandersetzen muss, lautet: sexueller Missbrauch an Minderjährigen. Noch nie hat es ein Verfahren gegen einen derart ranghohen Vertreter der katholischen Kirche gegeben: Pell gilt als Nummer vier in der Kurie, nach Papst, Kardinalstaatssekretär und Präfekt der Glaubenskongregation.

Die australische Polizei sagt bislang nicht, worum es konkret geht. Seit einigen Jahren aber gehen immer wieder Männer an die Öffentlichkeit und berichten, dass Pell ihnen gegenüber übergriffig geworden sei. Zwei Männer sagen, er habe sie in den Siebzigerjahren, als er Priester in Ballarat war, im Schwimmbad unsittlich berührt. Vorwürfe gibt es aber auch aus der Zeit, als Pell Erzbischof von Melbourne war - immerhin bis 2001. Die australischen Ermittler halten dies offenbar für schwerwiegend genug, um ein Verfahren einzuleiten; am 18. Juli muss Pell in Melbourne Rede und Antwort stehen.

Pell verteidigte sich an diesem Donnerstag in Rom vor den Journalisten, die Anschuldigungen seien "Rufmord": "Ich wiederhole, dass ich unschuldig bin. Diese Vorwürfe sind falsch. Die ganze Vorstellung von sexuellem Missbrauch ist für mich abscheulich", sagte er; die Geschichten, um die es gehe, seien "historisch". Er werde seine Unschuld beweisen. Im Vatikan sind sich da nicht alle so sicher - doch selbst, wenn sich die Anschuldigungen als haltlos oder zumindest als nicht mehr überprüfbar erweisen sollten, ist die ganze Angelegenheit eine Katastrophe für den Vatikan und auch für Papst Franziskus persönlich. Er machte 2014 Pell zu einem der mächtigsten Männer im Vatikan, obwohl es schon damals eine Reihe von Belegen dafür gab, dass der Kardinal als Erzbischof Missbrauchsfälle eher vertuschen als aufklären ließ. Und obwohl es schon damals auch Vorwürfe gegen ihn persönlich gab. Offenbar aber erschienen die Qualitäten Pells als tatkräftiger Organisator wichtiger als die Angst, jemanden zu befördern, der die päpstlichen Bemühungen gegen sexuelle Gewalt ad absurdum führen könnte.

Umso schmerzhafter beißen sich nun des Papstes scharfe Worte gegen den sexuellen Missbrauch mit der Realität im Vatikan. Franziskus lässt keine Gelegenheit aus, um zu erklären, dass solche Übergriffe des Teufels sind und es keine Toleranz gegenüber übergriffigen Kirchenmitarbeitern oder den Vertuschern solcher Taten geben dürfe; im Februar erst hat er ein Vorwort im Buch des Missbrauchs-Betroffenen Daniel Pittet geschrieben und dort "demütig um Vergebung" für die Fehler der katholischen Kirche gebeten.

Immer wieder hakt es bei der Aufarbeitung und Bekämpfung sexueller Gewalt

Doch das Verfahren gegen Pell ist nur eine von mehreren Geschichten, die zeigen, dass es bei der konkreten Aufarbeitung und Bekämpfung der sexuellen Gewalt immer wieder hakt. Im März trat Marie Collins aus der päpstlichen Kinderschutzkommission aus - aus Frust über die mangelnde Kooperationsbereitschaft der vatikanischen Behörden; Collins, der ein Priester als 13-Jährige Gewalt antat, galt als mutige und kluge Stimme der Opfer in diesem Gremium. Die Betroffenen sind seitdem in der Kommission nicht mehr vertreten. Der italienische Enthüllungsjournalist Emiliano Fittipaldi wirft der Glaubenskongregation, die für die Ermittlung von Taten und die Bestrafung der Täter zuständig ist, vor, ungenügend mit den staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten.

Und trotz aller Fortschritte in den USA, Irland, Belgien und Deutschland: In Italien, Spanien oder Lateinamerika würden Missbrauchsfälle nach wie vor erst dann aufgearbeitet, wenn sie sich nicht mehr unter der Decke halten ließen; immer noch würden dort straffällig gewordene Priester einfach in die nächste Pfarrei strafversetzt, statt aus dem Verkehr gezogen.

Bislang waren dies Einzelereignisse - durch den tiefen Fall des Kurienkardinals Pell verdichten sie sich zu der Frage, wie ernst es die katholische Kirche mit der schonungslosen Aufarbeitung des Missbrauchs meint, die vor nunmehr sieben Jahren Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. auf dem Höhepunkt der Missbrauchskrise versprochen hat. Eine Rückkehr Pells ins alte Amt würden die Missbrauchsopfer mit einigem Recht als Affront ansehen. Vor knapp einem Jahr sagte Papst Franziskus, er würde sich zum Fall Pell äußern, wenn die weltlichen Gerichte entschieden hätten. Dies könnte nun bald der Fall sein.

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SZ vom 30.06.2017
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